Es war ein Börsendebüt mit Signalwirkung: Marinebauer TKMS lockt Anleger mit Rüstungsfantasie. Doch Euphorie und Realität klaffen weit auseinander.
Es war ein Debüt mit Paukenschlag: Als die Aktien der Thyssenkrupp-Tochter TKMS am Montag erstmals gehandelt wurden, überschlugen sich die Ereignisse. Der Marine-Spezialist eröffnete bei 60 Euro, schoss in der Spitze auf 107 Euro und schloss den Tag bei 81,10 Euro. Damit war TKMS zeitweise mehr wert als der gesamte Mutterkonzern.
In den Tagen danach setzte jedoch eine Konsolidierung ein: Die Papiere fielen bis Donnerstag auf rund 70 Euro, die Marktkapitalisierung schrumpfte auf 4,47 Mrd. Euro – immer noch bemerkenswert für ein Unternehmen, das bislang ein gut gehüteter Konzernschatz war. Der spektakuläre Start wirft nun eine zentrale Frage auf: Handelt es sich um den Beginn einer dauerhaften Neubewertung der deutschen Rüstungsindustrie – oder lediglich um ein Strohfeuer wie so viele Hype-Wellen zuvor?
Ein Marine-Pure-Play im Fokus der Märkte
TKMS (Thyssenkrupp Marine Systems) steht für ein klar umrissenes Geschäftsmodell: als größter deutscher Marineschiffbauer und weltweiter Marktführer für konventionelle U-Boote. Der Auftragsbestand liegt bei 18,5 Mrd. Euro – das entspricht rund dem 8,6-Fachen des Jahresumsatzes. Analyst Jens-Peter Rieck von MWB Research nennt das eine „beispiellose Visibilität im europäischen Verteidigungssektor“. Ein solcher Auftragsüberhang bedeutet für Investoren Planungssicherheit, was in einem krisengeschüttelten Umfeld selten ist.
Die operative Stärke speist sich aus einem strukturell wachsenden Verteidigungsmarkt: Die Bedrohungslage durch den Krieg in der Ukraine, Chinas maritimen Machtanspruch und eine Renaissance klassischer Sicherheitsallianzen hat die Nachfrage nach High-End-Militärtechnologie in die Höhe schnellen lassen. Deutschland hat seine Rüstungsausgaben deutlich erhöht, und auch andere NATO-Staaten rüsten massiv auf.
Von Thyssenkrupp befreit – und erstmals eigenständig bewertet
Dass TKMS ausgerechnet jetzt an die Börse kommt, ist kein Zufall. Für Thyssenkrupp war der Marineschiffbau lange das strategische Kronjuwel, aber innerhalb des Mischkonzerns schlecht sichtbar. Durch die Abspaltung wird der Bereich nun erstmals eigenständig kapitalmarktfähig bewertet.
Thyssenkrupp-Aktionäre erhielten für je 20 Stammaktien einen Anteilsschein von TKMS. Rechnerisch stieg ihr Depotwert am Tag des Börsengangs um 14 Prozent. Mit der neuen Struktur ist die Beteiligung des Mutterkonzerns von 51 Prozent zwar weiterhin hoch, doch TKMS hat nun die Möglichkeit, eigene Kapitalmarktstrategien zu verfolgen – etwa bei möglichen Joint Ventures, Investitionsprogrammen oder Exportoffensiven.
Analysten zwischen Euphorie und Skepsis
Der Börsenstart war spektakulär – die Bewertungen der Analysten fallen differenzierter aus. MWB Research empfahl die Aktie unmittelbar mit „Buy“ und einem Kursziel von 100 Euro. Das Haus sieht TKMS als europäischen Marine-Champion mit strukturellem Rückenwind.Deutsche Bank Research hingegen startet mit einem neutralen „Hold“ und Kursziel 75 Euro. Analyst Sriram Krishnan lobt zwar das klare Profil des Unternehmens, sieht aber viel Vorschusslorbeeren bereits eingepreist.
Bernstein Research ist noch vorsichtiger: Kursziel 74 Euro, Einstufung „Underperform“. Schiffbau, so der Tenor, bleibe ein zyklisches Geschäft mit langen Projektzyklen, hohen Ausführungsrisiken und eher moderaten Margen. Diese Diskrepanz zwischen Markteuphorie und Fundamentaleinschätzung ist typisch für IPO-Phasen – und birgt erhebliche Kursausschläge in beide Richtungen.
