BÖRSE-ONLINE.de: Vergangenes Jahr sagten Sie, dass Sie für 2021 Fortschritte in den Bereichen Quantum Computing sowie 5G erwarten. Hat die Entwicklung Ihren Erwartungen entsprochen? Wie geht es weiter?
Thomas Rappold: Definitiv war 2021 ein starker Beschleuniger für die Themen 5G und Quantum Computing. Ein großer Beschleuniger beider Themen ist die Covid-Pandemie. Auch über die riesigen Infrastrukturpakete in den USA und Europa fließt sehr viel Geld sowohl von öffentlicher wie auch privater Seite in die beiden Sektoren. 5G wurde zum essentiellen Rückgrat für die neue flexible "stay-at-home" Arbeitswelt. Nicht ohne Grund ist Apple inzwischen zu einem Drei-Billionen-Dollar-Unternehmen aufgestiegen. Weltweit investieren Regierungen im Moment rund 20 Milliarden Dollar in das Thema Quantum Computing. IBM hat kürzlich einen neuen Meilenstein bei der Leistungsfähigkeit von Quantenrechnern vorgestellt. Zwei prominente Quantum Computing-"Pure-Player" IonQ und Rigetti gaben via SPAC im Herbst ihr Börsendebüt.

Gibt es neue Trends, die Sie für 2022 auf dem Vormarsch sehen?
Sehr viel Potenzial liegt in der Verschmelzung mehrerer Megatrends. Bleiben wir bei 5G und Quantum Computing: 5G bietet praktisch "unbegrenzte" Übertragungsbandbreite. Quantum Computing "unbegrenzte" Rechenleistung. Nimmt man beides zusammen, kann man sich vorstellen, welche Innovationspower daraus entstehen kann. Ein praktisches Beispiel: Stromversorger wie EON arbeiten im Moment mit Hochdruck mittels Quantum-Rechenpower an der Optimierung ihres Stromnetzes, sogenannter "Smart Grids". Nachdem der Netzausbau in Deutschland extrem schleppend vorankommt, braucht es intelligente Software-Lösungen wie Smarte-Netze, dies zu kompensieren - wollen wir die ambitionierten Klimaziele doch noch erreichen. Ein weiterer großer Trend ist die Blockchain-Technologie. Diese manifestiert sich im Ausdruck Web 3.0, die wirkliche Kommerzialisierung des Internets, insbesondere des Finanzsektors durch dezentralisierte Finanzlösungen.

Welche Aktien sehen Sie als die großen Profiteure dieser Trends?
Wir sehen schon in den letzten Monaten, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Stockpicking wird auch im Tech-Sektor stark an Bedeutung gewinnen. Im etablierten Bereich sind Apple, Alphabet und Amazon meine Favoriten. Im Fintech-Bereich sehe ich bei PayPal große Potenziale, durch ihren neuen Super-App Ansatz und inzwischen fast einer halben Milliarde Kunden. Für langfristig orientierte Anleger, die auch stärkere Kursschwankungen aushalten können, halte ich DocuSign, GitLab und Palantir für sehr aussichtsreich.

Laut US-Präsident Joe Biden wird ein Großteil der kritischen Infrastrukturen vom privaten Sektor betrieben. In diesem Zuge sagten die großen Tech-Konzerne Apple, Alphabet, Microsoft und Amazon im Sommer zu, Milliardensummen in Cybersicherheit zu investieren. Was erwarten Sie sich davon?
Cybersecurity ist einer der größten Profiteure der Digitalisierung. Es ist eine Querschnittstechnologie, die von dem Trend zu stärkerer Konnektivität profitiert. Stichworte sind autonomes Fahren, Cloud Computing oder Industrie 4.0. Ich habe hier als Index-Entwickler frühzeitig auf den Trend gesetzt und bereits 2015 den führenden Cybersecurity Performance Index entwickelt. Für den Privatanleger ist es technisch sehr herausfordernd auf Einzeltitel in diesem Sektor zu setzen. Die Schwankungen nach Oben und Unten können bei Quartalszahlen auch erheblich sein.

