Es geht richtig zur Sache. Ein Superlativ - im negativen Sinn - jagt den anderen. Der Dow Jones beispielsweise verlor allein am vergangenen Donnerstag 4,4 Prozent. In Punkten gerechnet war es mit minus 1191 der größte Tagesverlust aller Zeiten. Auch der Wochenverlust ist rekordverdächtig: Mit minus 12,4 Prozent ging es so deutlich abwärts wie lange nicht - schlimmer war es zuletzt nur während der Finanzkrise im Oktober 2008. Auch auf Sicht von einem Monat sieht es nicht gut aus: Mit zehn Prozent Minus hat der Dow den schlimmsten Monat seit elf Jahren hinter sich.

Auslöser der Panik ist die Verbreitung des Coronavirus auch außerhalb Chinas, was zu der Sorge führt, dass ein drastischer weltweiter konjunktureller Einbruch nicht mehr zu vermeiden ist. "Die Unkalkulierbarkeit der Entwicklung ist Gift für Unternehmensinvestitionen, den Konsum und nicht zuletzt die Börse", sagt Robert Halver, Kapitalmarktexperte der Baader Bank. Das Verrückte am Crash: Der langfristige Aufwärtstrend ist - Stand Redaktionsschluss - weiter intakt. Chart-Wizards sehen etwa beim Dow Jones die relevante Marke bei 24 000 Punkten. Erst darunter wird es richtig gefährlich.

Die Historie zeigt, dass Epidemien üblicherweise nur kurzfristige Auswirkungen auf die Volkswirtschaften und die Märkte haben. Was das Coronavirus betrifft, bleibt die Unsicherheit jedoch groß. "Es besteht die Möglichkeit, dass die chinesische Wirtschaft stärker schrumpft als erwartet ebenso dass Quarantänen und andere Maßnahmen die Wirtschaftsaktivität außerhalb Chinas unmittelbar lähmen", schreiben die Markt-Expertinnen Nicola Mai und Tiffany Wilding vom Fondshaus Pimco in einer Analyse. Das gilt auch für die bisher kaum betroffenen Vereinigten Staaten. Noch versucht US-Präsident Donald Trump die Krise herunterzuspielen. Steigen jedoch auch in den USA die Fallzahlen, könnte er zu drastischen, eventuell protektionistischen Maßnahmen greifen.

Für eine Entwarnung ist es also zu früh. "Was den Absturz an den Börsen so schmerzhaft macht, ist die Geschwindigkeit", so Georg von Wallwitz, Gründer des Vermögenverwalters Eyb & Wallwitz. In diesem Tempo hätten die Aktienmärkte laut "Wall Street Journal" in den zurückliegenden 40 Jahren nicht mehr korrigiert. Dass die Stimmung labil ist, zeigt auch der Volatilitätsindex VIX, der zeitweise auf 44 Punkte kletterte und damit auf den dritthöchsten Stand seit August 2015, als in China der Aktienmarkt einbrach. Gleichzeitig steigen die Credit Spreads an den Anleihemärkten und der Ölpreis sinkt. Die Märkte sind schlichtweg im Panik-Modus. Das Geld fließt aus Aktien ab und rein in die klassischen sicheren Häfen wie US-Staatsanleihen und Gold.

Wobei bemerkenswerterweise auch der Goldpreis am vergangenen Freitag in die Knie ging und von 1650 Dollar bis auf 1560 Dollar abrutschte: Ein Zeichen dafür, dass große Adressen, die auf Pump spekulieren, dringend Liquidität brauchten, um ihre Margin-Forderungen erfüllen zu können. Auch das ein Warnsignal.

Dass die Kurse derart dramatisch gefallen sind, liegt letztlich aber auch daran, dass Luft aus einem absolut aufgeblähten Markt abgelassen wurde. Und es liegt auch an einer gewissen Eigendynamik. Fallen wichtige Kursmarken, die von den großen Playern als Stopp-Loss-Marken gesetzt werden, zieht das weitere automatische Verkäufe nach sich. Der Absturz nährt dann den Absturz.

