Herr Halver, die jüngste Krisengipfel hat nach einer 17-stündigen Marathon-Sitzung heute Morgen doch noch einen Durchbruch erzielt. Was halten Sie von der Vereinbarung?
Wir haben weißen Rauch, wir haben ein Ergebnis. Und das monatelange Hin und Her, diese Verunsicherung ist zunächst in den Hintergrund getreten.

Also wird jetzt endlich alles gut?
Die Kuh ist zwar einstweilen vom Eis. Aber leider wird die Kuh nicht im Stall angebunden, so dass sie wieder aufs das Eis laufen kann. Die Reformmaßnahmen mögen weit über das hinausgehen, was bislang an Reformen angesprochen wurde. Aber was relativ gut ist, muss nicht absolut richtig sein. Es geht nicht primär darum, dass möglichst viel gespart wird und Schulden bezahlt werden. Natürlich ist das auch wichtig. Auch die Einrichtung eines Treuhandfonds, der ähnlich wie bei der Deutschen Wiedervereinigung über Privatsierungen Geld zur Schuldentilgung einnehmen soll. Und mir gefällt grundsätzlich auch, dass das Motto praktiziert wird: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Und was gefällt Ihnen nicht so gut?
Leider muss man Wasser in den süßen griechischen Wein schütten. Kriegsentscheidend ist, dass die wirklich wichtigen Reformen, die Strukturreformen z.B. im Verwaltungswesen, auf den Arbeitsmärkten eher nur als schöne Absichtsbekundungen formuliert werden. Und dass hinzubekommen, ist die Quadratur des Kreises. Erst wenn Unternehmen in einer Volkswirtschaft freiwillig investieren, weil sie die Standortbedingungen gut finden, ist ein Land wirtschaftlich gesund. Davon sind wir weit entfernt. Auf Griechenland als Standort hat kein Investor gewartet.

Insofern haben wir nur eine Lösung, die mal wieder eher der politischen Räson entspricht und weniger der ökonomischen Vernunft. Schöne politische Worte sind ökonomisch nicht wahr, wahre ökonomische Worte sind politisch nicht schön. Es geht um wirtschaftliche Perspektive, nicht um politische Ruhe im Euro-Karton.

Aufgrund keiner wirklichen Strukturreformen wird die EZB der Ausputzer Griechenlands bleiben müssen. Das Obligo der EZB wird sich so weit erhöhen, dass ein Kreditausfall Griechenlands zu einer Systemkrise der Euro-Finanzwelt führen würde.

Das heißt?
Wir kommen aus der Rettung Griechenlands nicht mehr heraus.

Nach dem dritten Hilfspaket wird es auch ein viertes geben. Aber bis zur Bundestagswahl 2017 haben wir zuerst einmal Ruhe. Die Euro-Politiker können schon einmal ein Wiedervorlagebuch bereitstellen.

Die Schulden Griechenlands werden unaufhörlich wachsen, ähnlich wie bei einem Kuchen, der zu viel Hefe abbekommen hat.

Die Eurozone ist viel zu wenig Stabilitätsunion und viel zu sehr Kuschelunion.

Auf Seite 2: Wird das dritte Hilfspaket reichen?





Insgesamt geht es bei den Verhandlungen um ein drittes Hilfspaket von über 82 bis 86 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre. Glauben Sie, dass das dies Mal tatsächlich reicht?
Die letzten beiden Hilfspakete lagen beide über 100 Milliarden Euro. Ich weiß nicht, woher die Euro-Politiker den Optimismus hernehmen, dass gut 80 Mrd. Euro reichen. Die Banken müssen rekapitalisiert werden und die letzten fünf Monate haben durch die gesundbetende Politik von Tsipras verbrannte Erde hinterlassen. Die Hilfspaketsumme wird wieder deutlich über 100 Milliarden Euro liegen müssen. Aber das will uns die Politik noch nicht sagen.

In den Verhandlungen geht die Eurozone bis 2018 für den griechischen Staatshaushalt von einem Primärüberschuss von 3,5 Prozent aus. Aber Griechenland stand schon vor dem Referendum vor einer Woche am Rande einer Rezession. Seither ist die Wirtschaft praktisch vollständig zum Erliegen gekommen. Ist die Annahme von 3,5 Prozent vor diesem Hintergrund überhaupt realistisch?
Die Politik meint, mit wohlwollenden Annahmen über zu hohe Primärüberschüsse die Summe der Hilfszahlungen drücken zu können. Es ist - ich weiß, wovon ich spreche -wie beim Abnehmen. Vornehmen kann man sich viel, Handeln ist entscheidend.

