BÖRSE-ONLINE.de: 2021 war geprägt von Unsicherheiten durch das Corona-Virus, geopolitische Risiken sowie eine ansteigende Inflation. Wie geht es 2022 weiter?
Ronald-Peter Stöferle: Diese drei Themenbereiche werden auch 2022 eine große Rolle spielen.
Die Inflationsthematik ist neben den Lieferkettenproblemen das große ökonomische Thema der vergangenen Monate. Das Narrativ eines vorübergehenden Anziehens der Inflation ist in den USA schon zusammengebrochen. Ob die Federal Reserve die angekündigte Straffung der Geldpolitik tatsächlich wird durchziehen können, wird sich zeigen. Der große Test wird kommen, sobald die Märkte aufgrund der geringeren Liquiditätsbereitstellung deutlich nachgeben. Auch aufgrund der immens gestiegenen US-Staatsverschuldung ist davon auszugehen, dass die ohnehin nur leicht gestraffte Geldpolitik rasch wieder gelockert wird.
Im Euroraum ist die Inflationsrate in einigen Ländern wie auch Deutschland auf einem Viel-Jahrzehnte-Hoch. Der Basiseffekt speziell bei den Energiepreisen sowie Sondereffekte wie die zwischenzeitliche Mehrwertsteuersenkung und die Einführung der CO2-Abgabe werden die Inflationsrate vom aktuell hohen Niveau herunterholen. Dennoch sprechen viele Gründe dafür, dass die Inflationsrate im Euroraum nicht unter die Zielmarke von zwei Prozent fallen wird. Der schwache Euro kommt beispielsweise als neuer Inflationstreiber hinzu.
Corona wird auch 2022 ein Thema verbleiben. Die etwaige Umsetzung einer staatlichen Impfpflicht oder ähnlicher Maßnahmen wie flächendeckende 2-G- oder 2-G-plus-Regeln könnten in einigen Ländern die bereits bestehende Spaltung noch weiter vertiefen.
Die geopolitischen Konflikte werden im kommenden Jahr wohl eher zunehmen. Hauptthema dürfte Taiwan werden, wenngleich erst nach den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar 2022. Spannend wird auch werden, wie sich die Außenpolitik der neuen deutschen Bundesregierung unter der Federführung der grünen Außenministerin Annalena Baerbock entwickelt. Sie ist eine ausgesprochene Gegnerin von Nordstream 2 und nicht gerade als russophil zu bezeichnen. Es stellt sich aber die Frage, ob sie am diplomatischen Parkett überhaupt in der Lage sein wird, Einfluss zu nehmen.

Gerade in einem unsicheren und inflationären Umfeld gewinnt Gold als Krisenabsicherung für gewöhnlich an Beliebtheit. Doch Anleger hatten sich in den vergangenen Monaten eher zurückgezogen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Die Kryptowährungen haben Gold definitiv ein wenig die Show gestohlen, gerade auch in den Medien. Zudem dürfte die Wucht und die von uns erwartete Dauerhaftigkeit erhöhter Inflationsraten bei der Bevölkerung noch nicht angekommen sein. Das wird sich in den nächsten Monaten definitiv ändern, wenn beispielweise die Strom- und Energiepreise bei den Endverbrauchern kräftig erhöht werden.

Während Investoren zeitweise das Interesse an Gold eher verloren haben, nutzten Notenbanken die Rücksetzer, um ihre Goldbestände aufzustocken. Wird das Interesse anhalten?
Ja, davon ist auszugehen, denn die Notenbanknachfrage ist sehr breit aufgestellt. Die Zentralbanken so unterschiedlicher Länder wie Indien, Brasilien, Usbekistan, Kasachstan, Russland, Thailand und Japan, aber auch Irland haben 2021 ihre Goldreserven aufgestockt. Und für das kommende Jahr hat Polen bereits angekündigt, seine Goldreserven um 100 Tonnen oder 44 Prozent aufzustocken.

Zuletzt sind auch Anleger vermehrt wieder aktiv geworden, der Goldpreis legte zeitweise bis auf 1.636 Euro je Feinunze zu. Wie geht es weiter?
Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass 2019 und 2020 für Gold herausragende Jahre waren. Auf Euro-Basis ist Gold um 22,7 Prozent beziehungsweise 14,4 Prozent gestiegen, auf US-Dollar-Basis betrug das Plus 18,9 Prozent beziehungsweise 24,6 Prozent. Insofern ist das aktuelle Durchschnaufen auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Auf Euro-Basis könnte sich aufgrund der aktuellen Euro-Schwäche auch dieses Jahr ein leichtes Plus ergeben. Auf US-Dollar-Basis wird ein Minus wohl nicht mehr zu vermeiden sein.
Für 2022 bin ich optimistisch eingestellt. Dass die Inflation gekommen ist, um zu bleiben, sollte den Goldpreis 2022 jedenfalls unterstützen. Und zumindest in nächster Zeit sollte die hartnäckige Euro-Schwäche gegenüber dem US-Dollar für die Anleger im Euroraum ebenfalls vorteilhaft sein.

