Nach dem kriegsbedingten Absturz im April hat sich die Einschätzung führender Ökonomen zur Lage und den Perspektiven der deutschen Wirtschaft im Mai stabilisiert. Sowohl der aktuelle Stand des Ökonomen-Barometers von 40,6 Punkten (plus 1,8 Prozent zum Vormonat) als auch die Prognose für die kommenden zwölf Monate (plus 4,9 Prozent auf 29,8 Punkte) haben demnach leicht zugelegt. Im März war das Barometer wegen des ­russischen Einmarschs in der Ukraine regelrecht abgestürzt. Eine wirkliche Stimmungsverbesserung sollte man aus der Mai-Umfrage angesichts der unverändert schwierigen Gesamtlage mit unklaren Kriegsfolgen, Lieferengpässen, Inflation und Konjunkturrisiken jedoch nicht ableiten.

Volkswirte wie Andre Schmidt (Uni Witten-Herdeck) und Tim Krieger (Freiburg) verweisen auf den sich immer länger hinziehenden Ukraine-Krieg und die konjunkturelle Eintrübung in China auch als Folge der Pandemie-Rückkehr. Zwar gibt es noch immer Hoffnung auf ein stärkeres Wachstum im zweiten Halbjahr. Doch die Fragezeichen werden größer. Bei einer echten Energiekrise könnte sich die Lage massiv zuspitzen.

Zinswende kommt in Gang


Die Ökonomen befassten sich in der Mai-Umfrage auch mit dem zunehmenden Inflationsdruck, der inzwischen die ­Notenbanken zum Handeln zwingt. Nach der US-Notenbank Fed könnte die Europäische Zentralbank (EZB) deshalb bereits im Juni erstmals seit Langem wieder den Leitzins anheben.

Die Notenbanker wollen verhindern, dass sich die Infla­tionserwartungen verfestigen und ein gefährlicher Teufelskreis aus Lohnerhöhungen und Preissteigerungen entsteht, der die Inflation wie ein Brandbeschleuniger anfachen könnte.

Das Risiko, dass es zu einer derartigen Lohn-Preis-Spirale kommen könnte, ist den Volkswirten zufolge gestiegen. Immerhin schätzen über 50 Prozent der Befragten die Wahrscheinlichkeit für eine Lohn-Preis-Spirale derzeit als "hoch" oder "sehr hoch" ein.

Drei Viertel der Volkswirte (73 Prozent) halten zudem die Forderung der Gewerkschaft DGB nach kräftigen Lohnerhöhungen für den falschen Weg in dieser Situation. 27 Prozent befürworten die Forderung.