Im Windschatten des Booms um die sogenannten Abnehmspritzen arbeitet der Healthcare- und Biotechnologiesektor in den vergangenen Monaten an einem Turnaround. Thierry Borgeat, Mitgründer der Fondsboutique Arvy in Zürich, erklärt, wieso er die Branche jetzt anderen Bereichen wie KI vorzieht.
BÖRSE ONLINE: Die ganze Welt spricht über KI-Aktien, aber Sie setzen den Schwerpunkt im Portfolio von arvy derzeit woanders. Welchen spannenden Trend haben Sie im Auge?
Thierry Borgeat: Es geht um einen ehemals sehr beliebten Sektor: das Gesundheitswesen. Man muss dazu sagen, dass diese Branche in den letzten vier, fünf Jahren, seit dem Ende des Covid-Booms, eher uninteressant war. Es ist mit der schlechteste Sektor, den man seit 2021haben konnte. Auf der anderen Seite war es ein Sektor, der über die letzten zwei Dekaden extrem gut geliefert hat. Und wir sehen nun, dass das institutionelle Interesse langsam wieder kommt.
Was bedeutet das?
Dass jetzt wieder zunehmend Geld in das Gesundheitswesen fließt. Professionelle Investoren und die Analysten, die sich sehr tief mit der Materie auseinandersetzen, sehen dort interessante Möglichkeiten.
Aber sind etwa Pharmawerte nicht ein besonders heißes Pflaster? Ich denke da an die auslaufenden Patente bei Bayer oder den Absturz von Novo Nordisk. Wieso sind Sie fasziniert von einer Branche, in der alles ganz schnell vorbei sein kann?
Es ist richtig, dass es immer wieder einen harten Kampf um die Blockbuster-Medikamente gibt, mit denen Unternehmen mehr als eine Milliarde Umsatz pro Jahr machen können – bei entsprechenden Risiken. Auf diesem Feld gab es zuletzt eine ziemliche Flaute. Geliefert hat eigentlich nur ein Unternehmen, und das ist Eli Lilly. Darunter leidet jetzt Novo Nordisk. Wenn du ein Duopol hast und einer einfach viel besser ist als der andere, dann hast du wahrscheinlich ein Problem und gewinnst keine Marktanteile. Was aber für uns noch viel spannender ist, ist die Medizintechnik, Life Sciences. Das sind die, die die Suche nach neuen Wirkstoffen erst möglich machen. Dort findet man äußerst spannende Unternehmen.
Aber sind die nicht auch im Covid-Hype gestiegen – und dann abgestürzt?
Richtig. Manche waren zweimal so hoch bewertet wie im historischen Schnitt. Es hat effektiv fünf Jahre gedauert, bis diese Überbewertungen wieder rausgewaschen wurden. Jetzt bekommt dort Unternehmen, die wieder im Schnitt zu sich selbst, also zu ihrem Buchwert handeln, die aber trotzdem weiterhin sehr, sehr gute Top- und Bottomline-Zahlen liefern. Sprich: Umsatzwachstum, ein Gewinnwachstum um die zehn bis 15 Prozent. Das ist stabil und gefällt uns sehr gut. Viele Anleger sind ein bisschen verwöhnt vom Tech-Bereich.
"Novo Nordisk ist jetzt eine Value Trap"
Kommen wir nochmal zu den Abnehmspritzen: Sie waren in beide investiert, Eli Lilly und Novo Nordisk. Haben Sie sich für die Richtige entschieden?
Da streuen Sie jetzt ein bisschen Salz in meine Wunde. Wir halten generell immer nur um die 30 Titel im Portfolio und wir hatten zeitweise mal 15 Prozent in beiden zusammen. Dann sind wir die Welle eigentlich relativ gut geritten – und dann mitten in die Probleme von Novo hinein. Wir die Gesamt-Position dann auf etwa acht bis neun Prozent halbiert, als die Aktien angefangen haben zu konsolidieren. Auch Eli Lilly. Natürlich haben wir bei Novo auch ein bisschen Schaden genommen, aber die letzten 20 bis 30 Prozent zum Glück nicht.
