Max Herz, 1905 in Hamburg geboren, verließ mit 15 die Schule und erlernte am Sandtorkai, dem ­Kaffeehandelszentrum im Hamburger Freihafen, den Beruf eines Rohkaffeehändlers. Bereits sein Vater war im ­Kaffeegeschäft tätig: Er vertrieb Spitzbohnen, die auf den heimischen Gerstenfeldern wuchsen und nach der Röstung deutschen Malzkaffee lieferten. Später, als in Deutschland der Kaffeekonsum stieg, versuchte er sich als Importeur, scheiterte jedoch. Sein Sohn Max, gerade 24 Jahre alt, übernahm die Geschäftsführung der Importfirma, und dank eines Kredits von Verwandten schafften es Vater und Sohn, das Unternehmen zu retten.

Die Sanierung glückte auch dank der Erträge aus einer Nebenerwerbsquelle, dem Lotteriegeschäft. Max Herz hatte für 50 000 Mark eine Filiale der Hamburger Klassenlotterie übernommen. Während des Kriegs war Kaffee Mangelware, und nach 1945 waren die Vorräte in der Hamburger Speicherstadt erschöpft. Erst nach der Währungsreform von 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen gestatteten die Alliierten beschränkte Kaffeeeinfuhren. Die Zuteilung war streng reglementiert, die Bohnen waren rar und die Preise hoch. Wer Zugang zu Kaffee hatte, konnte in kurzer Zeit ein Vermögen verdienen. Und Max Herz hatte dafür gute Voraussetzungen: Er hatte Geschäftskontakte in Südamerika. Diese hatten den Krieg überdauert und waren nun Gold wert.

1949 startete Max Herz sein neues Unternehmen in einem Kaffeekontor im Hamburger Freihafen. Das Dach war von den Bombenangriffen größtenteils zerstört. Wenn das Wetter schlecht war, mussten die Mitarbeiter unter Regenschirmen am Schreibtisch sitzen.

Sein Partner war der gebürtige Armenier Carl Tchilinghiryan, der mit Datteln, Feigen und Studentenfutter handelte. Beide Partner brachten je 20 000 Mark in die Firma ein, die den Namen Frisch-Röst-Kaffee Carl Tchiling GmbH trug. Seinen armenischen Namen hatte der Gewürzhändler eingedeutscht. Das Unternehmen röstete die importierte Rohware selbst, um am Endprodukt noch mehr verdienen zu können. Herz hatte dafür in den gemieteten Lagerräumen seines Partners mehrere Röstmaschinen aufgestellt. Hier wurden auch Kaffeebohnen geröstet, die nicht nur aus der legalen Importzuteilung stammten, sondern die sich der clevere Unternehmer zusätzlich auf Umwegen beschafft hatte.

Den Kaffee machte Herz unter der Marke Tchibo populär - eine Kombination aus dem Namen Tchilling und dem Wort Bohne. "Der exotische Klang prägte sich auch flüchtigen Kunden ein, die Tchibo für ein Spezialwort brasilianischer Kaffeeplanteure oder für eine arabische Vokabel hielten", schrieb der "Spiegel" 1962.

Innovative Werbeideen


Das Vertriebskonzept war revolutionär. Eine flächendeckende Lieferkette durch die zerstörte Republik aufzubauen, war praktisch unmöglich. Herz und Tchilling beschlossen deshalb, den Kaffee auf Bestellung per Post zu versenden. Erst belieferten sie nur Hamburg, später dehnten sie den Handel deutschlandweit aus. Herz: "Ich versende nur per Nachnahme, sodass ich nie Außenstände habe. Wer nicht bezahlt, bekommt keine Ware. Röstfrisch wird sie verpackt, und drei Tage später habe ich mein Geld." Trotz Notstandspreisen von 12,50 Mark pro Pfund rissen sich die Kunden um den Kaffee. Vor allem die neu kreierte Mokkamischung kam gut bei den Kaffeetrinkern an.

