ETFs gelten zu Unrecht als rein taktische Instrumente. Auch, dass Kosten der einzige Grund für das Wachstum börsennotierter Fonds sind, stimmt so nicht. Eine Analyse von Vanguard zeigt: Für professionelle Anleger haben ETFs viel größere Bedeutung. Die meisten professionellen Anleger nutzen ETFs als Grundbausteine für ihre Portfolios. Zu diesem Ergebnis kommen sowohl eine Umfrage von Vanguard unter 400 ETF-Anlegern aus vier europäischen Ländern (Großbritannien, Italien, Schweiz, Deutschland) als auch die Einschätzungen führender Vertreter europäischer Asset Manager.

65 Prozent der professionellen Anleger aus Deutschland nennen Buy-and-Hold-Strategien als wichtigsten Verwendungszweck für ETFs (Mehrfachnennungen waren möglich). Die Fein­abstimmung von Portfolios, also die Schließung von Lücken und Gewichtungsanpassungen einzelner Assetklassen, stand mit 62 Prozent an zweiter Stelle. Taktische Zwecke liegen in Deutschland mit 41 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz. Auch in Großbritannien und der Schweiz kommen ETFs vor allem als langfristige Portfoliobausteine zum Einsatz. Lediglich in Italien spielen taktische Überlegungen unter ETF-Anlegern die Hauptrolle - warum, müsste eine gesonderte Analyse zeigen.

Zu den weniger häufig genannten ETF-Strategien gehören Cash Equitization (hierbei investieren Anleger größere Barreserven in ETFs und vermeiden so Renditeverluste), Liquiditätsmanagement (Liquiditätsoptimierung durch ETFs), Risikomanagement (Reduzierung der Portfoliokonzentration durch Einzelwerte mit höherem Risikopotenzial) und Rebalancing (Anpassung der Asset Allocation durch Käufe und Verkäufe).

Die Vielzahl der genannten Verwendungszwecke zeigt, wie weit die Entwicklung der ETF-Märkte fortgeschritten ist - und wie viel Wachstumspotenzial noch in ihnen steckt. Kosten sind das wichtigste Kriterium, doch nicht das einzige. Wie die Umfrage also zeigt, entscheiden sich Anleger aus mehreren Gründen für ETFs. Dieses Ergebnis widerlegt die weitverbreitete Auffassung, Kosten seien das alleinige Entscheidungskriterium für ETF-Anleger. Aus gutem Grund gelten Kosten aber weithin als Wachstumsmotor des ETF-Markts, die Kostenquote von ETFs zum Beispiel ist in der Regel niedriger als diejenige herkömmlicher Fonds.

Kosten sind zwar in allen vier untersuchten Ländern das wichtigste Auswahlkriterium für Anleger (18 Prozent insgesamt, in Deutschland sogar 38 Prozent), sie nannten jedoch zwei weitere wichtige Gründe, die für ETFs sprechen. 17 Prozent der Befragten nannten die Liquidität der Basiswerte als wichtigstes Kriterium bei der Auswahl eines ETFs. Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung von ETFs als Anlageins­trument für den einfachen Marktzugang mit Skaleneffekten. An dritter Stelle steht mit 15 Prozent der Tracking Error. Kosten sind also anscheinend nicht das Einzige, worauf Anleger Wert legen.

Auch am Anlagehorizont lassen sich regionale Unterschiede im Anlegerverhalten ablesen. In Deutschland und Großbritannien halten die meisten Anleger ein bis drei Jahre an ihrem ETF fest, die Mehrheit der italienischen Anleger verkauft ihre Anteile dagegen innerhalb eines Jahres wieder.

Die Analyse zeigt also, dass der ETF-Markt komplexer und differenzierter ist, als viele glauben. Viele Käufer nutzen ETFs zwar auch für taktische Zwecke, an erster Stelle stehen diese jedoch bei Weitem nicht. In drei der vier untersuchten Länder kommen ETFs vor allem zur Umsetzung von Buy-and-Hold-Strategien zum Einsatz, Anleger erkennen also den Wert von ETFs als langfristigem Anlageinstrument. Andere Anwendungsgebiete machen dagegen deutlich, dass ETFs sich für unterschiedliche Szenarien und Anforderungen eignen.

Zur Person


Sebastian Külps hält einen BA in Wirtschaftswissenschaften des Bates College, Maine, und einen MA in Management der European School of Management. Er ist Head of Germany and Austria und damit verantwortlich für die Geschäftsentwicklung von Vanguard in diesen Ländern. Zuvor war er als Head of Securities bei einer internationalen Bank. Er verfügt über 20 Jahre Erfahrung im Finanzdienstleistungssektor.