Welche ist jetzt noch im Portfolio?
Wir sehen, dass Eli Lilly nun der absolute Marktführer ist. Sie haben das bessere Produkt, die bessere Pipeline, viel bessere Produktionsstätten. Sie haben auch keine Zollprobleme mit Trump und so weiter und so fort. Mit sieben Prozent am Portfolio ist Eli aktuell unsere größte Position.
Haben Sie Novo Nordisk gar nicht mehr auf dem Schirm?
Das ist jetzt eine Value Trap, wie man so schön sagt: Es könnte die größte Kaufchance aller Zeiten sein, handelt mit 20-mal Forward Earnings, ist also rein fundamental wahrscheinlich eines der interessantesten Unternehmen in ganz Europa. Aber mein Problem ist: Die Trends um die Aktie sind so schwach, so schlecht. Und die Historie zeigt einfach: Wenn eine Top-Aktie mal 70 Prozent korrigiert, dann dauert es im Schnitt auch vier bis fünf Jahre, bis da mal wieder ein neuer, klarer Trend entsteht. Das dauert uns zu lange. Mit nur 30 Titeln, die ich besitzen möchte, kann ich nicht über Jahre auf diesen Opportunitätskosten sitzen. Da investiere ich lieber woanders.
Borgeats Favoriten in der Medizintechnik
Wo denn zum Beispiel?
Borgeat: Gehen wir mal ein bisschen in die aggressivere Ecke rein. Da gibt es den CRO-Bereich, das steht für Contract Research Organization. Das sind Unternehmen, die Biotech-Firmen bei der Produktentwicklung helfen: von vorklinischen Studien bis hin zum Launch des Medikaments im Markt. Ein Biotech hat eine Idee für ein Medikament, hat das Funding dafür und geht dann zum Beispiel zu MedPace. MedPace übernimmt die ganze Studie. Das heißt, sie werden von A bis Z alles für dich ausführen und liefern die ganze Due Diligence für das Medikament. MedPace ist mit Abstand der Marktführer, gründergeführt und funktioniert recht gut. Da haben wir eine starke Position. Und wir sehen auch, dass das Biotech-Funding zurückkommt. Der Zyklus ist jetzt wieder mit starker Wucht zurückgekommen. Auch hier wird KI ein wichtiger Wachstumstreiber sein, denn es geht darum, sehr viele Daten zu verarbeiten.
Was wären etwas defensivere Werte?
Borgeat: Da gibt es eben die Medizintechnik. Ein Oberdarling, den jeder kennt, wäre eine Danaher, der Serienakquisiteur mit der Kaizen-Methode. Oder Thermo Fisher, das ist auch ein Konkurrent zur Schweizer Lonza. Das sind zwei Super-Pferde, die man im Stall haben kann. Positionen, die wir in den letzten Monaten neu aufgebaut haben, sind Stryker und Boston Scientific. Stryker ist ein Medizin-Technik-Unternehmen aus den USA, ein bisschen mehr als 100 Milliarden groß. Sie machen selbst Implantate – künstliche Knie oder Hüften – haben aber zum Beispiel auch einen Roboter für Krankenhäuser. Der macht Hüftoperationen und Knieoperationen. Das finde ich mega-spannend. Da gibt es zwar Konkurrenz durch Johnson & Johnson, aber bei denen ist das nur ein kleiner Teil des Geschäfts. Stryker wird eher Marktanteile gewinnen, weil sie das beste Produkt haben. Das bedeutet: Große Wachstumsfantasie und die Demografie natürlich spielt ihnen natürlich in die Hände. Ab dem 65. Lebensjahr haben die Leute gehäuft Hüft- und Knieprobleme und die Gesundheitsausgaben verdreifachen sich.
"Chipaktien korrigieren im Schnitt um 70 Prozent"
Wir müssen nochmal auf das KI-Thema zu sprechen kommen. Sie sagten, KI spielt überall rein. Warum kaufen Sie dann nicht gleich KI-Aktien?
