Gegen den erklärten Widerstand von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hob sie den Leitzins am späten Dienstagabend überraschend deutlich von 4,5 auf 10,0 Prozent an. Damit soll der Abfluss an ausländischem Kapital gestoppt werden, der die Lira auf ein Rekordtief gedrückt hatte. Die Börsen reagierten rund um den Globus positiv, weil das entschlossene Handeln die Gefahr eines Flächenbrands in den Schwellenländern verringert.

Die Lira wertete wie beabsichtigt kräftig auf: Ihr Kurs legte um sieben Prozent zum Dollar zu und machte damit den größten Sprung seit gut fünf Jahren. In Asien zogen die Aktienmärkte ebenso an wie der Dax in Frankfurt und der europäische Leitindex EuroStoxx50. "Schwere Zeiten erfordern drastische Maßnahmen", lobte Analyst Gennadiy Goldberg vom Finanzhaus TD Securities die Maßnahme der türkischen Währungshüter. Wegen der eingeleiteten Straffung der US-Geldpolitik hatten sich Anleger zuvor scharenweise aus Schwellenländern zurückgezogen, weil sie ihr Geld wieder gewinnbringender in den USA und anderen Industriestaaten anlegen können. Das absehbare Ende der Geldschwemme werde zu Marktschwankungen in einigen Schwellenländern führen, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde.

"BLEIBT STANDFEST. HEBT NICHT AN"

Die Zentralbank um ihren Chef Erdem Basci setzte ihren Willen gegen erheblichen politischen Widerstand durch. "Ich bin gegen eine Zinserhöhung", hatte Ministerpräsident Erdogan noch kurz vor der Krisensitzung der Zentralbank gesagt. Auch Medien übten Druck aus. "Bleibt standfest, hebt nicht an", appellierte die regierungsnahe Zeitung "Yeni Safak" auf ihrer Titelseite. Sie wirft der "Zinslobby in New York und London" vor, die Lira nach unten geprügelt zu haben und damit die Zentralbank zu erpressen. Erdogan räumte aber auch ein: "Ich habe nicht die Befugnis, mich bei der Zentralbank einzumischen", sagte er. "Sie ist für alles verantwortlich, was nun entstehen könnte."

Kritiker werfen Basci allerdings vor, aus Rücksicht auf die Konjunktur viel zu lange mit dem Schritt gewartet zu haben. "Hätten die Währungshüter in Ankara früher reagiert, wäre der Lira so manches erspart geblieben", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. Im August 2013 - als die Währung schon einmal unter starkem Druck stand - versprach Basci eine Stärkung, und zwar ohne dabei den Leitzins zu erhöhen. "Wir halten das für ein politisches Signal der Notenbank, sich nicht länger die Zinspolitik vorschreiben zu lassen", erklärte die LBBW die Kehrtwende.

"ZWEISCHNEIDIGES SCHWERT"

Die höheren Zinsen machen es für ausländische Geldgeber attraktiver, ihr Geld in der Türkei anzulegen. Das wiederum stärkt die Lira. Bei einer schwachen Währung droht zudem eine höhere Inflation, weil die Türkei viele Rohstoffe und Waren importieren muss. Allerdings machen höhere Zinsen Kredite teurer, was Investition und Konsum und damit auch den Aufschwung bremsen kann. "Der extreme Zinsanstieg ist ein zweischneidiges Schwert", sagte der Ökonom Nicholas Spiro vom Anlageberater Spiro Sovereign Strategy, das sich auf Staatsanleihen spezialisiert hat. "Es ist mehr als fraglich, ob die türkische Notenbank diese aggressive Geldpolitik angesichts der schwächeren Konjunktur und zweier wichtiger Wahlen in diesem Jahr fortsetzen kann."

Finanzminister Mehmet Simsek rechnet nicht mit einer Konjunkturdelle durch die höheren Zinsen. "Wenn wir nicht glaubwürdig bleiben, würde unser Wachstum noch in weit größerem Ausmaß gefährdet", sagte Simsek dem Fernsehsender NTV. "Der Wechselkurs hat sich rasch erholt - das ist ein Indikator für wiedergewonnene Glaubwürdigkeit." Ökonomen sehen das ähnlich. "Die Zinserhöhung wirkt sicher negativ auf die Konjunktur", sagte der Chefvolkswirt des Finanzinstituts Oyak Securities, Mehmet Besimoglu. "Aber eine Lira im freien Fall würde die Wirtschaft noch viel härter treffen."

Die Turbulenzen in der Türkei könnten auch Thema beim Treffen von Erdogan mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am kommenden Dienstag in Berlin werden. Er halte das für "gut vorstellbar", sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert. Die Bundeskanzlerin sei jedenfalls der Auffassung, dass die Türkei "die notwendigen Anpassungen vornehmen wird" und ihre Wirtschaftsprobleme überwinden könne. Im Übrigen dürfe man die Probleme in der Türkei und anderen Schwellenländern nicht "über einen Kamm scheren", mahnte Seibert.

Seit Erdogans Machtübernahme 2002 hat die Türkei einen beachtlichen wirtschaftlichen Aufstieg hingelegt. Sein autoritärer Führungsstil wird aber zunehmend kritisiert. Zudem wird Mitgliedern seiner Regierung Korruption vorgeworfen. Das alles hat ebenfalls bei ausländischen Investoren zu einem Vertrauensverlust geführt. Zur Finanzierung ihres Wirtschaftswachstums ist die Türkei - die mehr importiert als exportiert - stark von ausländischem Kapital abhängig.

Reuters