Er galt als langweiliger Kompromiss-Kandidat. Nach 100 Tagen im Amt dürften jedoch selbst die größten Kritiker von Joe Biden positiv überrascht sein. Der 46. US-Präsident hat seit Regierungsbeginn bereits mehr bewegt als mancher Vorgänger in einer längeren Zeitspanne. Tritt Biden in die Fußstapfen des großen Reformerpräsidenten Franklin D. Roosevelt? Der stabilisierte während der Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren mit seinem "New Deal" die US-Wirtschaft durch eine Reihe von wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen.

Im Unterschied zu Roosevelt, der keine hohen Schulden in Kauf nehmen wollte, nimmt Biden aber immense Summen in die Hand. Bidens "American Rescue Plan" (ARP) vom 11. März hat ein Gesamtvolumen von rund 1,9 Billionen US-Dollar. Das entspricht knapp neun Prozent der jährlichen US-amerikanischen Wirtschaftsleistung.

Unmittelbar nach der Verabschiedung dieses Konjunkturpakets stand schon der nächste wichtige Meilenstein im Fokus: der "American Jobs Plan" (AJP). Er umfasst weite Teile der Infrastruktur- und Investitionspläne des neuen US-Präsidenten. Über einen Zeitraum von acht Jahren sollen rund drei Billionen US-Dollar ausgegeben werden.

Beide Pakete ergänzen sich. Das Ziel des - übrigens komplett schuldenfinanzierten - ersten Pakets ARP ist es, die US-Wirtschaft so schnell wie möglich zurück auf den Wachstumspfad zu bringen. Biden hat aus der Vergangenheit gelernt. Nicht nur Roosevelt nahm für sein ambitioniertes Programm zu wenig Geld in die Hand. Auch in der jüngeren Geschichte, nach der Finanzkrise 2008/2009, waren die Investitionen zu gering. So dauerte es etwa am Arbeitsmarkt mehr als acht Jahre, um wieder so dazustehen wie vor der Finanzkrise.

Das soll nun schneller gehen. Deshalb bekommen etwa Erwachsene, die bis zu 75.000 US-Dollar im Jahr verdienen, einen Stimulus-Scheck in Höhe von 1.400 US-Dollar. Das wöchentliche Arbeitslosengeld wurde ebenfalls aufgestockt. 170 Milliarden US-Dollar fließen in die Öffnung von Schulen und Universitäten. 160 Milliarden US-Dollar gehen an das Test- und Impfprogramm.

Dem Konsum, zentrale Stütze der US-Wirtschaft, dürfte das Programm guttun. Die Menschen haben mehr Geld zur Verfügung und sie können es aufgrund der Impffortschritte auch vor Ort ausgeben.

Wirtschaftswachstum von 6,4 Prozent in den USA

Das zweite Paket AJP fokussiert auf Infrastrukturhilfen, die an eine grüne Energiewende gekoppelt sind. Diese Investitionen sollen das Wachstum festigen. Ein erheblicher Teil dieser Ausgaben wird beispielsweise über höhere Steuern für Unternehmen gegenfinanziert. Das Ziel ist nicht nur die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze. Es ist auch explizit Teil des Plans, die USA für den Großmachtwettbewerb mit China in Form zu bringen.

So soll etwa eine Billion US-Dollar in Straßen, Schienen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge, energieeffizientes Wohnen, Stromnetze und den Ausbau von Breitbandinternet fließen. Der zweite Teil zielt darauf ab, das soziale Gefälle in den USA zu mindern. Unter anderem sollen Elternzeit und ein dauerhaftes Kindergeld bezahlt werden. Ein Novum in den Vereinigten Staaten. Sonnige Zeiten also für die USA? Joe Biden nimmt Gegenwind und hohe Kosten in Kauf, um das Land nach der Corona-Rezession zurück auf den Wachstumspfad zu bringen.

Am Kapitalmarkt findet das Anklang: Der US-Aktienindex S & P 500 erreichte Mitte April ein Rekordhoch. In Erwartung zusätzlicher Aufträge legten vor allem Titel aus den Bereichen Industrie und Grundstoffe deutlich zu. Die Fiskalpakete versprechen auch Chancen bei Aktien aus dem Bereich nachhaltige Infrastruktur, Elektromobilität und dem Gesundheitssektor. Voraussetzung ist, dass die Infrastrukturpläne nicht deutlich geringer ausfallen als von den Demokraten geplant. Zudem sind als Folge steigender Inflationserwartungen die US-Staatsanleiherenditen gestiegen.

Mit Blick auf die aktuelle Konjunkturentwicklung scheint es, als ob der Plan aufgeht. Deshalb erwarten die Volkswirte von Union Investment für das laufende Jahr in den USA ein Wirtschaftswachstum von 6,4 Prozent nach einem Minus von 3,5 im Jahr 2020. Voraussetzung ist, dass die Pandemie der Wirtschaft nicht erneut einen Strich durch die Rechnung macht.

 


Jörg Zeuner:
Chefvolkswirt bei Union Investment

Zeuner leitet seit 2019 den Bereich Research & Investment Strategy des Portfoliomanagements von Union Investment. Zuvor war er unter anderem Chefvolkswirt der KfW.

Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit aktuell rund 370 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.