Zwei BÖRSE ONLINE-Redakteure, zwei Meinungen. Ist die Aktie von Nestlé jetzt ein Kauf oder packen sich Anleger mit dem Papier jetzt eine Niete ins Depot?
Redakteur Richard Pfadenhauer sieht die Trendwende bei Nestlé
Wer seinen Wochenendeinkauf macht, kommt an Produkten von Nestlé kaum vorbei. Über 2000 Marken zählen zum Portfolio der Schweizer, darunter Nescafé, San Pellegrino, KitKat, Maggi, Friskies und Mövenpick. Vielen Anlegern schmeckte das Papier zuletzt dennoch nicht. Das Wachstum ließ deutlich nach und basierte in erster Linie auf Preiserhöhungen. Konkurrenten wie Danone und Unilever lieferten deutlich bessere Ergebnisse. Dies spiegelte sich in den zurückliegenden Jahren am schwachen Aktienkurs wider.
Nun deutet sich allerdings ein Trendwechsel nach oben ab. Die Aktie machte seit dem mehrjährigen Tief im Januar Boden gut.
Der Stimmungswandel ist eng mit dem Wechsel an der Führungsspitze verbunden. Nach dem Rücktritt von Mark Schneider übernahm Nestlé-Veteran Laurent Freixe Anfang September vergangenen Jahres den Chefsessel. Auf dem Kapitalmarkttag im November stellte Freixe bereits die Eckpfeiler seiner Strategie vor: Fokus auf das Kerngeschäft. Investition in neue Wachstumsfelder und Kostensenkungen. Während Sparten wie Tierfutter und Kaffee zulegten, büßten Tiefkühl- und Milchprodukte ein. Ein Portfolioproblem sieht Freixe dennoch nicht. Vielmehr sollen wachstumsstarke Bereiche weiter gestärkt und schwächelnde Segmente wieder auf Kurs gebracht werden. Nach den deutlichen Marketing-Budgetkürzungen der Vorjahre soll daher künftig wieder deutlich mehr für die Vermarktung der Marken ausgegeben werden.
Wachstumstrends und Kostenkürzungen
Neben der Stärkung des Kerngeschäfts sollen Produktinnovationen vorangetrieben werden. In den zurückliegenden Jahren haben sich im Ernährungsbereich neue Trends wie GLP-1-Ernährungsergänzungen, gesunde Ernährung speziell für Frauen, Kinder und Jugendliche sowie Produkte für eine gesunde Langlebigkeit entwickelt. Davon will Freixe mittelfristig profitieren. Große Übernahmen sind dabei zunächst nicht geplant. Vielmehr beschränkt sich der Konzern wie im Fall Seres Therapeutics zunächst nur auf den gezielten Kauf von Produktlinien oder wie im Fall von Orgain auf den Ausbau von Beteiligungen, um Zugriff auf Produktinnovationen zu erhalten. Derweil stieß Freixe eine Verschlankung im Management an und stockte das von Schneider
lancierte Sparprogramm um weitere 2,5 Milliarden Schweizer Franken auf. Das margen schwache Wassergeschäft wird eigenständig und könnte mittelfristig verkauft oder in ein Joint Venture eingebracht werden.
Im ersten Quartal war noch nicht viel von Freixes neuem Kurs zu sehen. Dies soll sich im Jahresverlauf ändern. Als größter Nahrungsmittelkonzern der Welt verfügt Nestlé global über eine starke Marktposition und ist nicht von Märkten wie China abhängig. Gelingt es Freixe, die Schweizer wieder auf Kurs zu bringen, ist das Paper mit einem KGV von 18,4 und einer Dividendenrendite von 3,5 Prozent moderat bewertet. Aus charttechnischer Sicht hat sich die Aktie zwischen 89,50 Euro und 96,30 Euro eingependelt. Gelingt der Ausbruch über die obere Barriere, eröffnet sich weiteres Aufwärtspotenzial bis 107 Euro.
Redakteur Jörg Lang stellt das Nestlé-Comeback in Frage
Viele Jahre hat Nestlé von der demografischen Entwicklung profitiert. Vor allem der Zuwachs der Kaufkraft bescherte dem Konsumgüteriesen Zuwachsraten bei Umsatz und Ertrag. Weil einige Märkte, in denen der Konzern vertreten war, weniger Wachstum versprachen oder strukturelle Probleme sich andeuteten, hatte der deutsche Manager Mark Schneider versucht, dem Konzern ein neues Gesicht zu geben und das Thema Gesundheit nach vorn zu stellen. Weil sich die erwarteten Ergebnisse nicht einstellten, musste Schneider den Hut nehmen. Nun wird zurückgerudert. Das gefällt Investoren, wird doch nun wieder mit höheren Wachstumsraten, mehr Ertrag und mit steigenden Dividenden gerechnet.
Es fällt mir ziemlich schwer, mich an diese Comeback-Story zu hängen. Viele Produkte von Nestlé enthalten reichlich Zucker, fördern auch die Fettleibigkeit. Die verursacht heute schon hohe gesellschaftliche Kosten, die künftig deutlich zunehmen werden. Ein Verbot von Dickmachern würde den Konzern massiv belasten. Schon das aktuelle Geschäft des Konzerns verspricht im besten Fall Stabilität. Das wird durch die Entwicklung im ersten Quartal belegt. Der Umsatz wächst lediglich um 2,3 Prozent. Der Löwenanteil der Zuwächse waren Weitergabe von Kosten, weil wie im Fall von Kaffee die Rohstoffpreise stiegen.
Zahlreiche Baustellen bei Nestlé
Neben mangelnder Dynamik gibt es auch echte Baustellen bei Nestlé. Dazu gehört das Geschäft mit Mineral- und Trinkwasser. Hier hat der Konzern immer wieder Probleme auch mit Umweltbehörden. Exemplarisch dafür steht etwa die Manipulation bei der Abfüllung der Mineralwassermarke Perrier. Nestlé soll unerlaubte Filtermethoden eingesetzt haben, um Verunreinigungen zu entfernen.
Letztlich gibt es neben Licht auch Schatten in der Bilanz. Dass der Konzern eine höhere Dividende zahlen könnte, ist unbenommen. Das von den Investoren erhoffte Wachstum ist jedoch nicht mit freiem Cashflow unterlegt. Das heißt: Alles, was über das aktuelle Level hinausgeht, geht auf Kosten der Substanz. Gleichzeitig sind die Nettoschulden in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Rendite des freien Cashflows gemessen am Kurs liegt bei vier Prozent. Das ist recht wenig. Um die Kennzahl zu ändern, müsste — vielleicht weniger wahrscheinlich — der Cashflow deutlich steigen oder eben der Kurs fallen.
Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (24/25), die Sie hier finden.
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