Mehr als sieben Stunden am Tag nutzen die Menschen in Deutschland Medien. Die meiste Zeit davon entfällt auf den Konsum bewegter Bilder. Noch schaut das Gros der Zuschauer dabei Sendungen zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung - klassisch am Fernseher. Doch vor allem jüngere Altersgruppen konsumieren ihre Sendungen auf dem Computer oder dem Handy, und sie tun es vor allem, wann sie es wollen. Sie sind unterwegs in Mediatheken, auf Youtube oder nutzen Streamingdienste.

Nachdem sich im Corona-Jahr 2020 einige Branchen, wie die Touristik- und die Autoindustrie, über Wochen aus dem Werbemarkt zurückgezogen hatten, fließen die Einnahmen durch klassische TV-Werbung wieder. Doch wollen werbefinanzierte Rundfunkhäuser wie RTL, ProSiebenSat.1 oder Mediaset überleben, müssen sie den Gewohnheiten ihrer Zuschauer folgen. Das bedeutet, digitale Erreichbarkeit sicherstellen und nach Möglichkeit mit dem margenstarken frei ausgestrahlten Fernsehprogramm verbinden. Beispielsweise über Apps, mit denen Zuschauer nicht nur Sendungen verfolgen, sondern auch deren Verlauf mitgestalten können.

Neben diesen Herausforderungen müssen die Medienhäuser sich der Konkurrenz der Streamingdienste von Netflix & Co erwehren, die massentaugliche Filme und Serien über alle Geräte und zu jeder Zeit anbieten.

Unterschiedliche Strategien

Der in mehreren europäischen Ländern aktive Privatsender RTL will seine digitale Transformation in drei Bereichen voranbringen, um das leicht rückläufige klassische Fernsehgeschäft mindestens auszugleichen: Streaminginhalte, eigene TV-Produktionen und Addressable TV, bei dem Werbung den Interessen des jeweiligen Zuschauers entsprechend ausgespielt wird.

Die Streamingdienste, in Deutschland TV Now und Videoland in den Niederlanden, sollen bis 2025 einen Umsatz von mindestens einer halben Milliarde Euro zum Konzernergebnis beisteuern. Bis dahin soll die Zahl der Abonnenten von knapp zwei Millionen auf fünf bis sieben steigen. Lockmittel sind ansprechende und zum Teil exklusive Inhalte. Dafür sind jährliche Programinvestitionen von 350 Millionen Euro vorgesehen.

Von Dating bis Amorelie

Einen anderen Weg geht ProSiebenSat.1. Die Münchner haben sich mit der Parshipmeet Holding ein zusätzliches Standbein geschaffen. Die Holding versammelt einige, auch international bekannte Dating-Plattformen wie Parship, Elitepartner und Lovoo unter ihrem Dach. 2022 will sich ProSiebenSat.1 im Rahmen eines Börsengangs der Holding von einem Teil seines 53-Prozent-Pakets trennen. Experten schätzen den Wert der stark wachsenden, profitablen ParshipMeet auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro.

Daneben hat sich ProSiebenSat.1 in den vergangenen Jahren ein Beteiligungsportfolio aufgebaut. Dazu zählen das Vergleichsportal Verivox, der Anbieter für Freizeit-Erlebnisgeschenke Jochen Schweizer oder Amorelie, ein Online-Versandhändler für Erotikartikel. Wenn Werbeblöcke im Fernsehprogramm nicht ausgebucht sind, kann der Sender Werbung für seine Beteiligungsunternehmen oder Dating-Seiten schalten. Damit treibt er den Umsatz indirekt an anderer Stelle des Konzerns. Für Unternehmen ist es umgekehrt interessant, den Sender wegen der hohen Werbereichweiten und des Zielgruppen- Know-hows als strategische Beteiligung an Bord zu lassen.

Darüber hinaus bewegt immer wieder das Gerücht die ProSiebenSat.1-Aktie, Mediaset habe Interesse an einer Mehrheitsübernahme der Münchner.

Italien und Spanien plus D-A-CH?

Die Mailänder Mediaset ist größter Anbieter für kommerzielles Fernsehen in Italien und Spanien. Zusammen mit der im D-A-CH-Raum starken ProSiebenSat.1 entstünde ein Medienkonzern von europäischem Format. Einerseits müssen die Fernsehmärkte in den verschiedenen Ländern zum Teil mit regional gefärbten und extra produzierten Inhalten bedient werden. Aber ein Zusammenschluss würde durch Skaleneffekte etwa beim Aufbau einer europäischen Streamingplattform attraktiv. Schon 2019 sprach Pier Silvio Berlusconi, Chef des italienischen Medienkonzerns, von einem Zusammenschluss der beiden Unternehmen. Der damalige ProSiebenSat.1 Chef Maximilian Conze lehnte jedoch ab. Dennoch haben die Italiener erst vor wenigen Wochen über ihre spanische Konzerntochter weitere Anteile an den Münchnern erworben und halten jetzt gut 13 Prozent an ProSiebenSat.1. Über Finanzinstrumente haben sie zudem Zugriff auf weitere Anteile in nicht öffentlich bekannter Höhe.

Im vergangenen Jahr litt Mediaset unter zurückgehenden Werbeeinahmen, die jedoch im dritten Quartal 2020 wieder besser wurden, ohne dabei den Rückgang völlig auszugleichen. Das Geschäft dürfte auch in absehbarer Zeit schwierig bleiben. Denn die Mailänder sind just in zwei der Länder aktiv, die in Europa am stärksten von der Pandemie betroffen sind, mit schwerwiegenden Folgen für die Volkswirtschaften.
 


INVESTOR-INFO

RTL Group

Ziele mit Potenzial

Die RTL Group ist in wichtigen Märkten Europas etabliert, die Streamingstrategie in Deutschland und den Niederlanden scheint aufzugehen - noch allerdings auf niedrigem Niveau. Die entsprechenden Ziele für 2025 sind anspruchsvoll, aber nicht unrealistisch. Addressable TV sowie individualisierte Werbung über das Fernsehen haben das Potenzial, hohe Margen zu generieren. Zudem macht die Dividendenpolitik der Bertelsmann-Tochter, abgesehen von 2020, als keine Ausschüttung erfolgte, die Aktie attraktiv.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 52,00 Euro
Stoppkurs: 37,50 Euro

Prosiebensat.1

Gut verzahnt

Der Medienkonzern verzahnt die Stärken des Stammgeschäfts klug mit den neuen Aktivitäten. Die hohe Reichweite seiner TV-Programme und die Kenntnisse über den Werbemarkt nutzt ProSiebenSat.1, um seine Beteiligungsunternehmen und die Dating-Plattformen bekannt zu machen. Das funktioniert auch, wenn der Werbemarkt weniger gut läuft und mindert die Abhängigkeit von diesen Einnahmen. Die Aktie ist ein Kauf.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 18,50 Euro
Stoppkurs: 12,00 Euro

Mediaset

Auf schwierigem Terrain

Mediaset ist in Italien und Spanien auf durch die Corona-Pandemie besonders schwierigen Märkten unterwegs. Das schmälert auch die Aussichten für die Entwicklung der Aktie. Der Gedanke, zusammen mit ProSiebenSat.1 einen europäischen Medienkonzern zu schmieden, bietet auf den ersten Blick Chancen. Solange eine Seite sich dem Zusammenschluss jedoch verweigert, überwiegen die Risiken. Und solange eine konkrete Strategie fehlt, sollten Anleger die Aktie nur beobachten.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 2,40 Euro
Stoppkurs: 1,80 Euro