Ohne private Investitionen mit Arbeitsplatzaufbau, Konsum und Steuereinnahmen ist dieses Ziel illusorisch. Es bleibt dabei: Ohne wirkliche Strukturreformen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kommt kein vernünftiges Wirtschaftswachstum zustande.

Auch wenn ich mich vielleicht unbeliebt mache, aber der Grexit ist für mich das geringere Übel: Griechenland erhält über Export eine Chance und wir geben unsere Stabilitätsunion nicht völlig auf.

Es gibt neben den ökonomischen Unwägbarkeiten ja noch große politische Fragezeichen. So ist aktuell völlig unklar, weshalb man einer Regierung glauben soll, dass sie plötzlich noch härtere Strukturreformen und Einsparungen akzeptieren will, nachdem sie zuvor ein weniger hartes Paket per Referendum bekämpft hat. Haben Sie das Vertrauen, dass die griechische Regierung die Vereinbarungen tatsächlich auch umsetzt?
Unser Finanzminister Schäuble ist ein Fuchs, der es durchaus mit Tsipras aufnehmen kann. Er hat einen Grexit auf Zeit ins Spiel gebracht und damit der Gegenseite deutlich gemacht, dass Schluss mit lustig ist. Und die Griechen realisieren, dass die Mitgliedschaft in einem Währungsverbund keine Schönwetterveranstaltung ist und dass ihnen der Verbleib wohl wichtig ist. Darauf werden die Parlamentarier- nicht alle bei Syriza - einschwenken. Wenn nicht, können selsbt Frankreich und Italien den Grexit nicht mehr aufhalten.

Erst heute Morgen hat der griechische Arbeitsminister Panos Skourletis erklärt, er rechne mit Neuwahlen noch in diesem Jahr. Damit wären alle Pläne doch schon wieder Makulatur.
Ich glaube, man wird diese Reformmaßnahmen absegnen und dann Neuwahlen machen. Denn eins ist klar: Keine Reformen, kein Geld und keine Hilfe der EZB für die griechischen Banken. Sollte Herr Tsipras nach der Wahl nicht mehr Ministerpräsident sein, werde ich das prima aushalten.

Auf Seite 3: Was bedeutet die Einigung für Finanzmärkte?





Was bedeutet die Einigung für Finanzmärkte? Geht die zuletzt unterbrochene Rallye jetzt weiter?
Die Finanzmärkte sind zunächst erfreut. Der Non-Grexit ist für die Renten- und Aktienmärkte kurzfristig zwar positiv. Denn mögliche Kollateralschäden für andere Euro-Länder blieben zunächst aus. Da damit aber unumkehrbar der Weg in die Europäische Schuldenunion mit all ihren wirtschaftshemmenden Effekten beschritten würde, wird uns dieser Pyrrhus-Sieg längerfristig noch auf die Aktien-Füße fallen.

Aber kurzfristig ist im DAX noch Luft nach oben?
Meine Meinung zum DAX ist einstweilen positiv. Ruhe - auch wenn nur vorübergehend - im Euro-Karton, keine massive Leitzinswende in den USA und China, das seine marktwirtschaftlichen Blasen mit planwirtschaftlichen Methoden konservieren will und insofern auch der weltwirtschaftlich systemrelevanten chinesischen Volkswirtschaft hilft, sprechen für einen DAX am Jahresende von circa 12.200 Punkten. Und dank der EZB bleibt die Alternativanlageform "Zinsvermögen" ohne Sexappeal.

Der Euro hat sich heute Morgen gegenüber dem Dollar deutlich fester gezeigt. Wo sehen Sie den Euro zum Ende des Jahres?
Für Wechselkursbewegungen sind Zinsunterschiede von großer Bedeutung. Die US-Wirtschaft holt auf und gibt der Leitzinswende und damit Dollar-Stärke neue Nahrung. Und für die Euro-Wirtschaft gilt "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer". Die EZB wird insofern an ihrem renditedrückenden Aufkaufprogramm unbeirrt festhalten. Die verschobene, aber nicht aufgehobene US-Zinswende einerseits und Anleiherenditen im Euroraum andererseits, die auch zukünftig unterhalb der attraktiveren US-Renditen verlaufen, sprechen bis Jahresende für einen Euro von etwa 1,06.

Ein einstweiliger Verbleib der Griechen in der Eurozone stützt den Euro sicherlich auch.