Je länger eine Hausse dauert, umso größer wird die Gefahr, dass sie endet. Seit der Lehman-Krise sind mehr als elf Jahre ins Land gegangen. Nur zwischen 1988 und 2000 dauerte ein Bullenmarkt noch etwas länger, allerdings nur, wenn man die Kurseinbrüche von 1997 (Asienkrise) und 1998 (Russlandkrise, Platzen des Hedgefonds LTCM) noch unter der Kategorie "normale Korrektur" verbucht. Und wie ist es jetzt? Der bekannteste US-Index Dow Jones hat in diesem Jahr mit 27 000 Punkten einen neuen Rekord erreicht, der S & P 500 steht nahe 3000, der DAX um die 12 000 Punkte.

Neue Rekorde untermauern die These, dass es langfristig keine bessere Anlageform als Aktien gibt. Trotzdem mehren sich die kritischen Stimmen. Die Bewertungen sind hoch - zumindest in den USA. Die Verschuldung hat weltweit das Niveau der Finanzkrise 2008/09 weit überschritten. Prominente Börsianer wie Max Otte und Dirk Müller erwarten deshalb bereits seit geraumer Zeit Ungemach. Vergangene Woche erhielten sie prominente Unterstützung. Die neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) warnte von einer schweren Finanzkrise. In ihrer ersten Rede als Nachfolgerin von Christine Lagarde sprach Kristalina Georgiewa von "massiven Gefahren durch die hohe Unternehmensverschuldung".

Sollte es zu einem heftigen Abschwung kommen, sind ihrer Ansicht nach Unternehmenskredite im Wert von 19 Billionen Dollar ausfallgefährdet. Stress an den Kapitalmärkten wäre demnach programmiert. Doch wie misst man Stress? Die US-Amerikaner Craig Hakkio und William Keeton von der Federal Reserve Bank of Kansas City haben nach der Finanzkrise im Jahr 2009 einen Indikator entwickelt, der eine Crash-Gefahr frühzeitig anzeigen soll, den "Kansas City Financial Stress Index" - kurz KCFSI oder einfach Stress-Index.

Die beiden Finanzmarktforscher untersuchten Anlegerverhalten und Kapitalflüsse in den Anleihe- und Aktienmärkten vor und während großer Finanzmarktkrisen. Vereinfacht ausgedrückt sind dann drei Merkmale zu beobachten: 1. erhöhte Verunsicherung der Anleger, 2. Flucht in Qualität, 3. Flucht in Liquidität.

Ein weiterer Indikator ist die AdvanceDecline-Linie, die hierzulande während des Platzens der Technologieblase in den Jahren 2000 bis 2003 traurige Berühmtheit erlangte. Der erfolgreiche Fondsmanager Jens Ehrhardt hatte bereits 1998 viele Aktien abgestoßen und wurde deshalb zwei Jahre lang belächelt. Am Ende bekam er doch recht, was seine heutige Popularität nicht unwesentlich mitbegründet hat. Ehrhardt hatte als einer der Ersten festgestellt, dass seit 1998 die Anstiege an den Aktienmärkten nur noch von wenigen Aktien getragen wurden, aber nicht mehr von der Mehrzahl der Unternehmen.

Während Börsenlieblinge wie SAP, Nokia, Cisco und Microsoft weiter von Hoch zu Hoch kletterten, blieb die Mehrzahl der Firmen hinter dieser Entwicklung zurück. Die Advance-Decline-Linie (siehe Seite zwei) entwickelte sich also gegenläufig zu den Aktienindizes. Die Baisse hatte schon begonnen, nur hatte es kaum jemand bemerkt. Die gute Nachricht: Aktuell deutet weder der Stress-Index noch die Advance-Decline-Linie auf einen Bärenmarkt oder gar einen Crash hin.

Kurzfristig ist die Lage passabel

Die Lage ist kurzfristig möglicherweise besser als die Stimmung. Mittel- bis langfristig sollte man jedoch die Warnung von IWF-Chefin Georgiewa nicht in den Wind schreiben. Die 19 Billionen US-Dollar an Unternehmenskrediten, die nach ihren Berechnungen im Feuer stehen, entsprechen fast der gesamten US-Wirtschaftsleistung eines Jahres, der mit Abstand größten Volkswirtschaft der Erde (das Bruttoinlandsprodukt betrug 2018 etwa 20,5 Billionen Dollar). Die Bulgarin geht außerdem davon aus, dass eine Rezession unmittelbar bevorsteht: "Die Vorhersagen für nächstes und übernächstes Jahr zeigen, dass dieser Abschwung das Bruttosozialprodukt von 90 Prozent aller Staaten betreffen wird." Dazu passt der Hinweis des Investmenthauses Crescat Capital, dass das Wort "Rezession" aktuell so oft gegoogelt wird wie zuletzt im Jahr 2008.

