Eine Anlagestrategie auf deutsche Aktien. Mit festen Investmentregeln, frei von Bauchentscheidungen und obendrein einfach umsetzbar. Das war die Idee, mit der €uro am Sonntag und das Kieler Institut für Quantitative Finanzanalyse (IQFin) vor gut acht Jahren die VaR-Strategie entwickelt haben - damals noch unter dem Namen Low-Risk-5.

Bei der Strategie dreht sich alles um die Risikokennziffer VaR (Value at Risk, s. Investor-Info). Mit ihr haben wir einen Indikator entwickelt, der auf Basis des aktuellen Verlustrisikos an der deutschen Börse Ein- und Ausstiegssignale liefert. Wir haben den Indikator bisher alle vier Wochen gecheckt und das Portfolio gegebenenfalls umgeschichtet. Wenn das Risiko sprunghaft stieg, hieß das: alle Aktien verkaufen und vier Wochen lang Cash halten. Wenn der Indikator dagegen auf "Kaufen" stand, wanderten für vier Wochen die fünf DAX-Aktien mit dem niedrigsten VaR - also dem geringsten Verlustrisiko - ins Depot.

Strategie schont die Nerven

Im August 2015 legte die Redaktion ein Wikifolio auf die VaR-Formel auf, sodass Anleger auch per Zertfikat in die Strategie investieren können. Das Papier schlug sich je nach Kalenderjahr mal besser, mal schlechter als der DAX. In den guten Börsenjahren von 2015 bis 2017 ging das VaR-Depot mit einem knappen Renditevorsprung vor dem Index ins Ziel. 2018 konnte es den herben DAX-Verlust von 18 Prozent sogar halbieren. Dafür lieferte es 2019 nur halb so viel Gewinn ab wie der Leitindex. Auch im ersten Corona-Jahr 2020 lag der DAX knapp vor dem Wikifolio. Und 2021 übertrifft der Index die Strategie deutlich, zumindest bis Ende Oktober. Die Gebühren des Zertifikats sind bei den Renditevergleichen stets eingerechnet.

Auch wenn die Strategie zuletzt eine Durststrecke erlebte und in der Wertentwicklung gegenüber dem DAX zurückgefallen ist, das Rendite-Risiko- Profil des VaR-Depots kann sich durchaus sehen lassen. Das Risiko messen Börsianer nämlich anhand der Kursschwankungen. Und die fielen bei der VaR-Strategie deutlich niedriger aus als beim Index. Das schont die Nerven der Anleger erheblich.

Trotzdem haben wir die Investmentregeln mit den Erfahrungen der letzten Jahre noch mal gecheckt - und neu justiert. Das ist nichts Außergewöhnliches. Regeln für quantitative Börsenstrategien sind nicht in Stein gemeißelt. Sie sollten ab und zu geprüft werden, denn Finanzmärkte sind keine statischen Systeme. Es gibt Strukturbrüche, und die Abhängigkeiten ändern sich mit der Zeit.

An der deutschen Börse - und nicht nur dort - sind solche Veränderungen zu beobachten. So verlaufen Krisen seit ein paar Jahren vermehrt v-förmig. Das bedeutet: Erst brechen die Börsen blitzschnell ein, dann erholen sie sich aber auch fix wieder. Besonders deutlich zeigte sich das in der Corona-Krise. Hier brauchte der DAX nur einen Monat, um fast um 40 Prozent abzutauchen - und nur gut neun Monate, um den Crash komplett auszubügeln. Fundamental lässt sich das rapide Auf und Ab damit erklären, dass die Notenbanken im Krisenfall heute sofort eingreifen und riesige Mengen Liquidität in die Märkte pumpen. So verfliegen die Ängste vor einer langen Baisse schnell wieder. Das war in der Finanz- und in der Dotcom-Krise, als die Börsen jahrelang abwärts taumelten, noch anders.

Wie reagieren wir auf diese "neue Normalität"? Ganz einfach: indem wir schneller auf Trendwechsel eingehen. Statt den VaR-Indikator nur alle vier Wochen zu prüfen, checken wir ihn ab sofort wöchentlich, nach leicht veränderten Kriterien. Wir schichten das Depot bei einem Ausstiegssignal also nur für eine Woche in Cash um - und verringern damit die Gefahr von Fehlsignalen.

Ein zweite Anpassung folgt aus der DAX-Reform im September. Die Zahl der Aktien im deutschen Leitindex ist um zehn auf 40 gestiegen. Daher stocken auch wir die Aktienzahl im VaR-Depot auf, von bisher fünf auf acht Werte.

