Die in München behei­matete Interhyp-Gruppe, Deutschlands größter Vermittler für private Baufinanzierungen, legte gerade für das vergangene Jahr neue Rekordzahlen vor. Das abgeschlossene Finanzierungsvolumen wuchs 2018 um fast zwölf Prozent auf gut 22 Milliarden Euro. Die Interhyp setzt dabei auch in Zeiten der digitalen Transformation auf die persönliche Beratung an mittlerweile über 100 Standorten in ganz Deutschland.

€uro am Sonntag: Herr Utecht, Sie sind seit bald zwei Jahren Interhyp-Chef. Niedrigzinsen, Regulierung, Digitalisierung - trotz Rekordzahlen: Für einen Baufinanzierer war das keine leichte Zeit. Oder?
Jörg Utecht:
Ja und nein. In der Tat sind Umfeld und Wettbewerb herausfordernd, aber gleichzeitig ist die Nachfrage nach Immobilien ungebrochen. Die Leute wollen ins eigene Zuhause und brauchen dafür meist unser Produkt: die passende Finanzierung.

Alle Welt redet über Digitalisierung. Sie sind vor fast 20 Jahren ­als reiner Online-Baufinanzierungsvermittler gestartet, verfügen heute aber an über 100 Standorten über eine klassische Vor-Ort-­Präsenz. Dort beraten Baufinanzierungsspezialisten ihre Kunden ­persönlich von Angesicht zu Angesicht. Ist das nicht widersprüchlich oder in Zeiten der Digitalisierung sogar unzeitgemäß?
Nein, ganz und gar nicht. Heute informiert sich de facto jeder Kunde zunächst im Netz. Und immer mehr Menschen erwarten dort nicht nur Tabellen und Text, sondern inter­aktive Tools, die sie auf der Reise ins eigene Zuhause begleiten. Aber: Selbst Digital Natives suchen bei der zumeist bedeutendsten finanziellen Entscheidung im Leben dann doch nach einem kompetenten persönlichen Partner. Sei es für die Entwicklung unterschiedlicher Finanzierungsszenarien - oder auch nur dazu, dass der Spezialist die eigenen Überlegungen bestätigt.

Also ist der Berater wichtiger als eine coole App?
Nein, es geht um das Gesamtpaket aus Mensch und Technik. Wir wollen der Partner sein, der für all diese Bedürfnisse Antworten aus einer Hand bietet: digital und persönlich.

Aber das können andere doch auch anbieten?
Im Prinzip ja, aber in der Praxis ist es dann eben doch nicht so einfach. Der Berater verkauft ja nicht ein Standardprodukt, sondern er muss sämtliche Lebensumstände berücksichtigen, mit dem Kunden mögliche Risiken besprechen, vielleicht sogar einmal von einem Finanzierungsvorhaben abraten oder es verkleinern helfen. Das ist nicht trivial, dazu braucht es eine gute Ausbildung, diese Leute gibt es nicht wie Sand am Meer. Wir befinden uns in einem harten Wettbewerb um Talente. Dementsprechend viel investieren wir in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dementsprechend umfangreich sind die Mitarbeiterleistungen bei uns - von der Altersvorsorge über Sabbaticals bis zur Vertrauensarbeitszeit. Unsere Kunden sollen sich schließlich positiv an unsere Mitarbeiter erinnern, uns idealerweise weiterempfehlen und natürlich zur Anschlussfinanzierung wiederkommen.

Für die Entwicklung der digitalen Produkte haben Sie vor ebenfalls knapp zwei Jahren den Interhyp Campus geschaffen. Wie ist Ihre ­Bilanz? Andere stutzen ihre Digital Labs ja bereits wieder zusammen.
Damit sprechen Sie den entscheidenden Unterschied bereits an: Unser Campus ist kein Digital Lab, in dem man agiles Arbeiten fernab des restlichen Unternehmens probiert. Für uns ist der Campus das Herzstück der digitalen Entwicklung, an dem 120 Developer, Product Owner, Scrum Master, UX Designer et cetera in agilen Teams jeden Tag neue digitale Angebote herstellen. Und zwar in enger Abstimmung mit unseren Beratern und anderen Bereichen des Unternehmens.

Und was bringt diese Investition?
Zunächst einmal geht es um Geschwindigkeit und Kundennähe. Während in der alten Wasserfallwelt eine Anwendung Schritt für Schritt entwickelt wurde und bei Fertig­stellung die Nutzer manchmal ganz schön enttäuscht waren, sind wir in der agilen Welt viel früher am Kunden und können justieren. Hinzu kommt: Je genauer wir unsere digitalen Produkte auf die Kundenwünsche abstimmen, desto effizienter wird der Gesamtprozess. Denn viele Kunden wollen erstaunlich viel selbst machen. Und seit wir ihnen zum Beispiel die Möglichkeit zum Unterlagen-Upload geben, haben unsere Berater mehr Freiraum für die persönliche Beratung.

Wo rangieren Sie mit diesem ­Angebot und Ihrem Vorgehen im Wettbewerb?
In unserem Segment sind wir damit extrem gut positioniert, aber wir dürfen uns nicht ausruhen.

Und welchen Marktanteil halten Sie mittlerweile?
Unser Marktanteil am Neugeschäft der privaten Baufinanzierung lag 2018 mit einem vermittelten Volumen von 22 Milliarden Euro bei 8,8 Prozent. Damit sind wir mit weitem Abstand die Nummer 1 unter den Vermittlern. Und das Potenzial für unser Angebot ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Wie wollen Sie dieses weitere Wachstum realisieren?
Wir wollen in erster Linie organisch wachsen. Zum einen ist angesichts unseres Marktanteils in der Bau­finanzierung in Deutschland noch einiges Potenzial, zum anderen wollen wir uns immer stärker als Partner rund ums Zuhause positionieren.