Die nächste Krise kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, die Frage ist nur: wann? Um eine Rezession zu verhindern, haben die Notenbanken in allen großen Volkswirtschaften massiv Liquidität in die Märkte gepumpt. Die Zinsen notieren fast überall nahe null (in Deutschland und der Schweiz sogar darunter). Die Zentralbanken haben in großem Umfang Anleihen von Staaten und Unternehmen aufgekauft und sich dadurch in eine Sackgasse manövriert. Sie können kaum die Zinsen anheben, da sie dadurch sogenannte Zombie-Firmen in die Pleite treiben würden. Ganz davon abgesehen, dass einige Staaten in massive Schwierigkeiten kämen.

Andererseits können viele Banken bei Nullzinsen kaum auf Dauer überleben, da ihr Geschäftsmodell dann nicht mehr richtig funktioniert. Die Banken finden auch im Stressindikator der Notenbank von Kansas City besondere Beachtung, da sie für eine funktionierende Volkswirtschaft eine unerlässliche Basis sind. Ein schlechtes Zeichen ist beispielsweise gegenseitiges Misstrauen zwischen Banken, wenn sie sich untereinander weniger Geld leihen. Zuletzt musste die US-Notenbank mehrfach eingreifen, um zu verhindern, dass der Interbankenmarkt (wie vor der Krise 2008) zum Erliegen kommt.

Eine Bankenkrise ist möglich

Ein Alarmsignal ist aber vor allem, was sich in der europäischen Bankenlandschaft abspielt. Allein die Kurse von Commerzbank und Deutsche Bank geben genug Anlass zur Sorge. Finanzkrisen können verschiedene Gestalten annehmen: Staatsbankrott, Bankenpleiten und Währungskrisen. Derzeit sieht es am ehesten nach einer Bankenkrise aus.

Um nicht unvorbereitet in die nächste Krise zu schlittern, sollten Anleger neben dem Stress­-Index auch die Geldströme im Auge behalten. Typisch sind die im Kansas-Stress-Indikator genannten Fluchtbewegungen in Qualität und Liquidität. In den zurückliegenden Krisen floh das Kapital meist in die stabilsten Währungen in den am höchsten entwickelten Volkswirtschaften, früher oftmals in die D-Mark oder den Schweizer Franken - in der jüngeren Vergangenheit waren es aber meist der US-Dollar und Gold. Wie es bei der nächsten Krise sein wird, ist reine Spekulation, aber vermutlich wird am US-Dollar erneut kein Weg vorbeiführen.

Den Amerikanern gehört, gemessen am Börsenwert, mehr als die Hälfte des Produktivkapitals der Welt. Aus den USA kommen Amazon, Alphabet, Apple, Facebook, Microsoft und diverse Großbanken. Das Land besitzt zudem Öl, Gas und immer noch den größten politischen und militärischen Einfluss weltweit. Die USA sind zudem in ihrer eigenen Währung verschuldet und können im Prinzip so viel Geld erzeugen, wie sie wollen. Was für Gold spricht. Denn Gold gilt als klassische Krisenwährung und wird seit Monaten von Ray Dalio, einem der berühmtesten Hedgefondsmanager weltweit, zur Diversifizierung von Aktiendepots empfohlen. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich das Edelmetall vor allem in schwächeren Phasen des Aktienmarkts gut entwickelt. Wie Dalio Gold, Anleihen und Aktien zu einem weitgehend krisensicheren Portfolio mischt, erfahren Sie im unten stehenden Kasten. Mit seinem Allwetter-Portfolio können Anleger der nächsten Krise einigermaßen gelassen entgegensehen. Egal, wann sie kommt.


Das Allwetter-Portfolio: Einfach und stressfrei


Ob es in absehbarer Zeit wieder eine Krise geben wird, vermag niemand zu sagen. Die Zeichen stehen aktuell auf Rezession, aber wie die Börse da­rauf reagiert, weiß man erst, wenn es so weit ist. Die Szenarien reichen von "Schlimmer und schneller als 2008" bis hin zu "Langsame Stagnation wie in Japan ab 1990". Vielleicht lassen sich die Rezession und die zahlreichen anderen Probleme auch noch abwenden und die Hausse am Aktienmarkt geht noch einige Jahre weiter. Aber Vorsicht: Der Crash kommt meist ohne Vorwarnung, und jede Krise ist in irgendeiner Form anders als die vorangegangene.

Gut aufgestellt

Für Anleger empfiehlt es sich, für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Eine gute Möglichkeit dazu bietet das Allwetter-Portfolio von Ray Dalio. Dalio ist ein amerikanischer Unternehmer, Milliardär, Philanthrop und Gründer des Hedge­fonds Bridgewater Associates. In den 1990er-Jahren tüftelte er an einem Portfolio, das jede Börsenphase gut überstehen sollte. So entstand 1996 das Allwetter-Depot, das aus 55 Prozent Staatsanleihen, 35 Prozent Aktien und 15 Prozent Rohstoffen besteht, von denen Gold die Hälfte ausmacht. Rückrechnungen zeigen, dass die durchschnittliche Jahresrendite bei mehr als sieben Prozent gelegen hätte.

