Für die Börse war die Affäre Strache offensichtlich weniger aufregend als für die Medien. Der österreichische Leitindex ATX bewegte sich am Montag jedenfalls mehr oder weniger im Gleichschritt mit den anderen europäischen Börsen. Damit honorieren die Anleger die Entschlossenheit, mit der Bundeskanzler Sebastian Kurz die Angelegenheit managt, und die Aussicht, dass die ÖVP, die Partei des allgemein beliebten Kurz, bei den für September ­an­gesetzten Neuwahlen deutliche Zugewinne wird verbuchen können. Es gibt eine Blaupause: Als der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust im Clinch mit seinem Zweiten Bürgermeister Ronald Schill ("Richter Gnadenlos") im Dezember 2003 die Koalition auflöste, wuchs seine Popularität stark an, sodass er bei den Bürgerschaftswahlen im Februar 2004 erstmals für die CDU die ­absolute Mehrheit in der Hansestadt holte. Zur absoluten Mehrheit wird es für Kurz nicht reichen, aber deutlich gestärkt werden sich neue Koalitionsmöglichkeiten für ihn auftun.

In einigen Ländern wird bereits ab Donnerstag gewählt, in Deutschland erst am kommenden Sonntag. Der Europa-Wahlkampf geht hierzulande also in seine Schlussrunde, wobei es schwerfällt, die unterschiedlichen Positionen wahrzunehmen. Denn die etablierten Parteien haben außer proeuropäischen Manifestationen nichts zu bieten; ein Streit darüber, wie die EU und ihre In­stitutionen in Zukunft ausgestaltet werden sollen, findet nicht statt. So wird am Sonntag also nicht über unterschiedliche Konzepte in Sachen Europa abgestimmt, sondern die meisten Wähler werden ihrem innenpolitischen Unmut Luft machen. Es wird eine Denkzettelwahl für die Große Koalition, und die schwerste Ohrfeige wird die SPD kassieren, die aller Voraussicht nach deutlich hinter die Grünen zurückfallen wird. Die Frage ist, ob sie erst die sich abzeichnenden weiteren Niederlagen bei den Landtagswahlen im Herbst in Brandenburg, Thüringen und Sachsen abwarten will oder lieber gleich die Regierung verlassen wird. So oder so, auch in Deutschland zeichnen sich Neuwahlen ab.