Der scharfe Kurseinbruch der zurückliegenden Tage liefert bereits einen Vorgeschmack auf 2015. Nach sechs Jahren Börsenhausse - nicht zuletzt getrieben vom billigen Notenbankgeld -, steht das verflixte siebte Jahr vor der Tür. Droht 2015 das Ende des Börsenmärchens? Wahrscheinlich nicht.

Die Perspektiven für Aktien bleiben gut, auch wegen der niedrigen Zinsen. "Die Börsenparty ist noch nicht vorbei, solange die Notenbanken weiter Geld drucken", sagt etwa Hendrik Leber, Chef der Vermögensverwaltung Acatis.

Die meisten Aktienstrategen rechnen für 2015 mit einer Fortsetzung des Höhenflugs an den Aktienmärkten, wenn auch mit gebremster Geschwindigkeit. Die Experten der führenden europäischen Banken prognostizieren laut einer Umfrage unserer Redaktion unter 24 führenden europäischen Banken im Schnitt einen Anstieg des DAX auf ein Rekordhoch von 10 647 Punkten. Das wäre ein Plus von rund 15 Prozent gegenüber dem aktuellen Stand. Den größten Optimismus verbreiten die Deutsche Bank und die UBS, die den Index bis Jahresende bei 11 500 Punkten sehen. Nur zwei Banken trauen ihm keine großen Sprünge zu. Die Helaba sagt einen kleinen Anstieg auf 9800, die DZ Bank gar nur auf 9500 Zähler voraus.



Auf Seite 2: Von wem die Entwicklung der Märkte maßgeblich abhängt



Wie sich die Märkte entwickeln, wird maßgeblich von einer Frau abhängen: Janet Yellen. Die Anleger fragen sich: Tut sie es oder tut sie es nicht? Läutet die Chefin der US-Notenbank tatsächlich die viel beschworene Zinswende ein? Die meisten Experten gehen von einer Zinserhöhung der Fed im Spätsommer 2015 aus. Einige Banken, darunter die Helaba und die UBS, rechnen bereits im ersten Quartal mit einem Zinsschritt. Die Folge wären laut der Helaba heftige Eruptionen an den Börsen, insbesondere an der Wall Street.

Selbst wenn die Zinswende erst Mitte 2015 erfolgt, wird sie an den Börsen kurzzeitig wohl für ein raueres Klima sorgen. Stefan Bielmeier von der DZ Bank warnt vor "intensiven Schwankungen und zwischenzeitlichen Korrekturen". Anleger könnten aus Angst vor weiteren Zinsschritten kalte Füße bekommen. Diese Befürchtung erscheint anderen überzogen. "Die Fed wird nach der ersten Zinserhöhung erst mal eine Pause machen und abwarten", glaubt Andrew Bosomworth, Mitglied der Geschäftsführung von Pimco. Die US-Notenbank werde die Zinsen nur anheben, wenn die Konjunkturerholung davon nicht beeinträchtigt wird. Und wenn der Dollar nicht zu stark wird. Möglicherweise werde die Fed auch gar nichts unternehmen.

Fest steht jedenfalls: Weltweit wird die Geldpolitik im Jahr 2015 auseinanderdriften. Während die Fed und die Bank of England die quantitative Lockerung beenden, drehen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of Japan ihre Geldhähne auf. "Europa und Japan gehen an den Markt, die USA und Großbritannien an die Zinsen", frotzelt Asoka Wöhrmann, Chefanlagestratege der Vermögensverwaltungstochter der Deutschen Bank DeAWM.

Als Hoffnungsträger der Börsen gilt EZB-Präsident Mario Draghi. Nach Einschätzung der meisten Beobachter wird er im neuen Jahr breit angelegte Anleihekäufe mit einem Volumen von 500 Milliarden bis eine Billion Euro ankündigen.

Auf Seite 3: Dollar top, Euro Flop



Dollar top, Euro Flop

Dieses Programm der EZB könnte die Aktienmärkte kurzzeitig wieder antreiben. Und den Euro weiter schwächen. Die Deutsche Bank sieht ihn bis Jahresende bei 1,15 Dollar. Auch eine Entwicklung in Richtung Parität sei nicht ausgeschlossen. Vermögensverwalter Wöhrmann spricht von einer "Rückkehr des Dollar".

