Wenn nötig, könne es auch ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe geben. Die oppositionellen Sozialdemokraten der CHP sprachen indes von Rechtsverstößen bei dem Votum und forderten, bis zu 60 Prozent der Stimmen müssten neu ausgezählt werden.

Nach der geplanten Verfassungsänderung könnte Erdogan per Dekret regieren, den Ausnahmezustand beschließen, das Parlament auflösen und Minister entlassen. Erdogans islamisch-konservative Partei AKP hat argumentiert, die Änderungen seien nötig, um in unruhigen Zeiten eine starke Führung zu garantieren. Gegner des Vorhabens - etwa die pro-kurdische HDP und die CHP - warnten indes vor einer zunehmend autoritären Führung. Kritiker sehen Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte in Gefahr.

Während Unterstützer Erdogans den Ausgang des Referendums mit schwenkenden Fahnen feierten, gab es in einigen Vierteln Istanbuls Proteste. Medienberichten zufolge stimmten in den drei größten Städten der Türkei - Istanbul, Izmir und Ankara - mehr Menschen mit "Nein" als mit "Ja".

Ministerpräsident Binali Yildirm sagte vor Anhängern in der Hauptstadt Ankara, die Türkei eröffne nun ein neues Kapitel ihrer demokratischen Geschichte. Die Verfassungsänderung sei die beste Antwort auf die Hintermänner des Putschversuchs von Mitte 2016, auf militante Kurden und all jene ausländischen Kräfte, die gegen die Türkei seien. Die neue Verfassung wäre die radikalste Veränderung seit Ausrufung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923.

Türkische Medien hatten nach Schließung der Wahllokale damit begonnen, Zwischenergebnisse bekanntzugeben. Dabei war zunächst noch von 63 Prozent Zustimmung berichtet worden, die Zahl schmolz dann aber stetig ab. Vize-Ministerpräsident Veysi Kaynak sagte noch vor Auswertung aller Stimmzettel, das "Ja-"Lager habe weniger Zustimmung erhalten als erwartet. Letzte Umfragen hatten auf einen leichten Vorsprung für seine Unterstützer hingedeutet.

KLUFT IN DER BEVÖLKERUNG



Dem Sender Habertürk zufolge lag die Wahlbeteiligung bei 86 Prozent. Die Wahlbehörde teilte mit, das "Ja"-Lager habe 1,25 Millionen Stimmen Vorsprung, bei 600.000 noch auszuzählenden Stimmen. Das offizielle Ergebnis solle in elf bis zwölf Tagen vorliegen. Die CHP erklärte, die erst in letzter Minute getroffene Entscheidung der Behörde, von ihr nicht abgestempelte Stimmzettel trotzdem als gültig zu akzeptieren, werde ein "schweres Legitimitätsproblem" zur Folge haben. Man behalte sich Rechtsmittel vor.

Zu der Abstimmung waren rund 55 Millionen Türken aufgerufen, darunter 1,4 Millionen in Deutschland. Die AKP warb auch um Stimmen im Ausland. Darüber kam es mit Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zum Streit, zum Teil wurden Minister-Auftritte untersagt. Erdogan warf der deutschen und der niederländischen Regierung "Nazi-Methoden" vor.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erklärte nach dem Referendum, man sei gut beraten, jetzt kühlen Kopf zu bewahren. "Es ist gut, dass der so erbittert geführte Wahlkampf, auch bei uns in Deutschland, jetzt vorbei ist."

Erdogan riskiert mit der Verfassungsänderung eine noch tiefere Kluft in der Bevölkerung und den Konflikt mit Verbündeten. Das Land ist Nato-Mitglied. Zu dem angestrebten EU-Beitritt äußerte sich Erdogan zuletzt aber zurückhaltend. Sollte es zur Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei kommen, scheint ein Beitritt aussichtslos. In der Türkei gilt auch neun Monate nach dem Putschversuch noch immer der Ausnahmezustand. Mehr als 113.000 Beschäftigte bei Polizei, Verwaltung und Justiz wurden entlassen oder beurlaubt. Tausende Menschen wurden festgenommen. Vielfach wurde Erdogan vorgeworfen, überzogen auf den Putschversuch zu reagieren, für den er politische Gegner verantwortlich macht.

Erdogan zufolge sollen nach der Verfassungsänderung auch Wirtschaftsreformen leichter umzusetzen sein. Die Wirtschaft werde um sechs Prozent im Jahr wachsen, hat die Regierung erklärt. 2016 waren es 2,9 Prozent. Der Putschversuch im Juli hat die Entwicklung im einstigen Boom-Land gebremst: Touristen blieben aus. Die Lira stürzte ab. Die Inflation ist mit mehr als elf Prozent so hoch wie seit 2008 nicht mehr. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 13 Prozent. Nach der Änderung der Verfassung würde der Präsident auch über den Etat bestimmen. Ökonomen sind aber skeptisch. Die Regierung habe mehrfach Reformen zugesagt, sagte etwa William Jackson von Capital Economics in London. "Wir haben nie gesehen, dass etwas passiert wäre - das war in den vergangenen sechs oder sieben Jahren so. Ich bin da nicht sehr optimistisch."

rtr