"Die Regierungen sind sich bewusst, dass dieses Umfeld nicht dauerhaft ist", sagt Zinsstratege Martin van Vliet von der ING Bank. "Wenn sie sich auf dem aktuellen Niveau eine langfristige Finanzierung sichern, wer würde es ihnen vorwerfen?"

Institutionelle Investoren wie Pensionskassen oder Lebensversicherungen nehmen das Angebot gerne an. Papiere mit Laufzeiten von zehn und weniger Jahren sind für sie meist ein Verlustgeschäft, weil die Renditen nahe oder sogar unter null Prozent liegen. Langfristig berechenbare Einnahmequellen sind für sie aber ein Muss, damit sie ihren Zahlungsverpflichtungen auch nachkommen können.

In den vergangenen Wochen verkaufte Deutschland gleich zwei Mal 30-jährige Papiere. Die Niederlande, Spanien und Italien warfen ebenfalls Titel mit dieser Laufzeit auf den Markt. Frankreich bot 50-jährige Bonds an und Irland legte ein Papier auf, das erst in 100 Jahren fällig wird. Die Rendite dieses Bonds lag bei 2,35 Prozent. 2012 - inmitten der europäischen Schuldenkrise - musste das Land ähnlich hohe Zinsen für Anleihen mit einer Laufzeit von gerade einmal drei Monaten bieten.

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Die großen Notenbanken der Welt haben die Leitzinsen in den vergangenen Jahren zur Ankurbelung der Konjunktur immer weiter heruntergeschraubt. In der Euro-Zone liegt der Leitzins seit März bei null Prozent. Banken müssen sogar einen Strafzins von 0,4 Prozent zahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. "Die Renditenot von langfristig orientierten Investoren wird immer größer", sagt Anleihenspezialist Eugen Keller von der Metzler Bank.

Vor allem in Europa gebe es zur Zeit eine größere Nachfrage nach ultralang laufenden Anleihen, betont Otto Weyhausen-Brinkmann, Leiter des Teams Neue Emissionen bei der staatlichen Förderbank KfW. In den anderen Kernwährungen des Instituts, also bei Anleihen in Dollar, Pfund und Australischem Dollar, sei der Trend nicht in diesem Ausmaß spürbar. Die Bank emittiert regelmäßig lang laufende Anleihen zur Refinanzierung ihres Fördergeschäfts. Bondemissionen mit einer Laufzeit von 30 Jahren waren die längsten, die die KfW je herausgegeben hat.

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LAUFZEITEN VON ANLEIHEN STEIGEN



Zwar sind 50- oder 100-jährige Staatsanleihen immer für eine Schlagzeile gut, mit Volumina von meist wenigen hundert Millionen Euro sind diese Emissionen aber eher klein. Der Löwenanteil entfällt auf Titel mit Laufzeiten von 30 Jahren und weniger. Nach Reuters-Daten hat allein der Bund Schuldtitel über etwa 2,3 Billionen Euro im Umlauf. Die USA stehen als weltgrößter Anleihe-Emittent umgerechnet sogar mit knapp zwölf Billionen Euro in der Kreide.

Dennoch: Der Anteil neu ausgegebener Anleihen mit Laufzeiten von zehn Jahren oder mehr ist so hoch wie seit der Finanzkrise nicht. US-Bonds laufen im Mittel nach gut fünfeinhalb Jahren aus. Das ist ein ganzes Jahr mehr als noch 2008. In Japan kletterte die durchschnittliche Laufzeit im Vergleich zu 2011/2012 um zwei auf neun Jahre. Auch die krisengeplagten südeuropäischen Staaten Italien und Spanien springen auf den Zug auf: Die Laufzeit ihrer Papiere nähert sich im Schnitt wieder dem Vorkrisen-Niveau von sieben Jahren.

RISIKO NICHT AUSSER ACHT LASSEN



Die meisten Staatsanleihen mit Laufzeiten von 40 oder mehr Jahren sind laut dem Chefvolkswirt der HSH Nordbank, Cyrus de la Rubia, in Dollar emittiert. Ihr Volumen sei 2015 umgerechnet um gut 60 auf 143 Milliarden Euro gestiegen. Größter Emittent in diesem Segment sei schon immer Großbritannien. Auch in China stießen die Papiere auf wachsendes Interesse: Dort seien 2015 umgerechnet rund 60 Milliarden Euro in ultralangen Bonds emittiert worden, das Vierfache des Volumens des Vorjahres, fügt de la Rubia hinzu.

Der HSH-Experte warnt aber davor, auf der Suche nach Rendite das Risiko aus den Augen zu verlieren. "Die Unsicherheiten auf diese langen Laufzeiten hin gesehen sind sehr groß. Wer weiß schon, ob es den Euro in ein paar Jahren überhaupt noch gibt?"

Reuters