Öl-Verkäufer müssen damit Geld zahlen, dass ihnen jemand den Rohstoff abnimmt. Experten sprachen von technischen Gründen für den Kollaps. Allerdings zeige sich, dass die Corona-Krise schwerere Schäden mit sich ziehe als erhofft: "Die Krise zerstört die Nachfrage nach Energie, und ohne eine Frist für den Einstieg aus den harten Eindämmungsmaßnahmen in den Industriestaaten leidet der Markt unter chronischer Überversorgung", sagte Artur Baluszynski, Chefanalyst beim Vermögensverwalter Henderson Rowe.

Der Preis für den Juni-Kontrakt gab nach. Nordseeöl der Sorte Brent kostete ein Viertel weniger und wurde bei Preisen von weniger als 20 Dollar das Barrel gehandelt. Aktien gerieten unter Druck. Auch die Währungen von Ölförderländern gehörten zu den Verlierern.

"Die durch COVID-19 zerstörte Nachfrage trifft auf eine langsamere Wiederbelebung der US-Wirtschaft als erwartet", sagte Edward Moya, Marktanalyst beim Brokerhaus Oanda. Die US-Wirtschaft ist fast zum Stillstand gekommen, mehr als 22 Millionen Menschen beantragten im März erstmals Arbeitslosenhilfe. US-Präsident Donald Trump erklärte, seine Regierung erwäge, kein Öl aus Saudi-Arabien mehr zu importieren, um die unter dem massiven Nachfragerückgang leidende heimische Schieferölbranche zu unterstützen. Zudem sollen die staatlichen Lagerstätten genutzt werden, um das überschüssige Öl unterzubringen. Wegen des Preisrückgangs droht eine Pleitewelle in der Branche.

Derzeit wird weltweit etwa ein Drittel weniger Öl abgesetzt als ohne Krise zu erwarten wäre. Die Mitgliedsländer der Opec-Staaten und Verbündete haben sich zwar darauf geeinigt, die Förderung um 9,7 Millionen Barrel pro Tag zu drosseln, doch die Kürzung erfolgt nicht vor Mai und dürfte nicht ausreichen, um das Gleichgewicht am Markt wieder herzustellen. Die Lagerbestände in den USA sind bereits jetzt gut gefüllt; Experten zufolge dürften sie in der vergangenen Woche um etwa 16,1 Millionen Barrel gestiegen sein.

Die wichtigste Lagerstätte in Cushing, Oklahoma, dürfte binnen weniger Wochen voll sein. Schon jetzt suchen Händler weltweit nach Möglichkeiten, das Öl unterzubekommen. Immer mehr Tanker werden als schwimmende Lager genutzt; Insidern zufolge verdoppelte sich die dort geparkte Rohölmenge binnen zwei Wochen auf den Rekordwert von 160 Millionen Barrel. Erschwert wird die Lage für die Schieferölproduzenten auch dadurch, dass die Förderung nicht schnell gestoppt werden kann.

MARKTMANIPULATION MÖGLICH


Experten machen allerdings auch Sondereffekte für den Kollaps des Mai-Kontrakts verantwortlich. Commerzbank-Rohstoffanalyst Eugen Weinberg sprach von einem "wahnsinnigen komplett unmöglichen Preisrückgang". "Natürlich gibt es sehr viele Versuche, das Geschehen fundamental einzuordnen, ob durch überschwemmende Lagerbestände oder einen noch nie dagewesenen Nachfrageeinbruch in den USA. Doch sie laufen alle ins Leere", sagte der Fachmann. Viel wahrscheinlicher sei es, dass die Panne einen technischen Hintergrund habe: "Wir führen dies auf eine Kombination aus Zwangsliquidationen eines oder mehrerer Großanleger und eine Preismanipulation zurück." Nach dem Auslaufen des Kontrakts dürfte ab Mittwoch wieder etwas mehr Normalität am Markt herrschen. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es in ein paar Wochen wieder zu derartigen Turbulenzen komme.

rtr