Jubelstimmung herrschte Ende Januar an der Börse Amsterdam. Erstmals übertrafen die Niederländer die Börse London in einem Monat beim durchschnittlichen Volumen täglich gehandelter Aktien. Für 9,2 Milliarden Euro wurden in Amsterdam pro Tag Aktien getradet, in London waren es 8,6 Milliarden Euro.

Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Frankfurt und Paris. Die holländische Metropole machte dabei einen Riesensprung. Noch im Vorjahr wurden durchschnittlich nur 2,6 Milliarden Euro pro Tag umgesetzt.

Grund für den Zufluss war der Brexit. Um gut sechs Milliarden Euro verringerte sich am 4. Januar, dem ersten Handelstag nach Ende der Übergangsfrist, das Volumen des Handels an der Themse. Britische Finanzdienstleister verloren mit dem Brexit ihren automatischen Zugang zum EU-Binnenmarkt.

Mit dem Rückgang des Handelsvolumens spitzt sich auch der Streit zwischen Brüssel und London über die Anerkennung der gegenseitigen Finanzmarktregeln zu. Da bisher von beiden Seiten wenig Kompromissbereitschaft zu erkennen ist, könnte Amsterdam der lachende Dritte sein. Dann könnten noch mehr Arbeitsplätze von der Themse an die Amstel wechseln. Schon 2020 verlegten rund 80 Firmen mit Tausenden von Angestellten ihren Sitz von Großbritannien nach Holland.

Das täte der schwächelnden Baukonjunktur des Landes gut. In diesem Sektor wird 2021 mit einem Minus von 3,5 Prozent gerechnet. Beim Wohnungsbau soll der Rückgang nur 2,5 Prozent, beim Gewerbebau vier Prozent betragen. Ein Grund dafür ist neben zahlreichen wegen Covid-19 aufgeschobenen Projekten auch ein nachlassender Immobilienboom in den Niederlanden.

Clever durch die Pandemie

Dabei hat das Land die Pandemie bislang gut überstanden. Mit einem BIP-Minus von knapp vier Prozent im Vorjahr war der Einbruch weit geringer als in Deutschland (fünf Prozent Minus) und den meisten anderen EU-Staaten. Nur Irland, das Baltikum und Finnland zogen sich noch besser aus der Affäre.

Ein wichtiger Grund dafür war, dass die Niederländer beim ersten Lockdown vor einem Jahr nur immer kurzzeitig ihre Geschäfte und Restaurants schlossen, anders als die Deutschen. Bei der zweiten Welle haben sie wie auch hierzulande das öffentliche Leben schon seit Mitte Dezember lahmgelegt. Der Lockdown wurde nun sogar noch bis Ende März verlängert. Die Ausgangssperre ist strikt, was Anfang Februar zu heftigen Ausschreitungen von Jugendlichen geführt hat.

Es wird Kurzarbeitergeld gezahlt, und die Unternehmen werden umfangreich vom Staat gefördert, um die Folgen des Shutdowns für Betriebe abzumildern. So kommen die Niederlande vergleichsweise gut durch die Krise. Sie können es sich auch leisten, weil die Staatsverschuldung trotz der massiven Unterstützungsmaßnahmen lediglich 60 Prozent des BIP beträgt. Auch die Arbeitslosigkeit ist mit 3,6 Prozent auf einem niedrigen Niveau geblieben.

Doch für 2021 sieht es nicht so rosig aus: Die Europäische Kommission rechnet nur mit einem BIP-Plus von 1,8 Prozent, dem niedrigsten in Westeuropa. Das liegt auch daran, dass der Einbruch 2020 geringer war als in anderen Staaten, hat aber noch weitere Ursachen.

So verlaufen die Impfungen ähnlich schleppend wie in Deutschland. "Überdies leidet das Land am Brexit, da die Verflechtung der niederländischen mit der britischen Wirtschaft hoch ist", sagt Torsten Pauly, Wirtschaftsexperte für die Niederlande bei der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaft GTAI. Vor allem die wichtigen Häfen Rotterdam und Amsterdam hätten mit kräftigen Umsatzeinbußen von 6,9 und 14,5 Prozent zu kämpfen, betont Pauly, der die hohe Bedeutung der Logistiksparte für Hollands Ökonomie unterstreicht.

Die verarbeitende Industrie ist zwar mit den Sparten Maschinenbau, Elektroindustrie, Lkw-Herstellung und Chemie/Kunststoff auch ein wichtiger Faktor, aber weniger bedeutend als in Deutschland. Daher profitiert Holland geringer vom anziehenden China-Geschäft, eher indirekt über den Handelspartner Nummer 1, Deutschland. Handel und Gastronomie spielen mit 16 Prozent Anteil an der Bruttowertschöpfung eine größere Rolle als hierzulande, was sich aktuell negativ auswirkt.

