Theo Müller, geboren 1940 in Aretsried bei Augsburg, übernahm 1971 von seinem Vater eine Molkerei mit vier Angestellten. Ein Kleinbetrieb, wie es ihn damals in Deutschland zu Hunderten gab. Die Molkerei gehörte der Familie bereits seit 1896. Theo Müller hatte eine Mittelschule besucht und war ein guter Schüler. Dennoch verließ er die Schule mit 16 Jahren, um im elterlichen Betrieb eine Ausbildung zum Molkereimeister zu machen. "Aus damaliger Sicht war es eigentlich falsch, auf weitere Bildung zu verzichten", sagte Müller später. Sein Lebensweg wäre mit Sicherheit anders verlaufen. "Vielleicht wäre ich dann Oberregierungsrat im Landratsamt geworden."

1970 erwirtschaftete die Molkerei einen kleinen Gewinn. Zwei Jahre später lag er bereits bei über einer Million DM. "Es war der Moment, in dem ich mich zum ersten Mal reich fühlte", zitierte das Magazin der "Spiegel" Müller. Mit viel Fleiß und unternehmerischem Instinkt baute der Selfmademan die Molkerei zu einem Milliardenunternehmen aus.

"Als einer der Ersten erkannte Müller den Strukturwandel seiner Branche, verließ die Region und setzte auf deutschlandweiten Vertrieb, bereits Ende der Achtzigerjahre zog es ihn auch ins Ausland", schrieb der "Spiegel". Die überregionale Vermarktung der Produkte war in der Molkereibranche damals noch unüblich. Flankiert wurde Müllers bundesweite Marketingkampagne durch TV-Spots, oft mit Testimonials von Prominenten wie dem Tennisstar Boris Becker, dem Schauspieler Harald Juhnke oder dem Fußballspieler Gerd Müller, die die Produkte aus Schwaben anpriesen.

Müller kaufte in Deutschland eine kleine Molkerei nach der anderen. "Insgesamt habe ich in den 70er- und 80er-Jahren etwa 200 Bauern aus ihren Genossenschaften herausgekauft, indem ich für einen Liter Milch einen Pfennig mehr bezahlte", verriet er dem Buchautor Rainer Zitelmann ("Setze dir größere Ziele"). Ende der 80er-Jahre expandierte der Milch-Baron dann nach Großbritannien, wo heute die Hälfte des Konzernumsatzes erwirtschaftet wird, 1994 kaufte er außerdem für 15 Millionen Euro die insolvente Firma Sachsenmilch. "Niemand sonst wollte das Unternehmen haben, obwohl allein in eine neue Molkereianlage, Gebäude und andere Maschinen 170 Millionen Euro investiert waren." In den folgenden Jahren baute Müller Sachsenmilch zu einer führenden Marke aus und investierte über eine Milliarde Euro in das Unternehmen.

Zum Konzern gehören inzwischen die Molkerei Weihenstephan und die Feinkostanbieter Nadler sowie Homann. Bis 2018 befand sich auch die schwächelnde Fisch-Restaurantkette Nordsee im Besitz von Müller. Vom US-Markt zog sich der Patriarch 2015 nach nur drei Jahren wieder zurück. Damals scheiterte ein Joint Venture mit dem Brause-Giganten PepsiCo.

Müllers Erfolgsgeheimnis: Er hatte schon früh erkannt, dass man mit einem Markenprodukt wesentlich mehr verdienen konnte als mit einem Allerweltsprodukt wie Milch, wenn man es schaffte, die Marke mit Werbung und Marketing geschickt zu positionieren. "Mit einem Markenprodukt wie etwa dem ‚Joghurt mit der Ecke‘ kann ich etwa sechs bis sieben Mal mehr verdienen als mit einem Standardprodukt, wie es etwa die H-Milch ist, die jeder herstellen kann", verriet er Zitelmann. In der Branche hätten nur etwa 15 Prozent der Milchprodukte eine Markenidentität - bei ihm seien es etwa 50 Prozent. Nur so konnte Müller große Gewinnspannen realisieren, die er stets wieder für neue Investitionen einsetzte.

"Müller verlieh dem eigentlich langweiligen Image von Milchprodukten mit Werbeslogans wie ‚Alles Müller oder was?‘ eine gewisse Sexiness", schrieb die Zeitung die "Welt". "Und er belebte immer wieder mit neuen Ideen den Markt - sei es mit seinem ‚Joghurt mit der Ecke‘ oder mit dem umstrittenen Bestreben, aus Molkereiabfällen Biosprit herzustellen."