Die US-Wirtschaft dürfte 2015 neben China zur Lokomotive der Weltwirtschaft werden. Deutsche-Bank-Chefanlagestratege Ulrich Stephan traut den USA Wachstum von 3,5 Prozent zu. Als Grund nennt er die Erholung auf dem Arbeitsmarkt, das günstige heimische Schieferöl als Schmierstoff und die kräftig gestiegenen Gewinne der Konzerne. In China werde sich das Wachstum dagegen auf sieben Prozent verlangsamen. Insgesamt dürfte die Weltwirtschaft nach Einschätzung Stephans um 3,6 Prozent zulegen.

Europa dagegen befinde sich im Schildkröten- Zyklus, meint Deutsch-Banker Wöhrmann. Die Wirtschaft im Euroraum werde sich 2015 nur langsam erholen und um 1,2 Prozent wachsen. Dennoch: Von Deflationsgefahr könne keine Rede sein. "Europa ist nicht das neue Japan." Das sieht man auch bei der DekaBank so. "Es mag sein, dass Euroland zurzeit als der kranke Mann der Weltwirtschaft gilt. Aber der kranke Mann wird wieder aufstehen", ist Chefvolkswirt Ulrich Kater überzeugt.

Der schwache Euro und der niedrige Ölpreis könnten zum Konjunkturprogramm werden und Europas Wirtschaft wieder auf Trab bringen. Das Überraschungspotenzial liege in der alten Welt viel höher als in den USA. Europa werde inzwischen so negativ eingeschätzt, dass eine Erholung geradezu überf.llig sei, erklärte kürzlich Jens Erhardt, Chef von DJE Kapital. Er bevorzugt für 2015 daher europäische und chinesische Aktien.

Auf Seite 4: Was die deutschen Aktien machen



Auch deutsche Aktien sind weiterhin aussichtsreich. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,7 auf Basis der Schätzungen für das kommende Jahr sind die DAX-Titel weiterhin recht günstig bewertet. Zum Vergleich: Die Aktien im S & P 500 weisen ein KGV von rund 16 auf. Angesichts der guten Aussichten der Weltkonjunktur und der Euroschwäche empfehlen viele Aktienstrategen europäische Zykliker. "Wenn man an den europäischen Aufschwung glaubt, machen zyklische Titel Sinn", sagte Stefan Keitel, Chefanlagestratege der Berenberg Bank.

Doch geopolitische Konflikte, eine Verschärfung der Russland-Krise sowie ein Wiederaufflammen der Schuldenkrise könnten die Aktienmärkte erneut bremsen - vor allem in den ersten Monaten (siehe Interview). "Weder in der Ostukraine noch im Nahen Osten ist eine Lösung der gewaltsamen Konflikte absehbar", schreibt die DekaBank. In Europa droht ein Machtwechsel bei den Wahlen in Portugal und Spanien. Und in Griechenland könnte gar die antieuropäische Linkspartei Syriza in die Regierung kommen. Spannend dürften auch die britischen Parlamentswahlen im Mai werden, sollte etwa die Anti-EU-Partei Eukip triumphieren.

Für die Anleihemärkte dürfte 2015 ein schwieriges Jahr werden. Die Rally bei amerikanischen, deutschen und südeuropäischen Staatsanleihen scheint allmählich an ihrem Ende angelangt zu sein.

Angesichts der möglichen Zinswende in den USA dürften die dortigen Renditen und auch die der Bundesanleihen moderat anziehen. Potenzial sieht die Deutsche Bank bei Anleihen aus den EU-Peripherieländern wie Italien und Spanien. Doch fehlt es an den Bondmärkten insgesamt zunehmend an Liquidität, was bei fallenden Kursen ein Problem werden kann. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich warnte deshalb bereits mehrfach vor Erschütterungen an den Anleihemärkten.



Auf Seite 5: Interview mit Wilfried Kölz



"Erst abwärts, dann neue Rekorde"



Zyklenforscher Wilfried Kölz ist für spektakuläre Prognosen bekannt. Er sieht Brent-Öl unter 40 und Gold unter 1000 Dollar. Dem DAX sagt er einen kräftigen Kurssturz voraus, danach werde aber alles gut. Von Stefan Mayriedl

Bereits im Juni 2014 hatte Wilfried Kölz mit spektakulären Prognosen auf sich aufmerksam gemacht. Dabei lag er so gut, dass BÖRSE ONLINE den Zyklenforscher erneut nach den Aussichten für die Kapitalmärkte befragte.