So wundert es nicht, dass immer häufiger von einer anstehenden Rezession die Rede ist. "Zum ersten Mal sehen wir eine Krise, bei der etwa in China ein Großteil der Unternehmen tatsächlich nicht arbeitet", sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer des Risikomanagers Quant Capital Management. Das sorge für eine geringere Produktion, das Abreißen von Lieferketten und eine rezessive Entwicklung.

Ohnehin ist die Weltkonjunktur nicht in bestem Zustand. Industrie und verarbeitendes Gewerbe sind seit Mitte 2018 durch Handelskonflikte, nachlassende Autonachfrage, schwächelnde Investitionsgüteraufträge und Brexit gehemmt. Und jetzt werden auch noch die Dienstleister gebremst: Fluglinien, Tourismus, Gastronomie, Kultur- und Sportveranstalter.

Die alles entscheidende Frage ist jetzt, wie dauerhaft die wirtschaftlichen Verwerfungen sind. Oder ob man es überwiegend mit Verschiebungseffekten vom ersten in das zweite oder in das dritte Quartal zu tun hat. Der Ökonom Nouriel Roubini, der 2008 durch die Prognose der Finanzmarktkrise bekannt wurde, sieht schwarz: Die Unsicherheit werde dazu führen, dass die Börsenkurse noch einmal massiv einbrechen werden. Roubini, dem allerdings auch der Ruf eines Dauerpessimisten anhaftet, sagt ein Minus an den Börsen von 30 bis 40 Prozent voraus.

"Deshalb rate ich, Bares zu halten", so der Ökonom. "Jeder glaubt, dass wir es mit einer V-förmigen Entwicklung zu tun haben, also einer kurzen Rezession mit einer raschen Erholung. Aber die Leute haben keine Ahnung, wovon sie reden, sie glauben lieber an ein Wunder", sagte er in einem Interview mit dem "Spiegel". "Wenn wir in eine globale Rezession rutschen, werden wir auch eine Finanzkrise haben. Die Schulden sind gestiegen, der US-Immobilienmarkt ist genauso eine Blase wie 2007. Bislang waren das nur deshalb keine Zeitbomben, weil es Wachstum gab. Doch das ist jetzt vorbei."

Die Politik ist jetzt eigentlich gefordert. Geld- und Fiskalpolitik müssen die Märkte unterstützen. China macht es vor, Japan ebenso, sogar kleine Länder wie Malaysia. Überall in Asien werden Konjunkturprogramme im großen Stil gestartet und die Notenbanken schießen Geld ein. In Hongkong erhält jeder Bürger von der Regierung etwa 1300 Euro, die von der Notenbank zur Verfügung gestellt werden.

In den USA befindet sich die Notenbank Fed aktuell noch in einer Art Wartestand. Weitere Zinssenkungen und Anleihekäufe stehen angesichts der aktuellen Lage aber auf der Agenda. "China und Amerika haben noch Zinssenkungspotenzial", findet Experte Halver. "Die Finanzmärkte preisen bereits drei US-Zinssenkungen im laufenden Jahr ein." Fiskalpolitisch hat sich Larry Kudlow, der Wirtschaftsberater von Präsident Trump, gerade mit dem Schlagwort "Steuerreform 2.0" ins Gespräch gebracht. Und sogar in Deutschland wird über ein "Aussetzen" der Fiskalbremse diskutiert und an zusätzlichen Impulsen gearbeitet.

Was also tun? Es ist verlockend anzunehmen, dass mit dem wärmeren Wetter die Märkte zur Normalität zurückkehren. Die Panik mag dann noch für einige Zeit anhalten, aber das Comeback der Wirtschaft könnte stark ausfallen, wenn mit dem Frühling auch die Maßnahmen der Politik greifen. Allerdings bleibt ein nicht zu unterschätzendes Restrisiko. Manch einer spricht vom Schwarzen Schwan - jener steht für ein extrem gefährliches, aber auch seltenes Ereignis, das in der Risikobetrachtung von Anlegern kaum eine Rolle spielt. Wir bleiben also bei unserer Einschätzung, die wir seit Mitte Januar an dieser Stelle vertreten: Halten Sie das Risiko weiter reduziert, eine Cash-Quote von mindestens 25 Prozent ist absolut angebracht. Wer auf Nummer sicher gehen will, hält 50 Prozent Cash. Oder sichert sich mit Derivaten ab.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com