BÖRSE ONLINE: Mittlerweile kritisieren sogar die Republikaner US-Präsident Donald Trumps Auftritt im ersten TV-Duell der Präsidentschaftswahlen. Ist die erste Debatte ein Wendepunkt im Wahlkampf?
Philipp Vorndran: Ja, aber ich würde es nicht auf die Erfolgsaussichten der beiden Protagonisten beziehen, sondern die USA als Ganzes. Das TV-Duell hat der Demokratie insgesamt geschadet!

Die erste Debatte verlief überwiegend chaotisch. Was erhoffen Sie sich vom kommenden TV-Duell?
Ich würde mir wünschen, dass der Moderator weit besser vorbereitet ist als er das beim ersten Duell war.

Welchen Einfluss hätte eine Nachbesetzung der verstorbenen Ruth Bader Ginsburg im Supreme Court vor dem 3. November auf die Wahl?
Ich denke nicht, dass man das abschätzen kann - ich würde das aber auch nicht überwerten.

Wenn die von Trump vorgeschlagene Amy Coney Barrett die Nachfolge Ginsburgs im Supreme Court antritt, wird ein bislang liberal besetzter Posten konservativ. Was würde das für die USA bedeuten?
Das Problem ist doch, dass die Besetzung des Verfassungsgerichts immer politischen Interessen folgt - in den USA wie auch in Deutschland. Wobei "liberal" in den USA "sozialdemokratisch bzw. progressiv" bedeutet. Im Ergebnis überdauert das konservative Element in der US-Gesetzgebung die Amtszeit Trumps, bis dann irgendwann ein "konservativer" Richter ausscheidet, während ein demokratischer Präsident im Weißen Haus sitzt. Schlussendlich wäre es am besten, wenn das Gericht aus einem unabhängigen Beratergremium bestünde.

Als langfristige Profiteure eines Präsident Bidens gelten Unternehmen und Aktien aus den Bereichen Energieeffizienz, Smart Mobility und erneuerbare Energien. Bei einer Wiederwahl Trumps wären Bereiche wie Energie, Healthcare und Banken Gewinner. Was wäre für die US-Wirtschaft besser und weshalb?
Aus Investorensicht ist uns das tatsächlich egal. Wir schauen nicht auf Sektoren, sondern auf einzelne Unternehmen und deren Qualität. Alles andere ist zweitrangig.

Joe Biden plant eine Anhebung der Körperschaftssteuer von 21 Prozent auf 28 Prozent. Donald Trump strebt weitere Steuersenkungen an. Nach dem Wahlsieg von Trump 2016 und den damaligen Steuersenkungen kletterten die Börsen auf Höchststände. Ist ein erneuter Wahlsieg von Trump die Hoffnung vieler Börsianer?
Nein! Viel entscheidender ist der Befund, dass weder Trump noch Biden etwas an den fundamentalen Kapitalmarkt-Treibern ändern werden - weil sie es auch gar nicht können. Die Zinsen werden tief bleiben. Es wird angesichts Covid-19 weitere, groß dimensionierte Konjunkturprogramme geben. Und auch der Konflikt mit China wird nicht verschwinden. Ob Trump die Steuern senkt, Biden dafür ein größeres Konjunkturpaket schnürt ist für die US-Wirtschaft letztlich egal. Zumal ich davon ausgehen würde, dass Biden die Unternehmenssteuerreform auch nicht komplett rückabwickeln würde, sollte er die Wahl gewinnen. Vor 2022 dürfte da nichts passieren.

In den Verhandlungen über neue Corona-Hilfen wurde ein Paket mit einem Volumen von mehr als 1,5 Billionen Dollar vorgeschlagen. Die Demokraten fordern ein größeres Paket mit einem Umfang von 2,2 Billionen Dollar. Wie dürften die Verhandlungen weitergehen?
Es wird weitere Hilfen geben zulasten der finanziellen Solidität. Das Fragewort lautet in diesem Zusammenhang nicht "ob", sondern "wann" und "wieviel".

Präsident Trump sät Zweifel an der Briefwahl. Es droht eine wochenlange Unsicherheit, bis das finale Ergebnis feststeht. Börsianer fürchten nichts mehr als Unsicherheit. Droht hier also eine wochenlange Talfahrt an den Börsen?
Möglich ist Vieles. Vielleicht ergibt sich aus Investorensicht eine tolle Kaufgelegenheit. Ich würde mir aber wünschen, dass die Wahl ordnungsgemäß, vor allem friedlich abläuft, mit einem eindeutigen Ergebnis. Um weiteren Schaden für die US-Demokratie zu verhindern.