Deutliche Preiserhöhungen des Nahrungsmittelriesen Nestle verderben den Verbrauchern offenbar nicht den Appetit. Der Hersteller von Vittel, Nespresso, Maggi oder KitKat wuchs im ersten Quartal kräftig. Vor allem bei Wasser, Heimtiernahrung und Süßwaren setzte der Schweizer Konzern mehr ab. Die höheren Preise hätten bisher weder dazu geführt, dass die Konsumenten zu günstigeren Produkten gegriffen, noch dass sie weniger eingekauft hätten. "Bisher hat sich die Verbrauchernachfrage als widerstandsfähig erwiesen", erklärte Nestle-Chef Mark Schneider. Im weiteren Verlauf des Jahres erwarte er aber eine gewisse Reaktion, denn die Preiserhöhungen der einzelnen Anbieter summierten sich in den Warenkörben.

Wie viele andere Unternehmen reagiert Nestle mit Sitz in Vevey am Genfersee mit den höheren Preisen auf die steigendes Kosten für Rohstoffe, Verpackung, Energie und Transport. Im ersten Quartal kletterte der Umsatz auf 22,2 Milliarden Schweizer Franken. Damit schaffte der Weltmarktführer ein um Zukäufe, Verkäufe von Sparten und Währungseinflüsse bereinigtes Plus von 7,6 Prozent. Preiserhöhungen steuerten 5,2 Prozent zu dem Wachstum bei.

Der Lebensmittelhersteller habe mit dem organischen Umsatzanstieg positiv überrascht und setze damit die starke Entwicklung der vergangenen Quartale fort, schrieb Baader Bank-Analyst Andreas von Arx in einer am Donnerstag vorliegenden Studie.

Doch damit gibt sich Nestle nicht zufrieden. "Die Kosteninflation steigt weiterhin kräftig an, weshalb im Verlauf des Jahres weitere Preisanpassungen und eindämmende Maßnahmen erforderlich sein werden", erklärte Schneider.

Damit dürfte er nicht überall auf Gegenliebe stoßen. So warnte der deutsche Lebensmittelhändler Edeka seine Lieferanten vor überhöhten Preisforderungen. Es sei gefährlich, wenn einige Industriekonzerne versuchten, ihre Renditen mit überhöhten Preisforderungen zu maximieren, warnte Edeka-Chef Markus Mosa. "Lebensmittel dürfen nicht zum Luxusgut werden", betonte er. "Wir werden weiterhin jede Forderung sehr genau prüfen." Nicht vermeidbare Preiserhöhungen dürften nicht allein den Verbrauchern aufgebürdet, sondern müssten in der gesamten Wertschöpfungskette verteilt werden. Der Krieg in der Ukraine verschärfe zudem die zuletzt steigende Inflation. In Deutschland hatten sich Nahrungsmittel im März binnen Jahresfrist bereits um 6,2 Prozent verteuert.

"Preissetzungsmacht am Werk"


"Preisstabilität wird es einfach nicht geben", erklärte Schneider. Er betonte aber, dass Nestle die Preise auf "verantwortungsvolle Weise" erhöhe und das Angebot an erschwinglichen Produkten ausgebaut habe. Bisher gebe es keine Anzeichen für eine nachlassende Nachfrage. "Da wir die Preise auf ein Niveau anheben, das wir seit mindestens 15 Jahren nicht mehr gesehen haben, hätten wir wahrscheinlich mehr (negative Auswirkungen) erwarten können", sagte Finanzchef François-Xavier Roger. Ein möglicher Grund für die gute Entwicklung sei, dass viele Verbraucher während der Corona-Krise Geld angespart und gleichzeitig auf einem relativ hohen Niveau konsumiert hätten.

Was Verbraucher in Bedrängnis bringen kann, ist für die Anleger ein Trumpf. "Preissetzungsmacht am Werk", überschrieben die Analysten von Bernstein ihre Einschätzung zum Nestle-Zwischenbericht, der die Markterwartungen übertraf. Das US-Analysehaus Bernstein lies die Einstufung für die Nestle-Aktie auf "Outperform" mit einem Kursziel von 120 Franken.

"Wie bei anderen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen scheint die hohe Inflation (noch) keinen Einfluss auf den Appetit der Verbraucher auf Produkte von starken Marken zu haben", erklärte Vontobel-Analyst Jean-Philippe Bertschy. Am Mittwoch hatte bereits der französische Konkurrent Danone ein überraschend starkes Umsatzplus von 7,1 Prozent auf 6,2 Milliarden Euro gemeldet.

Das Analysehaus Jefferies lies Nestle auf "Underperform" mit einem Kursziel von 100 Franken. Der Lebensmittelhersteller habe zwar entgegen seinen pessimistischen Erwartungen einen starken Jahresstart hingelegt, schrieb Analyst Martin Deboo in einer am Donnerstag vorliegenden Studie. Nun dürfte aber die Diskussion losgehen, warum der Konzern trotzdem den Umsatzausblick nicht anhebe. Nestle bekräftigte den Ausblick für das Gesamtjahr. Im Februar hatte der Konzern für 2022 ein organisches Plus von rund fünf Prozent und eine operative Ergebnismarge zwischen 17,0 und 17,5 (2021: 17,4) Prozent in Aussicht gestellt.

Die kanadische Bank RBC hob das Kursziel für die Nestle-Aktie nach Quartalsumsätzen von 96 auf 98 Franken an und lies die Einstufung auf "Sector Perform". Über vorsichtige Aussagen des Chefs zur Profitabilität in diesem Jahr dürfe sich keiner wundern, schrieb Analyst James Edwardes Jones in einer am Donnerstag vorliegenden Studie. Denn mit Inflation und konjunktureller Unsicherheit müssten sich die Unternehmen ebenso wie die Verbraucher gegenwärtig auseinandersetzen.

Einschätzung zur Nestle-Aktie


Die Nestle-Aktie legte am Donnerstag nach Zahlen rund ein Prozent zu. Insbesondere das überraschend starke Umsatzwachstum kam am Markt gut an.

Für Anleger aus der EU ist der Handel mit Aktien aus der Schweiz schwierig. Grund ist der Streit zwischen der EU und der Schweiz um ein Rahmenabkommen, in dessen Zuge die EU die Börsenäquivalenz der Schweizer Börse hatte auslaufen lassen. Weil die Schweizer Börsenregulierung damit von der EU nicht mehr als gleichwertig anerkannt wurde, ist seither Marktteilnehmern aus der EU der Aktienhandel an der Schweizer Börse verboten. Durch einen Umweg über den Handelsplatz Zürich - was allerdings meist teurer ist - ist der Handel aber in der Regel doch möglich.

Dennoch sehen wir die Nestlé-Aktie als ein solides Basisinvestment. Gebühren beachten.

rtr/dpa-AFX/fh