Biden will in der Techbranche den Wettbewerb fördern. Unter anderem sollen Akquisitionen strenger reguliert werden. Wie könnte sich das auf die großen Techkonzerne auswirken?
Im Gegensatz zu China fährt Biden eher eine moderate Linie. Immerhin hat er sehr viele Parteispenden von den Tech-Konzernen bekommen. Biden lässt sich auch von einflussreichen ehemaligen Managern von Tech-Konzernen beraten. Darüber hinaus gewann er bei der letzten Präsidentschaftswahl gegenüber Trump den Staat Kalifornien. Ein sehr wichtiger Staat, der überproportional viele Wahlmänner zur Verfügung stellt. Außerdem wird er es halten wie viele amerikanische Präsidenten, frei nach dem Spruch des ehemaligen Außenministers Henry Kissinger: Amerika unterhält keine Freundschaften, Amerika hat Interessen. Sprich der Tech-Sektor ist inzwischen vielleicht strategisch wichtiger als der Militärsektor und Biden braucht die Tech-Konzerne.

Viele der großen Tech-Player sitzen im Silicon Valley. Wie ist Deutschland im Vergleich aufgestellt?
Deutschland ist weit abgehängt und spielt in der Plattformökonomie praktisch keine Rolle mehr. Erschreckend ist die Tatsache, welche Unterschiede es in den Marktkapitalisierungen gibt. An der Nasdaq wird die Zukunft gehandelt, in Deutschland eher die Vergangenheit. Deutlich wird dies auch im neuen Koalitionsvertrag: Dort ist nicht mehr von ambitionierten Zielen die Rede, dass Deutschland auf einem Tech-Feld Weltmarktführer sein beziehungsweise werden möchte. Keine guten Vorzeichen für eine Exportnation wie Deutschland. Insbesondere die Einstellung der politischen Parteien muss sich ändern, dass der Aktienmarkt nichts "Böses" ist, sondern zentral für eine prosperierende arbeitsplatzschaffende Wirtschaft. Erfreulich ist, dass eine neue mutige Generation heranwächst, die sich für Startups, Unternehmertum und Aktien interessiert. Es gibt einige hoffnungsvolle Börsenaspiranten die Vorbildfunktion haben könnten.

Ganz konkret SAP: Hat der Konzern nach den Turbulenzen und Personalquerelen die Kurve gekriegt und wie steht es um das Cloud-Geschäft?
Aus meiner Sicht, ja. SAP wird stark unter Wert gehandelt. Über die SAP-Systeme laufen rund dreiviertel aller weltweiten B2B-Digitaltransaktionen. Vorstandschef Christian Klein ist dabei, die Zukäufe zu integrieren zu einem homogenen Produkt. Dazu hat er spannende neue Plattformlösungen wie beispielsweise CatanaX, ein Netzwerk- und Beschaffungssytem für die Automobilindustrie, entwickelt. SAP sieht auch große Chancen im Bereich Nachhaltigkeit. Da die meisten weltweiten Geschäftstransaktionen über SAP-Lösungen laufen, kennt SAP auch ziemlich gut den digitalen "Footprint" der Geschäfte ihrer Kunden und kann ihnen damit neue Lösungen anbieten.

Kann Meta mit Metaverse tatsächlich einen neuen virtuellen Raum, quasi eine Parallelwelt, schaffen?
Eine sehr spannende Frage: Klar ist, immer mehr spielt sich im digitalen Raum ab. Es gab schon einmal unter dem Begriff "Communities" vor 20 Jahren, interessanterweise auch zum Höhepunkt des Dot.com Bubbles, vergleichbare Ansätze. Es ist also nichts grundlegend Neues. Damals haben die Leute es nicht angenommen. Heute aber sind die Leute gewöhnt an Zoom- und Teams-Videosessions oder Spielen im Internet. Ein großer Game-Changer könnte das mit Spannung für Ende 2022/Anfang 2023 zu erwartende Apple Virtual Reality (VR)/Augmented Reality (AR) Headset werden. Apple ist zuzutrauen, eine einzigartige Nutzerexperience zu erzeugen.

Welche Konzerne könnten davon profitieren?
Apple könnte einer der größten Profiteure werden. Aber auch Bezahldienstleister wie PayPal und Block (ehemals Square) könnten mitverdienen. Nicht zu vergessen: Auch der industrielle Sektor. Hier gehört Dassault Systemes als Entwickler digitaler industrieller Zwillinge zu den großen Profiteuren.

Welche Tech-Aktien haben 2022 das größte Potenzial?
Unter den Leitwerten sicher Alphabet und SAP, im aufstrebenden Sektor sehe ich Palantir.