Wettbewerbsfähige Wirtschaft

Mittelfristig dürfte sich die Wirtschaft des Beneluxstaats aber wieder kräftig erholen. "Es gibt keine strukturellen Probleme, die Wirtschaft der Niederlande ist sehr wettbewerbsfähig", sagt Pauly. Das trifft besonders auf die Agrar-, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie zu. Nach den USA ist Holland global der Staat mit dem höchsten Exportanteil am BIP dieser Branche. Daneben sind auch Pharmahersteller und -zulieferer ein nicht zu vernachlässigender Sektor, was im Ausland kaum bekannt ist. Dieser schafft viele Arbeitsplätze in den Niederlanden, ist aber kleinteilig aufgestellt. Vier Fünftel der Pharmafirmen haben maximal 50 Mitarbeiter, wenige sind börsengelistet.

Ein Pluspunkt der Ökonomie Hollands zu Deutschland ist, dass diese breiter aufgestellt ist und zyklische Branchen nicht so dominant sind. Auch die Abhängigkeit von China ist geringer.

Dafür ist die politische Zersplitterung noch stärker ausgeprägt als hierzulande. 13 Parteien sitzen im Parlament in Den Haag. Reichen doch schon rund 0,7 Prozent der Wählerstimmen, um in die Volksvertretung einzuziehen. Aktuell regiert Premierminister Mark Rutte mit einer liberal-konservativen Vier-Parteien-Koalition. Vor den Parlamentswahlen am 17. März liegt seine Partei VVD bei den Umfragen mit 23,6 Prozent deutlich vorn, vor dem Rechtspopulisten Geert Wilders mit dessen Partei PVV.

Wahlen beeinflussen Börse kaum

Rutte, der schon seit 2010 regiert, dürfte weiter Premier mit einer Mehrparteienkoalition unter Ausschluss der Rechtspopulisten bleiben. Die Frage ist wohl nur, ob die Grünen dazugehören werden und die Regierung damit weiter nach links rückt, oder ob es bei der aktuellen Konstellation bleibt. Nach Meinung der Analysten der DZ Bank halten sich daher die Risiken der Wahlen für die Kapitalmärkte in Grenzen.

An der Börse Amsterdam ist jedenfalls keine Nervosität spürbar. Der holländische Leitindex AEX 25, der die 25 Topwerte des Landes umfasst, hat seit Jahresbeginn acht Prozent zugelegt, mehr als der DAX. Auf ein Jahr betrachtet läuft er aber fast identisch. Ein Grund für das bessere Ergebnis seit Jahresbeginn dürfte sein, dass die Perspektiven des wichtigen Handelspartners Großbritannien wegen der raschen Impffortschritte dort von den Anlegern positiver gesehen werden als noch im Dezember. Das strahlt auf den AEX aus.

Auf Drei- und Fünfjahressicht übertraf der AEX den DAX klar, was an der breiteren Diversifizierung und der höheren Wettbewerbsfähigkeit der niederländischen Wirtschaft liegen dürfte. 2021 sollte der DAX wegen des größeren Anteils von Zyklikern und des höheren deutschen Wachstums von etwa drei Prozent für dieses Jahr zwar besser abschneiden. Auf Sicht von drei Jahren ist aber von einem Vorsprung des AEX auszugehen, was diesen für mittelfristige Anleger attraktiv macht. Mit dem KGV von 19,5 für 2021 ist der AEX nicht günstig, jedoch auch nicht überteuert.
 


INVESTOR-INFO

iShares AEX ETF

Niederlande in einem Papier

Der ETF von iShares bildet den niederländischen Leitindex AEX 25 ab, der breit über verschiedene Branchen gestreut ist. Die wichtigsten Sektoren sind Elektronik, Hard- und Software, Nahrungsmittel/Getränke, Rohstoffe sowie Finanzen. Die größten Einzelpositionen sind ASML, Prosus, Unilever, Royal Dutch Shell, Heineken, Adyen und ING. Die Dividendenrendite beträgt 2,5 Prozent.

Royal Dutch Shell

Öl plus grüner Strom

Der britisch-niederländische Energieriese profitiert vom gestiegenen Ölpreis. Zudem will der Mineralölkonzern und Tankstellenbetreiber zum führenden Anbieter von grünem Strom und damit verbundener Dienstleistungen werden. Das Stromgeschäft soll bis 2030 auf 560 Terawattstunden verdoppelt werden. Dazu werden verstärkt kleinere Firmen aus dem Bereich erneuerbare Energien gekauft wie zuletzt die Kölner Next Kraftwerke. Royal Dutch Shell ist eine Dividendenperle.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 23,00 Euro
Stoppkurs: 13,50 Euro