Eine Samstagnacht im September: In der Speicherstadt am Hamburger Hafen stürzt eine Frau mit ihrem elektrischen Tretroller, kurz E-Scooter genannt. Laut Feuerwehr wird sie mit Verdacht auf Oberschenkelbruch in ein Krankenhaus gebracht, vermutlich hatte sie die Kon­trolle über das Gefährt verloren.

Solche Missgeschicke häufen sich, seitdem E-Scooter im Juni eine offizielle Zulassung erhielten. Angenommen, die Fahrerin war selbst schuld und es kommt zu bleibenden Schäden, dann wäre dies eine typische Angelegenheit für eine private Unfallversicherung, wenn die Frau denn eine abgeschlossen hätte.

Solche Policen sind für Versicherer ein gutes Geschäft, weil oft andere Absicherungen greifen - im geschilderten Fall beispielsweise die Kfz-Haftpflicht, wenn ein Autofahrer den Sturz verschuldet hätte. Das tut der Beliebtheit dieser Verträge bei der Kundschaft aber keinen Abbruch, immerhin gibt es 25,4 Millionen Kontrakte in Deutschland.

Speziell die private Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr war früher der Renner. Sie verkaufte sich bei Eltern und Großeltern wie von selbst, da es aussah, als gäbe es den Unfallschutz gratis zu einer Ausbildungsversicherung dazu. Dass solche Policen deutlich teurer waren als einfache Unfallversicherungen, fiel beim Kalkül "Alles zurück" kaum ins Gewicht. Der auf ein Viertel geschrumpfte Rechnungszins macht das Erfolgsprodukt heute jedoch fast unverkäuflich. Da eine solche Police die Unfalldeckung mit einer Lebensversicherung koppelt, ist sie allenfalls noch mit einem Sparbuch konkurrenzfähig und ähnlich pflegeleicht.

Kritiker bemängeln zudem die ungenügende Deckung. Und dass bleibende Schäden durch Unfälle sehr viel seltener sind als solche durch Krankheiten. Anders als viele annehmen, zahlt die Versicherung längst nicht bei jedem Unfall, sondern nur für dauerhafte Schäden. Die körperliche Beeinträchtigung, auch Invalidität genannt, muss über drei Jahre vorhanden sein und keine Besserung erwarten lassen. Zudem muss die Ursache stimmen. Standard ist "Einwirkung von außen". Einige Policen schließen auch andere Leistungsauslöser ein.

Spätestens hier wird es kompliziert. Das zeigt ein Überblick der Ratingagentur Ascore. Für die Produktwelt 2018 listet sie auf, dass nur zwei von drei Anbietern Eigenbewegungen als Leistungsauslöser anerkennen. Wer durch Schlaganfall oder Herzinfarkt bewusstlos wird, ist längst nicht bei allen versichert. Ebenso wenig bei kleinen Infektionen, die sich entzünden, bei Lebensmittelvergiftungen oder Impfschäden. Beim Leistungsumfang sind Organschäden, Zähne oder kosmetische Operationen nicht immer dabei. In der Liste der kleinen, aber wichtigen Unterschiede fällt auf, dass nur 29 von 71 Tarifen bei Senioren Oberschenkelhalsbruch als Leistungsfall ansehen. Tipp: das Kleingedruckte prüfen.

Die Grundsätze. Wie viel für bleibende Schäden bezahlt wird, bestimmt die Gliedertaxe. So nennt man eine ellenlange Liste, die vom Verlust des kleinen Fingers über den der kompletten Arme und Beine bis hin zum Verlust von Auge und Geruchssinn angibt, wie viel Prozent Invalidität der jeweilige Verlust entspricht. Die Zuordnungen können dabei je nach Anbieter und Tarif deutlich variieren - beim Verlust eines Auges etwa von 50 bis 80 Prozent. Zudem gelten sie nur für den Totalausfall. Behält etwa ein Auge noch die Hälfte der Sehkraft, wird auch der Prozentsatz halbiert. Und: Die klassische Unfallpolice ist eine Summenversicherung. Sie zahlt auf Basis eines Sockelbetrags je nach Invaliditätsgrad, vereinbarter Progression und Todesfallsumme.

