Viele Ökonomen scheinen die Inflation als rein technokratisches Problem zu betrachten, und die meisten Notenbanker täten das auch gern. In Wahrheit wurzelt eine nachhaltige Inflation weitgehend in politökonomischen Problemen, und so gesehen ist die lange Liste der Ähnlichkeiten zwischen den 1970er-Jahren und heute verstörend. Damals erlitt die Weltwirtschaft einen massiven Angebotsschock, als die Länder des Nahen Ostens den Ölpreis gegenüber der restlichen Welt massiv anhoben. Heute stellen der Protektionismus und die Abkehr von globalen Lieferketten eine gleichermaßen folgenschwere negative angebotsseitige Erschütterung dar.

Die enormen Erhöhungen der Staatsausgaben in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren wurden nicht durch eine höhere Besteuerung der Reichen ausgeglichen. Die höheren Ausgaben rührten teils aus Programmen von US-Präsident Lyndon B. Johnson zur Schaffung seiner "Great Society" in den 60er-Jahren her; später kamen dann die steil steigenden Kosten des Vietnamkriegs dazu. Zunächst Johnson und dann Nixon zögerten aus Angst vor dem Verlust politischer Unterstützung, die Steuern anzuheben, um diese Kosten zu decken. In den letzten Jahren haben zuerst Donald Trumps Steuersenkungen, dann die pandemiebedingte Katastrophenhilfe und jetzt die Pläne der Demokraten zum Ausbau des sozialen Netzes den US-Bundeshaushalt hart getroffen. Pläne zur Deckung dieser Kosten durch Steuererhöhungen nur für Reiche werden vermutlich deutlich zu kurz greifen.

Steigerung des Wachstums für die Politik immer unwichtiger

Zwar stellen die heutigen unabhängigen Notenbanken trotz all dieser Ähnlichkeiten ein Bollwerk gegen die Inflation dar; sie stehen bereit, die Zinsen anzuheben, falls der Inflationsdruck überhandnimmt. In den 70er-Jahren hatten nur wenige Länder unabhängige Notenbanken, und im Fall der USA handelte die Fed nicht wie eine solche und heizte die Inflation durch ihre enorm lockere Geldpolitik an. Heute sind relativ unabhängige Notenbanken in weiten Teilen der Welt die Norm. Zudem bieten die heutigen weltweit ultra-niedrigen Realzinsen den Regierungen der reichen Länder deutlich mehr Spielraum für Defizite als in den 70er-Jahren.

Andererseits haben sich die Herausforderungen der Versorgung alternder Bevölkerungen während der letzten 50 Jahre enorm verschärft. Man kann argumentieren, dass die unterfinanzierten Rentensysteme quantitativ betrachtet eine viel größere Bedrohung für die Solvenz der Staatshaushalte darstellen als Schulden. Zugleich hat sich der soziale Druck zur Erhöhung der Staatsausgaben und Transferleistungen weltweit explosionsartig verstärkt, weil die Ungleichheit in vielen Ländern politisch wichtiger wird, die Steigerung des Wachstums dagegen unwichtiger. Und die Bekämpfung des Klimawandels und anderer Umweltgefahren wird mit Sicherheit zusätzlichen Druck auf die Budgets ausüben und das Wachstum reduzieren.

Eine steil steigende Staatsverschuldung wird es den Notenbanken unweigerlich politisch erschweren, die Nominalzinsen anzuheben, wenn die weltweiten Realzinsen zu steigen beginnen. Schon jetzt sind die hohen Schulden ein Grund, warum einige Notenbanken zögern werden, bei einer eventuellen Normalisierung im Gefolge der Pandemie die Zinsen anzuheben. Ein womöglich noch größeres Problem sind die privaten Schulden, die während der Pandemie ebenfalls in die Höhe geschossen sind. Weit verbreitete private Zahlungsausfälle hätten letztlich über niedrigere Steuereinnahmen und höhere Kosten für das soziale Netz enorme Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte.

Bevor wir jetzt zu stark in Pessimismus verfallen, sollten wir uns erinnern, dass auf die 70er-Jahre die 80er- und 90er-Jahre mit einer starken Wiederbelebung des Wachstums in den hochentwickelten Volkswirtschaften folgten. Andererseits sind die 2030er-Jahre noch weit weg. Die heutigen wirtschaftlichen Herausforderungen sind mit Sicherheit lösbar, und es besteht kein Grund, warum die Inflation steil steigen müsste.

Heutige Notenbankchefs wie Jay Powell bei der US-Fed und Christine Lagarde bei der EZB sind ein deutlich anderes Kaliber als der willfährige Fed-Chef Arthur Burns in den 70ern. Beide haben herausragende Mitarbeiter, die sie unterstützen. Trotzdem stehen alle Notenbanken unter ständigem Druck, und es ist schwer für sie, auf unbeschränkte Zeit allein die Stellung zu halten, insbesondere wenn die Politiker in Schwäche und Verzweiflung verfallen.

Copyright: Project Syndicate

 


Kenneth Rogoff

Professor für Finanz- wissenschaften an der US-Universität Harvard

Kenneth Rogoff wurde 1953 in Rochester im US-Bundesstaat New York geboren. Rogoff arbeitete lange Zeit als Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Zuvor war er Volkswirt beim Board of Governors des Federal Reserve System der US-Zentralbanken.

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