Die US-Notenbank Fed will schon bald ihre Zinsen anheben. Was bedeutet das für den Goldpreis?
Zunächst ist festzuhalten, dass auch das Tapering wie eine leichte Zinserhöhung wirkt. Angesichts der hohen Inflationsraten werden die Realzinsen aber bis auf Weiteres negativ bleiben, und zwar deutlich. Zudem ist davon auszugehen, dass die Zentralbanken erste Zinsschritte nicht werden durchstehen können. Es ist davon auszugehen, dass die Federal Reserve bei der erwartbaren Reaktion der Märkte auf Zinsanhebungen in Form von signifikanten Korrekturen die Geldschleusen rasch wieder stärker öffnet.
Die unsichere Konjunkturlage verzögert jetzt schon Zinsschritte. So hat die Bank of England ihren ersten Zinsschritt aus diesem Grund Anfang November verschoben. Man darf auch nicht vergessen, dass sich die Weltwirtschaft am Vorabend der Corona-Pandemie bereits deutlich abgekühlt hatte, weswegen die Federal Reserve die Zinsen im zweiten Halbjahr 2019 drei Mal um je 25 Basispunkte gesenkt hatte.
Im Augenblick dürfte der Markt das Tapering in den USA und etwaige Zinsschritte 2022 bereits eingepreist haben. Insofern sollte der Gegenwind für Gold nicht allzu dramatisch sein. Ein Abgehen von der leichten Straffung der Geldpolitik sollte Gold dagegen beflügeln.

An welchen Faktoren dürfte sich die Preisentwicklung 2022 außerdem orientieren?
Grundsätzlich sollte sich die Situation am Goldmarkt nach den zahlreichen Corona-Verwerfungen weiter normalisieren, sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Die Schmucknachfrage hat sich bereits erholt, liegt aber noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Dasselbe gilt für die Notenbanknachfrage, die aber weiterhin robust im positiven Bereich liegt. Kräftig zugelegt hat die Nachfrage nach Goldbarren und Goldmünzen. Einzig die Nachfrage von ETFs schwächelt im Augenblick, das allerdings nach Rekordzuflüssen im dritten Quartal 2020. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Goldpreis von der Nachfrageseite her erheblich unter Druck gerät.

Graben Kryptowährungen Gold als Inflationsschutz das Wasser ab?
Die Kryptowährungen haben Gold definitiv die Aufmerksamkeit gestohlen. Waren Bitcoin & Co. vor zwei Jahren noch Nischenprodukte, die nur auf einschlägigen Webseiten diskutiert wurden, so werden sie mittlerweile von den großen Medien regelmäßig thematisiert. Dass Kryptowährungen nunmehr reguliert und regulär besteuert werden sollen, zeigt ebenfalls, dass sie erwachsen geworden sind, ebenso, dass einige institutionelle Investoren wie BlackRock, Citigroup, Morgan Stanley und Fidelity das Crypto-Parkett betreten haben. Zudem dürften die Kryptowährungen von den zahlreichen Lockdowns profitiert haben, da diese ausschließlich digital gehandelt werden.
Ob sich die Krypotwährungen als Inflationsschutz tatsächlich eignen, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Bislang war die Korrelation zwischen Inflation und Bitcoin allerdings eher negativ. Wir sind ohnehin der Auffassung, das Gold und die Kryptowährungen keine Feinde, sondern Freunde sind, und im Zusammenspiel eine interessante und chancenreiche Anlagekombination darstellen.

Der Goldpreis bewegte sich 2021 zwischen 1.418 Euro und 1.636 Euro je Feinunze. Mit welchen Kursen rechnen Sie im kommenden Jahr?
Die Fundamentaldaten für Gold sind weiterhin gut. Daher sollten 2022 neue Allzeithochs in vielen Währungen möglich sein. Der aktuelle Gegenwind infolge der angekündigten Straffung der Geldpolitik beziehungsweise der in einigen Ländern bereits vollzogenen ersten kleinen Schritte der Straffung sollte lediglich vorübergehend auf den Goldpreis drücken. Schließlich wäre auch eine gestraffte Geldpolitik im historischen Vergleich noch auf längere Zeit als locker zu bezeichnen.

Gehört Gold auch 2022 ins Depot?
Definitiv, Gold ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil eines diversifizierten Portfolios. Gold eignet sich allerdings nicht als kurzfristiges Spekulationsobjekt, sondern eine Investition sollte jedenfalls mit einem mittel- bis langfristigen Horizont getätigt werden. Die Zeichen stehen gut, dass 2022 für Gold ein goldenes Jahr wird.