von Herausgeber Frank-B. Werner
Auch wenn am vergangenen Sonntag nicht mal die Hälfte der Franzosen am ersten Durchgang der Parlamentswahlen teilgenommen hat, ist die Prognose, dass La République en Marche, die gerade erst gegründete Partei des vor gut einem Monat gewählten neuen Präsidenten Emmanuel Macron, in der Stichwahl am kommenden Wochenende die absolute Mehrheit der Mandate holen wird, nicht abwegig. Die Franzosen hätten dann wie nie zuvor das Mandat für einen Politikwechsel erteilt - und zwar nicht für ein radikales Konzept à la Le Pen, sondern für eine liberale Erneuerung der verkrusteten französischen Wirtschaft und Gesellschaft. Ab nächster Woche muss Macron liefern; der charmante, zum Optimismus mitreißende Wahlkämpfer muss sich als durchsetzungsstarker Präsident erweisen, der den Widerstand der Interessengruppen bricht. Das Schlimmste, was Frankreich passieren könnte, wäre ein Macron, der sich als Obama erwiese: all talk, no action.
An den Börsen hatte die Frankreich-Wahl praktisch keine Auswirkung - wie im Übrigen auch die britische Unterhauswahl in der vergangenen Woche oder die Spannungen um das Emirat Katar. Diese neue Gelassenheit, die sich seit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten an den Finanzmärkten eingestellt hat, ist bemerkenswert. Früher neigten Börsianer eher zu überschießenden Reaktionen, heute scheint sie zunehmende Unsicherheit nicht weiter zu stören. Für Privatanleger eine beruhigende Perspektive.
Das Ende der Niedrigzinsphase im Euroraum rückt in die Ferne: Die Europäische Zentralbank (EZB) nahm ihre Inflationsprognosen zurück. Denn Energie bleibt günstig, die weiter hohe Arbeitslosigkeit mindert den Lohndruck und die schwache Kapazitätsauslastung begrenzt Preiserhöhungen. Zudem will die EZB ihre Bondkäufe verlängern. Die ultralockere Geldpolitik wird uns also ein Jahr länger erhalten bleiben als bisher gedacht. Für Aktionäre ist das eine gute Nachricht, für Festzinssparer eine Katastrophe.