BÖRSE ONLINE: Sie haben das Konzept des Tax-Free-Shopping erfunden. Wie kam es dazu?


Ronald Christen: Global Blue ist 1980 durch eine ganz kuriose Geschichte entstanden: Zwischen den skandinavischen Ländern fuhren Fähren, die viele Kunden nur benutzt haben, um zollfrei einkaufen zu können - hauptsächlich waren das Spirituosen. Während der Fahrt hat der ein oder andere die alkoholischen Getränke schon mal getestet und war dann nicht mehr in der Lage, die Formalitäten auszufüllen. Ein findiger Mann hat dann gesagt: Ich übernehme das für Euch - gegen eine Gebühr.

Konnte man sich schon damals die Mehrwertsteuer erstatten lassen?


Ja, denn es war europaweit gesetzlich verankert, dass Güter die ausgeführt werden, nicht der Mehrwertsteuer des entsprechenden Exportlands unterliegen. Damit Privatpersonen diesen Umstand nutzen können, ist es relevant, dass ihr Erstwohnsitz nicht in der EU ist. Innerhalb der EU können also nur Non-EU Bürger steuerfrei einkaufen.

Wie ging es in den Jahren danach weiter?


Die Entwicklung ist sehr rasch vorangegangen. Der skandinavische Raum wurde sofort erschlossen und dann hat Global Blue pro Jahr etwa 2-4 Länder neu in diesen Service eingeschlossen. Auch heute noch ist es Teil unserer Strategie, nicht stehen zu bleiben sondern überall dort, wo die Mehrwertsteuer eingeführt wird, auch präsent zu sein. Jüngstes Beispiel ist Russland, das erst kürzlich diese Abgabe eingeführt hat. Dort haben wir am zweiten Januar dieses Jahr ein Büro eröffnet. Inzwischen sind wir in 54 Ländern präsent.

Wenn Europäer in die USA oder in die Schweiz reisen, Produkte einkaufen und diese mit nach Hause nehmen, geht das genauso?


Selbstverständlich sind alle Europäer berechtigt, die Mehrwertsteuer ausserhalb der EU, so auch in der Schweiz, zurück zu erhalten. USA ist jedoch etwas schwieriger weil jeder der 50 Staaten ein eigenes Steuergesetz bezüglich Mehrwertsteuer und oder Sales Tax erlässt. Durch die hohe Komplexität und Auflagen wird es für die Touristen eher mühsam, die Erstattung zu erhalten. Auch aus diesem Grund ist Global Blue noch nicht als Dienstleister vertreten.

Nutzen viele Deutsche, die ins Ausland fahren, die Möglichkeit einer Steuerrückerstattung?


Das sind nur Wenige. Die Möglichkeit, sich die Mehrwertsteuer erstatten zu lassen, ist noch zu wenig bekannt. Die Schweiz ist ein gutes Beispiel. Der eidgenössische Fiskus erhebt 7,7 Prozent Mehrwertsteuer, hierzulande sind es 19 Prozent. Leider realisieren viele Deutsche noch nicht, dass die Mehrwertsteuererstattung doch einen Rabatt darstellt oder empfinden den Betrag als zu bescheiden. Zudem besteht in den meisten Ländern ein Mindesteinkaufswert - zum Beispiel 300.00 Franken in der Schweiz -, der bei einzelnen Einkäufen nicht erreicht wird. Durch die einfache Abwicklung lohnt sich jedoch die Erstattung - und die Produkte werden dadurch günstiger.

Wird Tax-Free-Shopping innerhalb Europas bald wieder attraktiver?


Der Brexit könnte das Thema für Europäer durchaus wieder interessanter machen. Denn dann können Deutsche und andere Touristen aus EU-Staaten auch in Großbritannien Tax Free einkaufen. Tax Free Shopping wird stark an Attraktivität gewinnen durch die Einführung der elektronischen, digitalen Exportvalidierung mit dem Ziel, die Abwicklung ähnlich wie eine Kreditkartentransaktion abzuwickeln.

Können alle Auslandsreisenden ein Steuererstattung für ihre Einkäufe verlangen?


Wenn Chinesen und Russen nach Mitteleuropa reisen, dann ist Tax-Free für sie ein wichtiges Kriterium, wo sie ihre Einkäufe tätigen weil die Waren in ihrer Heimat meistens teurer sind. Chinesische Touristen etwa kaufen meistens Uhren, Schmuck, Küchenutensilien, Kosmetika, - da die Kaufpreise im Ausland nach Abzug der Mehrwertsteuer günstiger sind. Auf der Maximilianstraße in München etwa bieten viele Markenshops den Service Tax Free Shopping an. Deshalb haben wir hier vor kurzem eine Lounge eröffnet, in der sich Kunden direkt in einem sehr entspannten und luxuriösen Umfeld erholen können und nach dem Einkaufsbummel ihre Steuerrückerstattung auszahlen lassen können.

Kunden aus China interessiert das Tax-Free-Shopping also besonders. Ist das Reich der Mitte der wichtigste Markt für Sie?