Größere Einbrüche gab es kaum. Der größte Jahresverlust seit 1988 lag bei 3,9 Prozent. Grund dafür ist der hohe Anteil an US-Staatsanleihen - insgesamt 55 Prozent. Auch bei den mit 30 Prozent gewichteten Aktien vertraut Dalio größtenteils seinem Heimatmarkt. Europäische Anleger müssten bei der exakten Nachbildung also das Dollar-Risiko ins Kalkül ziehen. Das lässt sich durch die Wahl eines ETFs auf den MSCI-World-Index statt auf den S & P 500 ein wenig abmildern und sollte nicht zu merklichen Unterschieden in der Performance führen.

Breiter zu streuen und auch europäische Anleihen mit einzubeziehen, macht allerdings derzeit wenig Sinn. Denn die Zinsen im Euroraum sind bereits im negativen Bereich angelangt, weshalb Anleihen bonitätsstarker Länder - anders als in den USA - eher an der Rendite nagen, als Ertrag zu bringen. Ohnehin könnten lang laufende Anleihen, die in den vergangenen 30 Jahren als Risikopuffer zu Aktien gedient haben und in Dalios Portfolio sichere Renditebringer waren, in Zukunft das größte Risiko darstellen. Wir haben deshalb zwei Abwandlungen getestet: In einer Rückrechnung bis 1988 haben wir den Anteil an Staatsanleihen auf ein Drittel reduziert und der Einfachheit halber ebenfalls je 33,3 Prozent Gold und Aktien ins Portfolio aufgenommen. Eine noch extremere Variante besteht darin, Anleihen komplett wegzulassen und nur jeweils 50 Prozent Gold und 50 Prozent Aktien ins Depot zu nehmen. Das frappierende Ergebnis: Die Wert­entwicklung des Portfolios mit jeweils einem Drittel Gold, Aktien und Anleihen unterscheidet sich kaum von Dalios Original. Das anleihefreie Portfolio aus jeweils 50 Prozent Aktien und Gold schneidet auf lange Sicht deutlich besser ab als die beiden anderen, schwankt aber auch erheblich stärker. Es ist deshalb weniger ein Allwetter-Portfolio als vielmehr die Abwandlung für risikofreudige Anleger.

Die Gewichtung muss in allen drei Varianten am Jahresanfang wieder zurückgesetzt werden. Dadurch ist man gezwungen, die Anlageklasse nachzukaufen, die gefallen ist, und diejenige abzubauen, die sich am besten entwickelt hat. Durch diese einfache Systematik vermeidet man den Fehler vieler Börsenneulinge, an Hochpunkten einzusteigen und an Tiefpunkten frustriert das Handtuch zu werfen.









Mehr Informationen zur Advance-Decline-Linie hier auf Seite zwei

Die Advance-Decline-Linie: Bislang kein Alarmsignal


Die Advance-Decline-Linie (oder kurz: A/D-Linie) gehört zur Gruppe der Marktbreite-Indikatoren. Sie setzt die Anzahl der gestiegenen Aktien ins Verhältnis zur Anzahl der gefallenen. Da die Aktien quasi nur gezählt werden, gibt es im Unterschied zu den gängigen Indizes keine Gewichtung nach Börsenwert. Schwer- und Leichtgewichte zählen gleich viel. Die Aussage, die sich aus der A/D-Linie ableiten lässt, ist, ob bestimmte Bewegungen an den Märkten von einer breiten Mehrheit oder nur von einigen wenigen Aktien getragen werden. Ist Letzteres der Fall, sollten Anleger auf der Hut sein. Das beste Beispiel liefert die Technologieblase, die im Jahr 2000 platzte. Während fast alle großen Aktienindizes wegen der immer schwerer werdenden Technologiewerte von Hoch zu Hoch kletterten, kam die Mehrzahl der Firmen nicht mehr mit (siehe Chart oben). Ein fatal intaktes Bild wiederum lieferte die Advance-Decline-Linie nach der Insolvenz von Lehman Brothers im Jahr 2008. Hier fielen mehr oder weniger alle Aktien ohne nennenswerte Ausreißer.

Zumindest im Moment zeigt die A/D-­Linie für den US-Leitindex S & P 500 einen vollkommen intakten Aufwärtstrend an. Die Anzahl der Aktien mit steigenden Kursen ist um ein Vielfaches höher als die mit fallenden, deshalb sieht die Advance-Decline-Linie in der unteren Abbildung fast genauso aus wie die Kurve des S & P 500. Zumindest dieser Indikator spricht aktuell nicht für eine Crash-Gefahr.