Was ich suche, sind Unternehmen, die sehr visibel und stabil zwölf bis 15 Prozent wachsen können pro Jahr. Da habe ich mit der KI meine liebe Mühe. Die Titel wachsen zwar derzeit viel schneller, aber ich habe auch das größte Disruptionsrisiko. Wenn man Healthcare anschaut, gibt es dort meistens Unternehmen, die ein Teilchen der Kette produzieren. Es sind oligopolistische Märkte, es gibt hohe Zertifizierungsstandards. Da kommt man als Neuling nicht so einfach rein. Bei Tech ist genau das das gigantische Problem. Ich habe Freunde, die können zu viert am Laptop in einer Stunde ein Softwareunternehmen aus dem Boden stampfen, weil sie einfach nur mit einem KI-Modell wie „Claude“ coden. Dann hat man aus dem Nichts einen Konkurrenten am Markt. Das ist für mich zu wenig Visibilität, zu wenig Stabilität. Es bedeutet natürlich, dass ich momentan in viel zu langweiligen Unternehmen investiert bin. Ich fühle mich ein bisschen wie Warren Buffett im Jahr 2000, als Dotcom, die Nasdaq 200 Prozent gemacht haben und seine Pepsi, Cola und McDonalds einfach nur seitwärts liefen. Aber auf die lange Frist bin ich sehr zuversichtlich, dass es funktionieren wird.
Die Fondsboutique arvy hat gar kein KI-Unternehmen im Portfolio?
Doch, das schon. Eine unserer größten Positionen ist Broadcom. Doch die Idee dahinter war anders. Wir hatten sie eigentlich gekauft, weil sie ein sehr günstig bewertetes Unternehmen ist und ein sehr erfolgreicher Serienakquisiteur. Broadcom ist für mich der beste Kapitalallokator im Chip-Bereich: Top Management, sehr interessante Wachstums-Pfeile. Und sie sind im Vergleich zu AMD oder Nvidia gleich in allen sechs Haupt-Treibern von Chips drin. Das heißt, sie haben ein extrem breit diversifiziertes Portfolio und erleben damit als eines der wenigen Chip-Unternehmen nicht diesen typischen Schweinezyklus. Das haben viele Leute meiner Meinung nach absolut vergessen: Chips haben immer einen Schweinezyklus. Es gibt ständig entweder zu viel Nachfrage oder zu viel Angebot. Irgendwann knallt es – und dann korrigieren diese Unternehmen im Schnitt um 70 Prozent.
Moment: Um 70 Prozent? Alle? Immer? Auch Nvidia eines Tages?
Es ist völlig normal, es ist einfach die Natur des Chip-Zyklus. Das gab es bei den Speicherchips und bei anderen. Gucken Sie sich die Historie an: Die letzten drei Korrekturen waren alle 70 Prozent – selbst bei AMD. Man kann sich wirklich jede Chip-Aktie anschauen, die es gibt. Sie korrigieren im Schnitt 70 Prozent.
"Viele Chip-Anleger haben den Schweinezyklus vergessen"
Was könnte so einen Rutsch auslösen?
Früher war es so: Nvidia hat einen Grafik-Chip produziert. Der wurde verkauft, man hatte plötzlich eine riesengroße Nachfrage. Dann hat Nvidia noch mehr Chips produziert und plötzlich ist diese Nachfrage abgebrochen, weil der Markt schon genug hatte. Oder ein Konkurrent kommt mit einem neueren Produkt, bringt was Besseres auf den Markt. Dann hast du über Nacht eine Garage voller Chips, die nichts mehr wert sind, weil sie schon zu alt sind. Das ist das große Problem, das wir eigentlich in allen Chip-Bereichen haben. Darum gibt es diesen Schweinezyklus. Und wenn der zusammenbricht, dann korrigieren Chip-Aktien dann relativ zügig. Die Exzesse, die die Kurse nach oben treiben, gelten dann immer auch auf dem Weg nach unten.
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Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Stryker Corporation.