Die wichtigsten Kunden für unsere Dienstleistung kommen eindeutig aus China und dem asiatischen Raum. Unterschiede in der Nachfrage gibt es in vielen deutschen Städten. Berlin ist zum Beispiel sehr beliebt bei russischen Touristen, München hat durch das schöne Wetter im Sommer für die arabische Zielgruppe sehr viele Möglichkeiten. Der Markt bleibt in Bewegung.

Ab welchen Einkaufsbeträgen ist eine Steuerrückerstattung grundsätzlich möglich?


In der Schweiz kann ab 300 Franken Einkaufswert die Mehrwertsteuer erstattet werden, in Deutschland und neuerdings auch in Spanien gibt es kein Minimum, in Italien sind es 153 Euro, in Österreich 75 Euro.

Gibt es auch Probleme bei der Rückerstattung?


Das System funktioniert sehr einfach. Man braucht einen Export-Validierungsstempel: Der Zoll muss bestätigen, dass die Ware das Land verlässt. Behindernd kann sein, dass durch die hohe Nachfrage nach Tax Free und je nach Saison die Wartezeiten beim Zoll als zu lange empfunden werden. Deshalb haben sehr viele Staaten in Europa die elektronische Zollvalidierung eingeführt, die ein Anstehen überflüssig macht. Auch in Deutschland arbeitet man an einer solchen Lösung. Was auch zum Hindernis werden kann, ist wenn Händler Selbstauszahlungen vornehmen und der Tourist nur die Wahl hat, die Erstattung bei einem 2. Besuch im Ladengeschäft zu erhalten.

Man sollte also zwingend professionelle Hilfe dafür nutzen?


Mit einem Tax Free Dienstleister wird es einfacher, da die Erstattung weltweit nach der Exportvalidierung angeboten wird und der Kunde nicht gezwungen wird in das Ladengeschäft zurück zu kehren. Wir arbeiten ständig an Verbesserungen und bieten die Möglichkeit an, die Erstattung noch vor der Zollvalidierung zu machen. Oder ein gutes Beispiel ist unser Erstattungspunkt in Dresden. Hier gibt es beispielsweise die Möglichkeit, das ganze direkt am Auszahlungsschalter im Einkaufszentrum zu erledigen. Oder sie gehen in die Global Blue Lounge auf der Maximilianstraße in München und genießen die Erstattung bei einem Getränk in entspannter Atmosphäre. Um den Zollstempel am Flughafen kommt man leider dennoch nicht herum.

Muss man für die Steuererstattung nachweisen, dass man als Privatperson und nicht als Gewerbetreibender eingekauft hat?


Die Gesetzgebung gibt vor, dass man die im Ausland gekauften Produkte selbst als Gepäck-Bestandteil ausführen muss. Wenn jemand aber dreißig iPhones auf einen Schlag kauft, können Finanzbehörden gewerbsmäßige Tätigkeit unterstellen.

Gibt es produktmäßige Beschränkungen für Tax-Free-Shopping?


In Deutschland sind Autos und Ersatzteile gewissermaßen geschützt, weil diese nicht im Handgepäck exportiert werden können. Dienstleistungen sind ebenfalls nicht erstattungsfähig. Aber Drogerieartikel, Handtaschen oder Lebensmittel wie Schokolade können eingekauft werden und sind auch rückforderbar. Wichtig: Alle Produkte müssen originalverpackt und unbenutzt ausgeführt werden. Das kann der Zoll auch kontrollieren. Zudem haben alle Länder unterschiedliche Regelungen. Jedoch kann man davon ausgehen, dass nur sehr wenige Artikel, wenn überhaupt, nicht erstattungsfähig sind.

Wie ist es mit der Steuererstattung beim Einkauf auf ausländischen Onlineshopping-Portalen?


Das funktioniert nur wenn man online einkauft, die Ware aber selber physisch ausführt. Zulässig unter Tax-Free-Gesichtspunkten ist es auch, sich die Ware in ein ausländisches Hotel liefern zu lassen - und mit der Ware anschließend auszureisen. Voraussetzung ist, dass die Ware immer im persönlichen Gepäck mitgeführt wird und durch die Zollbehörden kontrolliert werden können.

Welche Perspektiven sehen Sie für den Tax-Free-Markt?


Es ist ein Wachstumsmarkt seit der Gründung. Einer der ganz großen Zukunftsmärkte könnte Indien sein. Voraussichtlich bis spätestens 2030 könnten die Inder die Chinesen in puncto Reisen überholt haben. Weil die Altersstruktur in Indien sehr jung ist, nimmt die Kaufkraft dort rasant zu, das Bruttosozialprodukt wächst pro Jahr viel stärker als in Europa. Man kann davon ausgehen dass Indien eine ähnliche Entwicklung wie China erleben wird - auch bei Tax Free-Dienstleistungen. Zudem führen sehr viele Länder die Mehrwertsteuer neu ein und anerkennen das Potential der Steuerrückerstattung als starke Motivation, den Shopping Tourismus zu fördern - siehe Russland als jüngstes Beispiel.

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