Stichwort Progression. Unter Progression versteht man eine Vervielfachung der Leistung bei schweren Unfallfolgen. Weniger als 225 oder 350 Prozent Progression sind nicht ratsam, besser sind 500 Prozent. "Die hohe Progression macht das Produkt erst attraktiv", sagt Versicherungsexperte Thomas Adolph (siehe Interview). "Leichte Verletzungen haben selten untragbare Folgekosten." Doch Vorsicht: Eine hohe Progression ­garantiert nicht automatisch die höchste Leistung. Je nach Anbieter steigt sie bei zunehmend schwerer Behinderung steiler oder flacher an. Man muss daher genau nachrechnen. Wer sich nicht von einem Experten beraten lassen will, kann anhand der Summen beim Verlust von Gehör, Fuß und Arm das Zusammenspiel von Progression und Gliedertaxe einigermaßen gut einschätzen.

Neue Varianten. Zudem gibt es Unfallpolicen, die wie eine gegnerische Haftpflicht funktionieren. So trägt etwa bei "Unfall Individual" der Bayerischen oder "Gleichgewicht" der Prokundo (Volkswohl Bund) der Versicherer alle Schäden, als ob er den Unfall verursacht hätte. Das gilt gegebenenfalls auch ein Leben lang - und umfasst Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Umbaukosten, Haushaltsführungskosten, Pflegekosten, aber auch Einbußen bei Rente und Einkommen. Der Invaliditätsgrad spielt keine Rolle, ­jedoch sind auch hier die versicherten Leistungsauslöser zu prüfen.

Bei klassischen Tarifen gibt es Vollsortimenter wie den Tarif "Gold" der Basler. Hier kann man ein breites Leistungsspektrum mit vielen Erweiterungen optimieren wie dem Umknicken beim Tennis, dem Sekundenschlaf im Straßenverkehr oder Tröpfchen-, Kontakt- und Schmierinfektionen. Bei Unfällen von Kindern sind sechs Monate Nachhilfe und Rooming-in im Krankenhaus beitragsfrei inbegriffen. Schwerverletzte müssen nicht "ewig" warten, und der Reha-Manager wird bezahlt; hinzu kommen Leistungen bei kosmetischen Operationen. Damit sind nicht nur sportliche Rollerfahrer rundum abgesichert.

Interview: "Großer Unfall - viel Geld"


Der Versicherungsexperte und ­Betreiber des Internetportals, gesetzlichekrankenkassen.de ­Thomas Adolph erläutert, worauf Verbraucher bei privaten Unfall­policen achten sollten.

€uro: Wann ist eine private ­Unfallversicherung sinnvoll?
Thomas Adolph: Wenn existenzielle Risiken wie Haftpflicht und Berufsunfähigkeit schon versichert sind. Übrigens: Für Kinder und Senioren gelten andere Vorgaben, auch für Personen die ­keinen Berufsunfähigkeits-Schutz erhalten. Hier sind gute günstige Unfall­policen gefragt.

Worauf muss man achten?
Dass große Schäden überproportional hoch bezahlt werden. Denn der Verlust des kleinen Fingers hat keine substanziellen finanziellen Folgen, ­eine Querschnittslähmung aber sehr wohl.

Wie kann man das erkennen?
An der Progression. Sie kann bei Voll-Invalidität 500 Prozent der vereinbarten Versicherungssumme zusichern. Der verlorene Finger dagegen bedeutet laut Gliedertaxe nur zehn Prozent Invalidität und würde damit nur die Grundsumme "einbringen".

Was sollte man vermeiden?
Kostentreibende Zusätze wie ­Genesungsgeld, Unfall-Krankenhaustagegeld und die Beitragsrückgewähr, die zu teuer ist.