BÖRSE-ONLINE.de: Nach ersten Hochrechnungen liegt noch kein Kandidat klar vorn. Bevor Arizona und Pennsylvania nicht ausgezählt sind, wird auch kein klares Ergebnis erwartet. Was bedeutet das für die Börsen?
Max Otte: Die Hängepartie ist sicher schlecht für die Börsen. Und auch für den politischen Prozess, denn beide Seiten werden sich nichts schenken.

Auf Basis vorangegangener Umfragen hätte man von einem klaren Sieg Bidens ausgehen können. Eindeutig ist bis jetzt allerdings nichts. War Biden nicht einnehmend genug, sondern am Ende doch nur "nicht Trump"?
Er war nichts anderes als "nicht Trump" und der Kompromisskandidat der Demokraten. Er war Jahrzehnte in Regierungspositionen und hat nichts Erkennbares geleistet. 1987 musste er sich als Präsidentschaftskandidat zurückziehen, weil er bei seiner Masterarbeit massiv betrogen hatte.

Ändern sich Trumps Chancen mit der Neubesetzung im Supreme Court durch die konservative Richterin Amy Coney Barrett, falls das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor Gericht gehen sollte?
Absolut. Der Supreme Court ist eine hoch politische Instanz. Mit dieser im Rücken lässt es sich besser um das Wahlergebnis streiten.

Präsident Trump zweifelt an der Sicherheit der Briefwahl und befürchtet Wahlfälschung durch die Demokraten. Wie sieht das Worst-Case-Szenario aus, falls Trump die Wahl nicht gewinnt?
Ich habe selbst in den USA gewählt. Der Prozess ist von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich und sehr fehleranfällig. Trumps Zweifel sind also meines Erachtens berechtigt. Sollte Trump hinten liegen, könnte er die Wahl anfechten. Dann geht die Hängepartie weiter. Es könnte Unruhen im Land geben.

Bis auch die Briefwahlstimmen ausgezählt sind, können noch einige Tage vergehen. Was bedeutet diese Unsicherheit für die Börsen?
Unsicherheit ist immer schlecht. Aber sie bietet auch Chancen. Wir haben uns im Max Otte Vermögensbildungsfonds mit Limits auf die Lauer gelegt.

Falls Biden gewinnt: Wie würden Sie sich wünschen, dass seine erste Amtshandlung in Bezug auf Europa aussehen würde?
Da sind meine Träume sehr weit gesteckt. Ich würde mir wünschen, dass die USA sich ein Stück weit aus Europa zurückziehen und uns helfen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Aber das wird unter Biden nicht passieren, eher unter Trump.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, dass Deutschland nicht auf einen erneuten Wahlsieg von Präsident Donald Trump eingestellt ist. "Man muss es ehrlich sagen - nein", sagt er im ZDF auf eine entsprechende Frage. "Wenn die Nato nicht vier, sondern acht Jahre infrage gestellt würde, wäre dies etwas ganz anderes." Deutschland müsse dann sehr viel mehr auch in seine Sicherheit investieren. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Röttgen ist letztlich ein NATO-Lobbyist und Transatlantiker. Wenn Deutschland seine sicherheitspolitischen Interessen neu definiert und sich wie früher auf die Landesverteidigung beschränkt, würden wir es schon hinbekommen. Wichtig wäre dann aber, die mittlerweile ziemlich herabgewirtschaftete Bundeswehr neu aufzustellen. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes.

Was würde es für Europa bedeuten, wenn sich die Wahl noch Monate hinzieht und sich die USA praktisch nur mit sich selbst beschäftigen?
Das wäre sicher der schlechteste denkbare Wahlausgang. Ganz undenkbar ist er aber nicht.

Was bedeuten die Verzögerungen für die milliardenschweren Corona-Konjunkturprogramme in den USA, die eigentlich so rasch wie möglich gestartet werden müssten?
Die Welt steht unter ökonomischem Schock. Eine weitere Verzögerung wäre fatal.

Die amerikanische Gesellschaft gilt als gespalten. Kann eine neue Präsidentschaft das ändern?
Nein. Man erinnere sich: auch untere Obama gab es massive Rassenunruhen in Ferguson. Trump ist also nicht die Ursache der Spaltung, obwohl es unter ihm sicher nicht besser wurde.