Der Physiker John Larry Kelly arbeitete für Bell Labs, die einstige Mutter vieler US-Telefongesellschaften. Etwa zur gleichen Zeit, in der Harry M. Markowitz seine Portfoliotheorie veröffentlichte, beschrieb er das Kelly-Kriterium, das bis heute vor allem bei professionellen Black-Jack-Spielern ein unverzichtbares Hilfsmittel zur Risikosteuerung ist.

Im Prinzip geht es darum, wie viel Geld wann eingesetzt werden kann, um das optimale Chance-Risiko-Verhältnis zu erhalten und den Totalverlust auszuschließen. Anders als Markowitz erhielt Kelly für seine Arbeit keinen Nobelpreis, obwohl die da-raus entwickelte Formel für die Steuerung eines Portfolios mindestens genauso hilfreich ist. "Wahrscheinlich liegt es daran, dass Kelly zu praxisnah ist. Wirtschaftswissenschaftler mögen es lieber theoretisch", scherzt Dirk Rogowski, Geschäftsführer der Veritas Investment GmbH in Frankfurt. Seit sein Mitgeschäftsführer Hauke Hess kurz nach der Jahrtausendwende mehr oder weniger zufällig auf das Kelly-Kriterium stieß, sind die beiden überzeugt, dass dieser Ansatz die Investmentwelt auf den Kopf stellen wird.

Unzählige Testreihen später, unter anderem mit der Bundesbank, ist diese Überzeugung sogar noch gewachsen, zumal Börseneinbrüche wie nach der Lehman-Pleite 2008 oder nach der Katastrophe von Fukushima 2011 "für unser Portfolio Non-Events waren", erklärt Rogowski.

Der von Veritas auf Basis des Kelly-Kriteriums entwickelte Ansatz zur Risikosteuerung nennt sich Risk@Work und wird seit 2008 für institutionelle Kunden eingesetzt. Für Privatanleger ist die Strategie seit 2013 im Veri ETF-Allocation Defensive (R) investierbar. Dabei handelt es sich um einen Mischfonds, der in bis zu 1000 verschiedene ETFs investieren kann. Das Risikobudget (also der nach dem Kelly-Kriterium maximal mögliche jährliche Verlust) liegt bei sechs Prozent. Die Renditeerwartung gibt Rogowski mit 2,5 bis drei Prozent pro Jahr an, was wie Tiefstapelei erscheint und wohl der aktuellen EZB-Politik der Negativzinsen geschuldet ist. 2014 jedenfalls erreichte der Fonds ein Plus von 6,2 Prozent, im Jahr darauf kam ein Minus von 1,2 Prozent heraus. Von Januar bis Ende Juni 2016 wiederum fiel ein Gewinn von 2,4 Prozent an. Die Rendite weist demnach keine Korrelation zum Aktienmarkt auf.

Ein Teil des Portfolios besteht aus Staats- und Unternehmensanleihen, wobei Posi-tionen aus Nichteuroländern stets gegen Währungsschwankungen abgesichert werden. Die Aktienquote beträgt im Normalfall zwischen 7,5 und 30 Prozent, außerdem werden Pfandbriefe, Wandelanleihen, Rohstoffe, High-Yield- und Emerging-Markets-Bonds beigemischt. Mithilfe einer eigens entwickelten Software, die unablässig Stichproben zieht, wird die Zusammensetzung einmal jährlich optimiert.

Noch nie aus dem Markt gekickt



Da jede Position mehrfach abgesichert wird, liegt das Risiko, dass der Maximalverlust eintritt, unter eins zu einer Million (was der nach Kelly errechneten Wahrscheinlichkeit entspräche). Als zusätzliches Sicherungsinstrument wird die Untergrenze immer nachgezogen, sobald zwei Prozent Performance erreicht sind. Da das in diesem Jahr schon einmal passiert ist, könnte das Minus - gerechnet vom Stand 1. Januar - maximal vier Prozent betragen. Sobald diese Untergrenze erreicht würde, wäre der Fonds für den Rest des Jahres nicht mehr investiert.

Aber das ist ein sehr hypothetischer Fall. "Die definierten Wertuntergrenzen haben wir noch nie touchiert", sagt Rogowski. "Nicht in 40 Millionen Simulationen - und in der Realität schon gar nicht."