Und international?
Unser aktueller Fokus ist ganz klar Deutschland. Aber natürlich sehen wir im europäischen Umfeld einige Chancen für unser Modell. Dementsprechend haben wir kürzlich mit einem Standort in Wien einen ersten Test unternommen, wie sich ­unser Angebot in einem Markt mit anderen Rahmenbedingungen realisieren lässt. Fortsetzung nicht ­ausgeschlossen - wenn auch derzeit nicht mit oberster Priorität.

In Berlin finden immer wieder so­genannte Wohngipfel statt, es gab eine Verschärfung der Mietpreisbremse, seit dem Sommer 2018 gibt es ein Baukindergeld - schaffen wir damit in den angespannten Immobilienmärkten der Metropolen tatsächlich Abhilfe?
Ich fürchte nicht. Man muss sich das einmal auf der Metaebene anschauen und jeweils prüfen, auf welcher Marktseite - Angebot oder Nachfrage - wir unterwegs sind. Pauschale Förderungen landen in einem Markt, der von einem Nachfrageüberhang gekennzeichnet ist, häufig bei den Verkäufern.

Wie muss man das verstehen?
Nehmen Sie als Beispiel die Denkmalsanierung. Auch wenn eine gute Sanierung aufwendig und teuer ist, gibt es doch eine Tendenz, dass die steuerliche Förderung dieser Objekte zu einem guten Teil einfach eingepreist wird. Deshalb scheint es mir besser, die Förderung zu differenzieren und nicht mit der Gießkanne auszuschütten und als ein mögliches Lösungsbeispiel die Grunderwerbsteuer für Familien oder beim erstmaligen Erwerb zu ermäßigen. Vor allem wäre es an der Zeit, politisch ganz anders zu denken: Die Knappheit an Wohnraum herrscht ja vorwiegend in den Ballungsgebieten, und da lässt sich das Angebot nun einmal nicht beliebig erhöhen. Vielleicht sollte man da das Geld in eine vernünftige Verkehrsinfrastruktur stecken, um die Randgebiete zu erschließen - um aus Großstädten echte Metropol­regionen zu machen und damit den Zuzugsdruck zu mindern. Wenn der Weg zur Arbeit schnell zu bewältigen ist, darf die Distanz auch etwas größer sein.

Ist Wohneigentum angesichts des erreichten Preisniveaus in den ­heutigen Zeiten überhaupt eine sinnvolle Sache?
Grundsätzlich ja, und das sage ich nicht nur als Baufinanzierungsvermittler. Selbst genutzte Immobilien sind ein vernünftiger Baustein des Vermögensaufbaus, wenn die realistische Chance besteht, die Finanzierung bis zum Rentenbeginn zurückzuzahlen. Und sie bieten eine hohe emotionale Rendite: Studien belegen immer wieder, dass Menschen im eigenen Zuhause zufriedener sind.

Muss man bei der Finanzierung dieser hohen Preise mittlerweile nicht Grund zur Sorge haben? Werden die Deutschen angesichts der Preissteigerungen der vergangenen Jahre ­risikofreudiger? Die Bundesbank warnt ja bereits vor einer Blase.
Nein, wir sehen weiter eine solide Haltung der Deutschen zur Baufinanzierung. Der Eigenkapitaleinsatz hat sich tendenziell erhöht, die Tilgungsraten liegen im Durchschnitt bei über drei Prozent und die Laufzeiten bei über 13 Jahren. Wir müssen auch nicht mehr Anfragen ablehnen als früher.

Gibt es bei der Risikobereitschaft ­einen Unterschied zwischen Häusle­bauer und Kapitalanleger?
Nein, wir beobachten eine ähnliche Solidität im Kapitalanlegersegment. Früher waren das vielfach Steuer­optimierer mit Vollfinanzierungen, heute sehen wir Investoren mit längerfristigem Horizont und Eigen­kapitalquoten zwischen 20 und 30 Prozent.

Welches Thema bewegt Sie bei der Entwicklung des Unternehmens derzeit am stärksten?
Schauen Sie, wir haben für die Pflege unserer Kundenbeziehung einen grundsätzlichen Nachteil durch das Produkt: Die Leute schließen Verträge mit Zinsbindungsfristen von zehn, 15, 20 Jahren ab und brauchen uns dazwischen nicht zwingend. Da ist es schwierig, beim Kunden präsent zu bleiben. Also werden wir noch mehr digitale ­Kontaktpunkte schaffen, die dem ­Kunden einen Mehrwert bieten und eine Bindung zu uns herstellen. So haben wir nun eine Anwendung geschaffen, die als eine Art digitales Zuhause hilft, sämtliche Informationen rund um die eigene Finanzierung an einem Ort zu behalten, Szenarien zu berechnen, den Kontakt mit dem Berater zu halten. Und sicher kann man sich da auch das ein oder andere ergänzende digitale Angebot rund ums eigene Zuhause vorstellen.

Vita:

Jörg Utecht
Der 1973 geborene Betriebswirt studierte ­Betriebswirtschaftslehre in Oestrich-Winkel und Computer Science in Harrisonburg, USA. ­ Vor seinem Wechsel zur Interhyp war er als Executive Director bei JP Morgan für die ­Corporate-Finance-Beratung im deutsch­sprachigen Raum zuständig. 2008 wurde er in den Vorstand der Interhyp berufen, dem er seit April 2017 vorsitzt.