Herr Kölz, als wir uns im April zuletzt trafen, sagten Sie bei Brent-Kursen von 110 US-Dollar einen spektakulären Einbruch bis August auf 80 Dollar oder tiefer voraus. Im Nachhinein ist das eine beeindruckende Prognose, auch wenn es etwas länger dauerte. Wie geht es jetzt weiter?
Falls es Brent-Öl nicht gelingt, die 90-Dollar-Marke wieder nachhaltig zu überwinden, fällt der Ölpreis zunächst unter 40 Dollar und langfristig sogar unter zehn Dollar je Barrel.

Wann ist aus zyklischer Sicht mit einem Tief in der aktuellen Abwärtswelle zu rechnen?
Etwa im Zeitraum 10. bis 15. Dezember wurde das aktuelle Öl-Tief angesteuert. Nach einer etwa zwei- bis dreiwöchigen Erholung geht es wieder abwärts. Wenn dann das Dezember- Tief standhält, geht es tendenziell bis ins zweite Quartal 2015 aufwärts.

Ausgehend davon, dass Sie auch Ihre langfristig skeptische Einschätzung zu Gold beibehalten: Das für den Sommer prognostizierte Zwischentief war erst im November zu beobachten. Wie lautet Ihre Prognose für die nächsten Monate?
Die skeptische Einschätzung hat nichts mit meiner persönlichen Meinung zu tun. Wenn die Goldzyklen abwärtsgerichtet sind, kann ich leider nur fallende Preise voraussagen. Im ersten Quartal 2015 wird die gegenwärtige Erholung enden. Danach fällt Gold unter 1131 Dollar. Langfristig geht es auch unter die 1000-Dollar-Marke. Ob das aber schon 2015 sein wird oder erst 2016, lässt sich schwer beantworten. Der Abwärtszyklus seit dem 2011er-Hoch setzt sich jedenfalls noch bis ins Jahr 2016 fort.

Kommen wir zum DAX. In Ihrer Prognose vom April sagten Sie: "Hoch im Mai oder Juni, dann abwärts bis zum Sommer, danach das letzte Hoch vor dem Absturz." Im Grunde ist es genau so gekommen. So eine präzise Vorhersage hätten wir gern auch fürs nächste Jahr!
In den ersten Monaten des Jahres 2015 geht es kräftig abwärts. Doch danach wird alles wieder gut. Wer die tiefen Kurse für Aktienkäufe nutzt, wird seine Freude daran haben.

Wann erwarten Sie die gerade prognostizierte Wende nach unten?
Im Prinzip müsste der DAX schon am 8. Dezember sein Abschlusshoch gemacht haben. Dieses Datum hatte ich bereits im Dezember 2013 im Rahmen einer Jahresprognose veröffentlicht. Ein paar Handelstage Toleranz können dabei aber durchaus auftreten. Der DAX kann also jederzeit nach unten wegbrechen und wird auch in den ersten Monaten des Jahres 2015 weiter fallen. Doch danach wird - wie gesagt - alles gut.

Und wann ist denn mit dem 2015er-Tief zu rechnen?
Voraussichtlich wird das zwischen Januar und April der Fall sein.

Auf welchem Niveau könnte dieses DAX-Tief liegen?
Die nächste Unterstützungszone befindet sich bei etwa 9166 Punkten. Es kann sein, dass diese Marke noch im Dezember getestet wird. Aber das ist dann trotzdem nur ein Zwischentief im Abwärtstrend. Wie stark der DAX bis zum Jahrestief 2015 fällt, weiß ich nicht. Es können mühelos 1000 bis 3000 Punkte werden. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass diese Verluste im weiteren Jahresverlauf 2015 wieder aufgeholt werden und es dann neue Allzeithochs gibt.

Gibt es Einzelwerte, bei denen Ihnen etwas Besonderes auffällt?
Auf jeden Fall bei Volkswagen. Es hat den Anschein, dass diese Aktie deutlich stärker fällt als Daimler und BMW und auch stärker als der DAX. 136 Euro sind ein mittelfristiges Ziel. Hält diese Marke nicht, kann es sogar zu einem Absturz kommen, den in dieser Dimension kaum jemand erwartet.

Auf Seite 6: Prognose: Nach einem starken Einbruch steigt der DAX 2015 auf neue Höhen