Mit cleveren Marketingmethoden band Herz die Kundschaft emotional an das Unternehmen, etwa mit Gratisproduktzugaben. Dabei ging er zuweilen bis an die Grenzen des Erlaubten. Der Kaffee wurde nicht einfach nur in Paketen verschickt. Zu Weihnachten 1949 etwa versandte Herz die Festtagsmischung in speziellen Schmuckdosen, welche die Hausfrauen später als Behälter für Zucker oder andere Nahrungsmittel verwenden konnten.

Eine weitere innovative Werbeidee war die Kundenzeitschrift "Tchibo Magazin", produziert ab 1952 in einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren. Das Gratis­magazin brachte statt plumper Produktwerbung jeden Monat die neuesten Modetipps, unterhaltsame Storys, Rezepte und Horoskope - ein Vorläufer der populären Frauenzeitschriften. Im gleichen Jahr übernahm Max Herz für 225 000 Mark die Anteile seines Kompagnons Tchiling-­Hiryan, der auf Bergen unverkäuflichen Studentenfutters sitzengeblieben war und Insolvenz anmelden musste.

Verkaufsförderung aus Bonn


Vor der Bundestagswahl 1953 hatte die Regierung in Bonn die hohe Kaffeesteuer von zehn auf drei Mark pro Kilo Rohkaffee gesenkt. Dadurch sank der Verbraucherpreis für das Pfund Kaffee von 16 auf elf Mark. Das Kaffeegeschäft kam jetzt so richtig in Fahrt.

Im Oktober 1955 eröffnete Herz in Hamburg die erste Tchibo-Filiale, in der die Kunden den Kaffee vor dem Kauf probieren konnten - 20 Pfennig kostete eine Tasse Mokka. Die Coffeeshop-Idee schlug ein. "Die Kaffeepäckchen flogen nur so über den Tresen", erinnerte sich Herz’ Ehefrau Ingeburg, die der Unternehmer 1940, mitten in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, geheiratet hatte. Später eröffnete Tchibo weitere Läden und drang mit sogenannten Depots in Bäckereien und Konditoreien und später in den Einzelhandel vor. In der Nachkriegszeit fiel in Deutschland der Kauf von Kaffee meist mit dem Eingang des Monatslohns zusammen. Regelmäßig am Ende und Anfang des Monats war deshalb Tchibo mit einem Ansturm an Bestellungen konfrontiert, dem das Unternehmen nur durch pausenloses Rösten und Versenden begegnen konnte. Für ihren Einsatz in dieser Stressphase durften die Röster per Taxi zwischen Firma und Wohnung pendeln. Zur Schicht gab es einen Liter Milch, ein halbes Pfund Butter und vier Brötchen zur Stärkung. Und am Ende der Woche belohnte Herz seine Angestellten mit Kartoffelsalat und Würstchen.

In den Wirtschaftswunderjahren wuchs Tchibo rasant. Zusammen mit seiner Frau fuhr Herz durch die Republik und suchte Läden in bester Lage. Bald eröffnete jede Woche eine neue Tchibo-Filiale. Herz hatte nun Hunderttausende neuer Kunden - aus dem Kleinbetrieb war ein Großunternehmen geworden. Auf einem Eckgrundstück in der Hamburger City, auf dem einst die kaiserlich-russische Gesandtschaft stand, ließ er 1954 für 15 Millionen Mark einen gewaltigen Neubau errichten, in dem er die elektronisch gesteuerten Röstanlagen, den Versand und die Verwaltung unterbrachte.

Auch sein Lebenswandel änderte sich. Mit den ersten Millionen kaufte er sich in Oberbayern das Gut Gufflham bei Burghausen mit 125 Hektar Land und 60 Kühen. Er entdeckte die Ferienparadiese des Südens, kaufte ein Strandvilla an der Ostsee und leistete sich Reitpferde und ein Trabergestüt. Für 3,1 Millionen Mark erwarb er außerdem die Trabrennbahn Hamburg-Farmsen. Den end­gültigen Siegeszug von Tchibo zu einem der größten deutschen Konsumgüter- und Einzelhandels­unternehmen erlebte Max Herz nicht mehr. 1965 starb er im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfarkt.