DAS IST LOS BEI MERCK:

Die Spanierin Garijo steht seit dem 1. Mai an der Spitze des-Konzerns. Sie folgt auf Stefan Oschmann und ist die erste Frau, die allein ein Dax-Unternehmen (DAX 30) leitet. Als bisherige Lenkerin der Pharmasparte hatte die gelernte Ärztin ihren Bereich in den vergangenen Jahren entschlossen umstrukturiert.

Als Merck-Chefin schließt die Managerin zwar größere Zukäufe grundsätzlich nicht aus, doch wahrscheinlicher seien zunächst "kleinere bis mittelgroße ergänzende Akquisitionen von innovativen Technologien", wie sie jüngst in einem Interview mit der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX erklärte. Hierzu feilt der frisch formierte Vorstand - auch die Pharma- und Laborsparte sind neu besetzt - offenbar noch an seiner strategischen Agenda.

Merck verkauft aktuell unter anderem Halbleitermaterialien, konzentriert sich in der Pharmasparte auf innovative Krebsarzneien und liefert derzeit in der Laborsparte mehr als 50 Covid-19-Impfstoffherstellern zu, darunter auch dem mRNA-Spezialisten Biontech (BioNTech (ADRs)).

Dass der mehr als 350-jahre alte Traditionskonzern sich heutzutage als modernes Technologieunternehmen präsentiert, ist einer bereits unter dem langjährigen Vorstandschef Karl-Ludwig Kley begonnenen regen Übernahmetätigkeit zu verdanken. Auch Kleys Nachfolger Oschmann bewies reichlich Mut zur Neuorientierung - und zum Ausmisten unpassender Projekte.

Seit 2007 hat der Konzern fast 50 Milliarden Euro durch Zukäufe und Verkäufe bewegt. 2015 verleibte sich Merck im bisher teuersten Zukauf seiner Geschichte für 17 Milliarden Dollar (damals rund 13 Milliarden Euro) den US-Laborausrüster Sigma-Aldrich ein. Unter Oschmann kamen 2019 der US-Halbleiterzuliefer Versum Materials und der kalifornische Materialspezialist Intermolecular für zusammengenommen rund sechs Milliarden Euro hinzu.

Von diesen Übernahme profitiert die Darmstädter Firma nochmals besonders in der aktuellen Pandemie: Das brummende Laborgeschäft war 2020 der wichtigste Gewinntreiber; es dürfte auch im ersten Quartal dank einer regen Nachfrage von Impfstoffherstellern floriert haben. Und auch das Halbleitergeschäft erlebt gerade einen Aufschwung - nicht zuletzt dank des durch die Krise ausgelösten Digitalisierungsschubs hofft Garijo in der Sparte auf mehr.

Die neue Merck-Chefin wird den detaillierten Quartalsbericht zwar erst am 12. Mai präsentieren, der Konzern hat aber bereits Eckdaten für ein "sehr starkes" erstes Jahresviertel veröffentlicht. Und er hat die Messlatte für das Jahr höher gesteckt: In diesem Jahr wollen die Darmstädter ihren Nettoumsatz um bis zu 11 Prozent auf 18,5 bis 19,5 Milliarden Euro ankurbeln. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis (Ebitda) soll im besten Fall ähnlich stark auf 5,8 Milliarden Euro steigen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN

Die neuen Prognosen haben Branchenkenner positiv überrascht - vor allem ergebnisseitig hatte der Markt bisher deutlich weniger erwartet als vom Konzern nun in Aussicht gestellt. Neue Medikamente, der anhaltende Boom der Halbleiter- und Elektronikmaterialien sowie die Bioprozesstechnik trieben das dynamische Gewinnwachstum voran, konstatierte Analyst Peter Spengler von der DZ-Bank. Merck sei ein Unternehmen von "hoher Qualität"

JPMorgan-Analyst Richard Vosser geht nun von teils deutlich steigenden Konsenserwartungen aus. Vosser gibt auch weiterhin eine Kaufempfehlung für die Merck-Aktie ab, obwohl diese bereits sehr stark gelaufen ist. Das Kursziel sieht er mit 160 Euro gut zehn Euro über dem bisherigen Rekord.

Von den 14 seit Jahresbeginn im dpa-AFX Analyser erfassten Experten raten derzeit allerdings nur noch fünf zum Kauf der Aktie, acht haben inzwischen ein neutrales Votum. Goldman Sachs empfiehlt gar einen Verkauf des Papiers.

Erst kürzlich strich Analyst Sachin Jain von der US-Investmentbank Bank of America (BofA) sein positives Votum. Er bleibt nunmehr mit "Neutral" in Wartestellung. Der Experte führte neben der hohen Bewertung weitere Argumente an: So sollte etwa der Schub durch die Pandemie in der Laborsparte mit dem Jahr 2022 wieder abflauen.

Zudem sei in einigen Jahren mit Konkurrenz durch Nachahmer-Medikamente für den Kassenschlager Mavenvlad (Multiple Sklerose) zu rechnen, dies sei in den aktuellen Markterwartungen nicht berücksichtigt. Damit ergäbe sich eine Lücke in der Pipeline, denn Ergebnisse der wichtigsten Studien zu neuen Hoffnungsträgern seien nicht vor 2023 zu erwarten.

Ähnlich argumentiert auch Goldman-Sachs-Analyst Krishna Chaitanya Arikatla, der schon seit längerem den Verkauf der Aktie empfiehlt. Ihn beschäftigt derzeit vor allem die Entwicklung wichtiger Medikamente wie Mavenclad und das Krebsmittel Bavencio, von denen er sich aktuell geringere Umsätze erwartet als viele Analysten-Kollegen. Ebenso hinterfragt er die Aussichten in der Laborsparte über das aktuelle Jahr hinaus.

DAS MACHT DIE AKTIE

Seit ihrem im April erreichten Rekordhoch von 150,10 Euro tun sich die Merck-Papiere schwer. Selbst die angehobene Jahresprognose verlieh den Aktien nur kurzfristig Schub.

Mit einem Kurs von aktuell rund 142 Euro haben die Papiere vom Hoch inzwischen um rund 5 Prozent nachgegeben. Zuletzt fiel der Kurs auch unter die 21-Tage-Linie, die mittlerweile auch abwärts gerichtet ist. Unter charttechnisch orientierten Investoren gilt sie als ein Indikator des kurzfristigen Trends.

Dabei hat Merck an der Börse in den vergangenen Monaten reichlich Gas gegeben. Da das Laborgeschäft auch am Markt als Profiteur der Corona-Krise angesehen wird, schwang sich der Kurs im ersten Pandemiejahr um gut ein Drittel nach oben.

Damit gehörte die Aktie 2020 zu den Topwerten im Dax. Das Corona-Tief im Zuge des Börsencrash bei rund 76 Euro war schnell Geschichte. Für 2021 steht aufgrund der jüngsten Kursverluste seit Jahresbeginn dagegen nur ein überschaubares Plus von etwas mehr als einem Prozent zu Buche.

Seit dem im März 2018 begonnenen Aufwärtstrend des Papiers hat sich der Einsatz für Anleger nahezu verdoppelt. Der seitdem starke Lauf von Merck an der Börse fußt insbesondere auf dem erfolgreichen Umbau der Materialsparte.

Dabei bringt Merck derzeit als Nummer zehn im Dax etwas mehr als 61 Milliarden Euro auf die Börsenwaage, etwa drei Milliarden Euro weniger als der Branchenkollege BASF. Der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer hingegen - der es vor gut sechs Jahren noch zum größten Dax-Schwergewicht gebracht hatte - liegt inzwischen mit einer Marktkapitalisierung von knapp 53 Milliarden Euro im deutlichen Abstand zu den beiden Wettbewerbern.

dpa-AFX