Immer mehr Experten glauben nicht an die offiziellen Zuwachsraten. Sie suchen nach besseren Methoden, um ein realistischeres Bild der Wirtschaftslage zu bekommen. Und mutmaßen, dass das Wachstum in Wirklichkeit deutlich geringer ist.

"Wir glauben, dass die Zahlen reine Fantasie sind", sagt Erik Britton vom unabhängigen Londoner Analysehaus Fathom Consulting. Er schätzt, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nach den USA dieses Jahr um lediglich 2,8 Prozent und nächstes Jahr nur noch um 1,0 Prozent zulegen wird. Das ist weit entfernt von den offiziellen Prognosen und auch den Schätzungen der meisten Ökonomen und des Internationalen Währungsfonds.

Fathom versucht die Komplexität in einem Riesenreich wie China zu reduzieren und konzentriert sich auf drei Größen: den Energieverbrauch, das Frachtvolumen auf der Schiene und die Kreditvergabe der Banken. Demnach habe sich das Wachstum seit Ende 2013 immer mehr von den offiziellen Daten entfernt. konstatiert das Analysehaus.

Sushil Wadhwani, der früher ein hochrangiges Mitglied der britischen Notenbank war und mittlerweile einen Vermögensverwalter gegründet hat, sagt, das Wachstum in China liege nach seinen Erkenntnissen zwischen 1,5 und rund fünf Prozent. Man könne aber nicht seriös kalkulieren, wie hoch genau. Den offiziellen Daten dürfe man jedenfalls nicht trauen.

Andere Fachleute schauen auf die zuletzt rückläufigen Importe, die sich nicht allein durch fallende Rohstoffpreise erklären lassen und die nicht zu einem kräftigen Wirtschaftswachstum passen. Das gilt auch für andere Faktoren: Der Konsum legt nicht mehr so stark zu, die Industrie schrumpft seit mehreren Monaten, und in den vergangenen Wochen wurde viel Geld am Aktienmarkt vernichtet.

UNKLARE BERECHNUNGSMETHODE



Das chinesische Statistikamt will sich aktuell nicht äußern. Zuletzt betonte es aber, die Daten seien verlässlich. Viele Kritiker verstünden die Methodik nicht richtig. Wie genau die Daten berechnet werden, dazu halten sich die Statistiker aber bedeckt.

In der Vergangenheit seien die Daten aus China inkonsistent gewesen, klagt Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Rechne man die Zahlen auf kommunaler Ebene aufs Land hoch, komme ein anderes Ergebnis heraus, als wenn man die Daten der Provinzen hochrechne.

Zweifel nährt allein bereits die Geschwindigkeit bei der Veröffentlichung der Daten. So werden sie in China oft zwei Wochen nach Quartalsende publiziert. Vergleichbare Daten aus dem viel kleineren Hongkong benötigen sechs Wochen, die deutschen Statistiker rechnen anderthalb Monate bis zu einem vorläufigen Ergebnis.

In den USA wird eine erste Schätzung zwei Wochen nach den chinesischen Daten zum Bruttoinlandsprodukt veröffentlicht - gefolgt von der zweiten Schätzung und den endgültigen Daten. Starke Revisionen sind dabei keine Ausnahme, zuletzt in den ersten drei Monaten des Jahres, als aus einem leichten Plus nachträglich ein klares Minus wurde. So etwas passiert in China so gut wie nie.

Im Reich der Mitte betrug das Wachstum dagegen in den ersten beiden Quartalen des Jahres 7,0 Prozent - punktgenau die Prognose der Regierung, obwohl es starke Schwankungen bei den Rohstoffpreisen und an den Immobilien- und Finanzmärkten gab. Zweifel an der Wirtschaftsstärke der Volksrepublik spiegeln sich auch im jüngsten Börsen-Crash wider.