Lange Zeit ging die Bundesregierung davon aus, dass ein Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen von sechs Prozent pro Jahr verfassungsgemäß sei. Nun wurde sie von den roten Roben in Karlsruhe eines Besseren belehrt. Von Stefan Rullkötter

Der hohe Zinssatz von sechs Prozent per annum ist seit dem Jahr 2014 verfassungswidrig. Das gelte für Steuernachzahlungen wie für -erstattungen, urteilte nun das Bundesverfassungsgericht.

Der von Finanzämtern erhobene Zinssatz von sechs Prozent jährlich, der seit Jahrzehnten in der Höhe unverändert gilt, ist bei verspäteter Steuerzahlung realitätsfern, so die Richter. Er wird fällig, wenn sich eine Steuernachzahlung oder -erstattung um mehr als 15 Monate verzögert. Ist diese Voraussetzung erfüllt, gilt er bei Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. In Karlsruhe hatten zwei Firmen geklagt, deren Gewerbesteuer nach einer Steuerprüfung stark nach oben korrigiert worden war.

Der Zinssatz von sechs Prozent ist ab 2019 nicht mehr anwendbar. Das Gericht ordnete eine rückwirkende Korrektur an, die allerdings nur alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 betrifft.

Für die Veranlagungszeiträume von 2014 bis 2018 ließen die Verfassungsrichter die von den Beschwerdeführern beanstandete Vorschrift dagegen in Kraft. In den Jahren bis 2013 waren die EZB-Leitzinsen zwar auch schon drastisch gesunken. Damals sei der starre Zinssatz aber "noch in einem rechten Verhältnis" gewesen, hieß es in der Begründung der Entscheidung.

Da vom Karlsruher Richterspruch auch die Erstattungen umfasst sind, profitieren davon voraussichtlich nicht alle betroffenen Steuerzahler. Wer in der Vergangenheit verspätet Steuern nachzahlen musste, dürfte einen Teil der Zinsen zurückbekommen. Hat das Finanzamt zuviel gezahlte Steuern nebst Zinsen verspätet erstattet, wird möglicherweise die Verzinsung teilweise zurückgezahlt werden müssen.

Wie hoch der Zinssatz sein darf, hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung nicht festgelegt. Es räumte dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Juli 2022 ein, um eine Neuregelung umzusetzen. Das Bundesfinanzministerium hatte die Finanzverwaltungen der Bundesländer schon im Winter 2019 angewiesen, für Verzinsungszeiträume ab April 2012 keine Strafzinsen mehr für säumige Steuerzahler einzufordern. Zuvor galt diese Frist erst ab März 2015. Voraussetzung war, dass Betroffene damals Einspruch gegen Steuerbescheide eingelegen und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hatten. (Gz. IV A 3 - S 0465/18/1005-01). Unerheblich sind Steuerart und Besteuerungszeitraum.

Ebenfalls bemerkenswert : Im Jahr 2019 hatte der Fiskus 552,8 Millionen Euro mehr Erstattungszinsen an Bürger gezahlt, als er durch Nachforderungszinsen eingenommen hatte.