So hatte Müller 1971 ein Verfahren entwickelt, um Buttermilch, die lediglich ein Beiprodukt aus der Butterproduktion war, durch den Entzug von Wasser viel cremiger zu machen. Er nannte sie "Müller Reine Buttermilch", sie wurde zum Verkaufsschlager und bildete den eigentlichen Grundstein für sein heutiges Imperium. Auch Müllers fertiger Milchreis wurde in den 1980er-Jahren zu einem beliebten Pausensnack.

Der Firmenchef war mehrfach das Ziel von Erpressungsversuchen. 1990 drohte ein Mann, Joghurts zu vergiften, wenn Müller nicht eine Millionensumme zahle. Der Erpresser wurde gefasst und zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Fünf Jahre später wurde Müller das Opfer eines Entführungsversuchs. Auf der Fahrt ins Büro wurde er in seinem Mercedes von zwei falschen Polizisten gestoppt, die ihn mit der Pistole bedrohten und zum Aussteigen zwangen. Sie versuchten, ihn in einen Kastenwagen zu zerren. Müller wehrte sich, riss sich los und rannte davon.

Steuern sind des Müllers Frust

Schlagzeilen machte Müller 2003, als er, um der deutschen Erbschaftsteuer zu entgehen, mit seiner Familie in die Schweiz zog, ins malerisch an Zürichs "Goldküste" gelegene Städtchen Erlenbach. Im Falle der Übertragung des Unternehmens an seine Kinder würde eine dreistellige Euro-Millionensumme an Steuern fällig, sagte er wenige Wochen, bevor die Möbelwagen anrollten. Dies würde die Existenz seiner Firma gefährden, verteidigte er den Schritt. Mit seinem Wegzug aus Deutschland wolle er aber "auch den enormen Kollateralschaden thematisieren, den dieser Steuerirrsinn mit sich bringt", erklärte er damals in einem "Spiegel"-Interview. Der Milliardär erntete harsche Kritik für seinen Umzug in die Schweiz - unter anderem vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Mit Kritik musste sich Müller in der Vergangenheit immer wieder auseinandersetzen. "Ich liebe den Konflikt", sagt er. 2004 vertrieb er Greenpeace-Aktivisten, die ihn öffentlich anprangerten, "Genmilch" und "Genjoghurt" zu vertreiben, mit der Faust vom Hof. Und als 2008 Bauern vor dem Stammsitz in Aretsried für höhere Milchpreise demonstrierten, erhielten einige von ihnen die Kündigung als Lieferanten. "Gut ist sein Ruf in der Branche nicht, als streitbar gilt er, als stur und allein den eigenen Interessen verpflichtet", schrieb die "Welt".

Eine Rückkehr nach Deutschland kann sich Müller nicht mehr vorstellen. "Ich lebe nicht schlecht im Exil", erklärte er. Müller, der mit zwei Stiftungen Blasmusik und Heimatkultur in der Gemeinde unterstützt, in der seine Karriere begann, lebt heute zurückgezogen in einem bescheidenen Wohnhaus am Zürichsee.

Er spielt Geige, interessiert sich für Kunst. Aus seiner ersten, geschiedenen Ehe hat Müller sieben Kinder, mit seiner zweiten Lebensgefährtin, mit der er 2003 an den Zürichsee gezogen war, hat er zwei gemeinsame Töchter. Inzwischen ist er mit der Unternehmerin Beate Ebert liiert. Fotos von ihm selbst und seiner Familie gibt es kaum. Lediglich bei den Salzburger Festspielen lässt er sich gelegentlich ablichten.

Die Frage, wer dem Milch-Baron einmal nachfolgen sollte, scheint mittlerweile gelöst. Nachdem sich in den vergangenen Jahren etliche Führungskräfte die Klinke in die Hand gegeben hatten, übernahm Sohn Stefan vom Patriarchen das Aufsichtsratsmandat in der Holding, die Deutschlands größten Molkereikonzern steuert. Stefan Müller war bereits früh mit Führungsaufgaben in dem Familienunternehmen betraut worden. Er leitete unter anderem die riesige Molkerei im sächsischen Leppersdorf. Vor sechs Jahren kam es allerdings zum Bruch mit dem Vater, und Stefan Müller machte sich mit Colostrum BioTec, einem Produzenten von Vormilch, selbstständig. "Ich bin froh, dass Stefan wieder da ist", sagte der 80-jährige Patriarch.