Geopolitik als Turbo – aber auch Risiko
Die Rally der TKMS-Aktie fiel nicht zufällig in eine Phase, in der europäische Rüstungswerte insgesamt unter Beobachtung standen. Spekulationen über mögliche geopolitische Veränderungen – insbesondere rund um Donald Trump, Putin und mögliche Waffenstillstandsverhandlungen – führten zuletzt zu spürbaren Kursbewegungen bei Rheinmetall, Renk und Hensoldt.
JPMorgan-Analyst David Perry erinnerte daran, dass ein möglicher politischer Kurswechsel die Nachfrage nach Rüstungsgütern kurzfristig beeinflussen könne. Gleichzeitig sei ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges nicht in Sicht. Für TKMS bedeutet das: Der Rückenwind aus sicherheitspolitischen Unsicherheiten dürfte strukturell erhalten bleiben, kurzfristige Volatilität aber inklusive sein.
Parallelen und Unterschiede zu Rheinmetall und DroneShield
Anleger vergleichen den Börsenneuling bereits mit anderen Rüstungsgewinnern der vergangenen Jahre. Rheinmetall hat sich seit 2022 von einem zyklischen Autozulieferer zu einem Börsenliebling mit Kursgewinnen von über 1000 Prozent verwandelt. DroneShield aus Australien wurde durch seine Anti-Drohnen-Technologie zum Tech-Hype-Titel und legte dieses Jahr um mehr als 500 Prozent zu.
TKMS ist ein anderer Fall: weniger Tech-Hype, mehr klassische Industrie – aber mit globaler Nachfrage und hoher Eintrittsbarriere. Das Geschäft mit U-Booten und Fregatten ist kapitalintensiv, politisch sensibel und erfordert jahrzehntelanges Engineering-Know-how. Das schützt vor Nachahmern – macht aber den Aufbau hoher Margen schwerer als etwa im Hightech-Segment.
Bewertung, Chancen und Fallstricke
Mit einer aktuellen Marktkapitalisierung von 4,47 Milliarden Euro ist TKMS nur rund ein Zwanzigstel von Rheinmetall wert (aktuell: 81 Milliarden Euro), aber kurzeitig schon mehr als die Mutter Thyssenkrupp. (Aktuell liegt Thyssenkrupp wieder um rund eine Milliarde vorne.) Das ist bemerkenswert – und ein Signal, wie hoch der Kapitalmarkt den Marinebereich gewichtet.
Doch die Bewertung ist ambitioniert: Ein Auftragsbestand ist kein Gewinn, und lange Fertigungszeiten bergen operative Risiken. Hinzu kommen Exportabhängigkeit, politische Genehmigungsverfahren und hohe Fixkostenstrukturen.
Auf der anderen Seite steht ein klarer strategischer Trend: Europa rüstet auf – und TKMS sitzt im Zentrum dieser Entwicklung. Sollte es dem Unternehmen gelingen, Margen und Cashflows nachhaltig zu verbessern, könnte der Börsenwert weiter steigen.
IPO mit Symbolkraft – aber kein Selbstläufer
Der Börsengang von TKMS markiert einen Wendepunkt für die deutsche Rüstungsindustrie: Er macht sichtbar, wie stark Investoren die Branche inzwischen gewichten – und wie viel Kapital in sicherheitspolitische Geschäftsmodelle fließt.
Ob TKMS der nächste Rheinmetall wird oder doch eher ein klassischer Zykliker mit begrenztem Aufwärtspotenzial, hängt von operativer Exzellenz und geopolitischer Großwetterlage ab. Die Aktie bietet Substanz, Fantasie – und Risiken. Wer einsteigt, sollte nicht nur die Schlagzeilen des ersten Handelstags sehen, sondern die langen Zyklen dieser Branche verstehen. TKMS ist also kein kurzfristiger Zock, sondern ein strukturelles Spiel auf Europas sicherheitspolitische Zeitenwende. Die Frage ist nicht, ob die Aktie spannend bleibt – sondern wie viel Euphorie der Markt schon vorweggenommen hat.
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