"Am Markt glaubt man nicht an eine baldige Stabilisierung der Nachfrage", sagte Marktanalyst Milan Cutkovic vom Brokerhaus AxiTrader. "Der OPEC-Deal hat den Absturz der Preise nur leicht verzögert, konnte ihn aber nicht verhindern."

Die großen Exportländer hatten sich vorvergangene Woche auf den Drosselung der Fördermengen ab Mai um knapp zehn Millionen Barrel pro Tag geeinigt. Die Internationale Energie-Agentur IEA taxiert allerdings die Nachfrage-Rückgang durch die Beschränkungen des öffentlichen Lebens im April auf 29 Millionen Barrel pro Tag.

Daher befürchten Anleger, dass die Tanklager-Kapazitäten bald erschöpft sind. In den vergangenen Wochen stiegen die US-Bestände um knapp 20 Prozent und liegen mit gut 500.000 Millionen Barrel auf dem höchsten Stand seit etwa drei Jahren. Das Rekordhoch von 2017 ist nur noch etwa 35.000 Millionen Barrel entfernt. Gleichzeitig werden immer mehr Tanker als schwimmende Lager genutzt. Insidern zufolge verdoppelte sich die dort geparkte Rohölmenge binnen zwei Wochen auf den Rekordwert von 160 Millionen Barrel. Experten schätzen, dass in ein bis zwei Monaten Tanks weltweit zum Überquellen gefüllt sein werden.

PREISKRIEG VERSCHÄRFT TURBULENZEN AM ÖLMARKT


In den vergangenen Monaten ist der Preis für WTI um fast drei Viertel abgestürzt. Verschärft wurde der Verfall durch den Preiskrieg zwischen den großen Förderländern Saudi-Arabien und Russland. Weil sich die "Opec+", zu der neben den Mitgliedern des Exportkartells weitere Förderländer wie Russland gehören, Anfang März nicht auf eine Förderbremse einigen konnte, drehte Saudi-Arabien den Ölhahn zeitweise bis zum Anschlag auf. Dies brockte WTI und der Ölsorte Brent aus der Nordsee anschließend einen Tagesverlust jeweils knapp 25 Prozent ein.

Ein Ende der Talfahrt sei nicht in Sicht, warnte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Preis für WTI auf zehn Dollar fällt." Der entscheidende Faktor seien die Fördermengen in den USA, die nicht zur "Opec+" gehören. Zwar sei die Zahl der US-Bohrungen im Vergleich zu ihrem Hoch von Dezember 2018 um gut die Hälfte zurückgegangen, liege aber noch knapp 40 Prozent über dem Tief von 2016. "Das Besondere hierbei ist, dass man nicht einfach einen Schalter umlegen kann." Wegen des technisch aufwendigen Fracking-Verfahrens und vertraglicher Verpflichtungen dauere die Stilllegung einer Bohrung einige Zeit. US-Schieferölförderer haben bereits Investitionen drastisch zusammengestrichen, um Kosten zu sparen. Sie benötigen Experten zufolge einen Ölpreis von etwa 50 Dollar, um profitabel zu arbeiten. Einige Firmen mussten bereits aufgeben.

Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets warnte allerdings davor, den aktuellen WTI-Preissturz überzubewerten, da hier technische Faktoren eine Rolle spielten. "Die Lieferpreise im Mai dürften aufgrund der Tatsache, dass die USA gerade 97 Prozent der Menschen unter Lockdown stellt, sehr gering ausfallen." Bei den Terminkontrakten für Juni und Juli sei die Lage weniger dramatisch. Sie kosteten 23,01 und 27,96 Dollar.

rtr