Zum Start acht Aktien ins Depot

Diese Woche haben wir die neuen Regeln erstmals umgesetzt. Der VaR-Indikator gab ein Kaufsignal. Wir haben daher die acht DAX-Titel mit dem niedrigsten VaR gekauft (s. Tabelle). Diese halten wir bis zum nächsten Verkaufssignal. Es sein denn, beim wöchentlichen Check rutscht ein Depotwert im VaR-Ranking der DAX-Aktien unter Rang 20. Dann wird er ausgetauscht - gegen das DAX-Papier mit dem niedrigsten VaR, das noch nicht im Depot liegt.

Bleibt die Frage, was die Regeländerungen konkret bringen? Wir haben keine Glaskugel, mit der wir in die Zukunft blicken können. Aber wir haben einen Backtest durchgeführt, mit dem wir die Strategie anhand vergangener Börsendaten geprüft haben. Bis März 2008 reicht die Analyse zurück, denn zu diesem Zeitpunkt hat IQFin die VaR-Daten erstmals exklusiv für €uro am Sonntag berechnet. Ergebnis des Backtests: Das VaR-Portfolio hat in der Rückrechnung um 418 Prozent zugelegt, während der DAX "nur" 139 Prozent draufgesattelt hat. Im Schnitt war die Strategie pro Jahr rund 3,5 Wochen in Cash investiert und hat so auch das Verlustrisiko des DAX deutlich gedämpft. Damit bestehen gute Chancen, dass Anleger mit der angepassten VaR-Formel nicht nur mehr Rendite erzielen als mit einem DAX-Investment, sondern auch ruhiger schlafen können.

Einziger Wermutstropfen: Mit den neuen Regeln lässt sich das VaR-Wikifolio nur noch mit viel Aufwand in Eigenregie verwalten. Denn der wöchentliche Check und die Umschichtungen fordern deutlich mehr Aufmerksamkeit. Wer auf die angepasste Strategie setzen will, ist daher gut beraten, das Wikifolio-Zertifikat zu kaufen.

 


INVESTOR-INFO

Was bedeutet VaR?

Die Zahl fürs Verlustrisiko

Die Abkürzung VaR steht für das Risikomaß "Value at Risk". Konkret gibt diese Kennzahl die Verlustschwelle an, die ein Investment in einem gegebenen Zeitraum mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nicht überschreitet. Ein Beispiel: Die Allianz-Aktie hat aktuelle einen VaR von 3,0 Prozent. Das bedeutet, dass der Titel in der kommenden Handelswoche mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent nicht mehr als 3,0 Prozent verliert.

VaR-Strategie

Die neuen Regeln

Die VaR-Strategie ist eine regelbasierte Börsenstrategie auf DAX-Aktien. Seit 2015 setzt €uro am Sonntag sie in einem Wikifolio um. Das Ziel: in ruhigen Börsenphasen in risikoarme DAX-Aktien investieren und in turbulenten Phasen aussteigen. So soll ein besseres Rendite-Risiko-Verhältnis erzielt werden als mit einem DAX-Investment.Diese Woche haben wir die Investmentregeln für die VaR-Strategie neu justiert. Indikator und Depot werden ab sofort wöchentlich geprüft. Zuerst ermitteln wir den VaR der 40 DAX-Aktien und bestimmen daraus den Mittelwert. Liegt dieser über seinem langfristigen Durchschnitt und ist der mittlere Wert zudem im Vergleich zur Vorwoche um mehr als 7,5 Prozent gestiegen, dann drohen Kursturbulenzen - der VaR-Indikator gibt ein Verkaufssignal. Das heißt, wir stoßen alle Aktien ab und halten für eine Woche Cash, andernfalls investieren wir. Zunächst in die acht DAX-Aktien mit dem niedrigsten VaR, die wir alle gleich gewichten. Diese halten wir bis zum nächsten Verkaufssignal. Es sei denn, ein Depotwert rutscht im wöchentlichen VaR-Ranking der DAX-Titel unter Platz 20. Dann ersetzen wir ihn durch die Aktie mit dem niedrigsten VaR, die bisher nicht im Depot liegt.

Anlagetipp

VaR-Depot als Zertifikat

Bereits 2015 hat Lang & Schwarz ein Wikifolio-Zertifikat auf die VaR-Strategie aufgelegt. Ab sofort gelten auch hier die neuen Investmentregeln. Weil das Depot nun wöchentlich gecheckt und gegebenenfalls umgeschichtet wird, können sich Anleger mit dem Papier eine Menge Arbeit sparen.