Diesen Informationen sei das Unternehmen nachgegangen und habe erfahren, dass Reichelt auch nach Abschluss eines "Compliance"-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt habe. Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion werde der derzeitige Chefredakteur der "Welt am Sonntag", Johannes Boie.

Reichelt war im März wegen Vorwürfen aus der Belegschaft rund um Machtmissbrauch vorübergehend freigestellt worden. Nach einer internen Untersuchung hieß es, er habe Fehler gemacht, die aber nicht strafrechtlicher Natur seien. Er durfte seinen Job fortsetzen, bekam aber Alexandra Würzbach als Doppelspitze zur Seite gestellt. Im Umfeld des Berliner Konzerns hatte es vor der jüngsten Entscheidung geheißen, wenn es neue Vorwürfe gegen Reichelt geben sollte, werde man sich diese genau anschauen und bewerten.

"Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei 'Bild' gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt", erklärte Springer-Chef und Großaktionär Mathias Döpfner. "Dies ist nun nicht mehr möglich."

MEDIENHAUS IPPEN STOPPTE INVESTIGATIV-BERICHT ÜBER "BILD"


Zuletzt hatten investigative Recherchen des Ippen-Verlags ("Münchner Merkur", "TZ", "Frankfurter Rundschau") und der "New York Times" für Aufsehen gesorgt. Die Ippen-Veröffentlichtung wurde von Verleger Dirk Ippen persönlich gestoppt, wogegen das Investigativ-Team des Verlags protestierte. Laut einem im Internet bekanntgewordenen Schreiben des Teams geht es bei den Recherchen im Kern um "Machtmissbrauch gegen Frauen und weitere Missstände" bei Axel Springer und vor allem durch den bisherigen "Bild"-Chefredaketeur. Reichelt war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Springer erklärte weiter, es habe in Rahmen des Compliance-Verfahrens gegen Julian Reichelt nie den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe gegeben. Es habe aber den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehungen zu "Bild"-Mitarbeiterinnen und Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang gegeben. Bewiesen und eingeräumt wurde demnach eine frühere Beziehung zu einer Mitarbeiterin von "Bild". Umstritten geblieben sei, ob dieser Mitarbeiterin dadurch berufliche Vorteile gewährt wurden.

Springer-Chef Döpfner erklärte weiter, Reichelt habe die "Bild" journalistisch hervorragend entwickelt. Mit Boie gebe es nun einen erstklassigen Nachfolger. "Er hat unter Beweis gestellt, dass er journalistische Exzellenz mit modernem Führungsverhalten verbindet", so Döpfner. Bevor der 37-jährige Boie 2017 zu Axel Springer kam, hatte er bei der "Süddeutschen Zeitung" als Reporter und Redakteur gearbeitet.

Die "Bild" ist Deutschlands auflagenstärkste Tageszeitung, seit kurzem gibt es auch BILD TV. Der Axel-Springer-Konzern, der vor allem für das Boulevard-Blatt sowie die "Welt" bekannt ist, hatte im August die Übernahme des US-Nachrichtenunternehmens Politico bekanntgegeben. Die Berliner nehmen seit Jahren verstärkt den US-Medienmarkt in den Fokus und wollen mit Rückenwind des größten Aktionärs, dem US-Finanzinvestors KKR weiter expandieren.

rtr