Nach eigenen Angaben sieht VW keine Ansatzpunkte für Anlegerklagen. Insbesondere sei die Behauptung falsch, den Vorstand könne eine Mitschuld an den Softwaremanipulationen treffen. Vielmehr glaubt der Autokonzern beweisen zu können, dass der gesamte Vorstand erst wenige Wochen vor dem öffentlichen Auffliegen des Skandals Bescheid wusste. Andere Sichtweisen seien Behauptungen "ins Blaue hinein", schreiben die VW-Anwälte in einer Erwiderung auf Anlegerklagen, die beim Oberlandesgericht Braunschweig anhängig sind.

Ende September hatte VW eingeräumt, Abgassoftware manipuliert zu haben. Binnen eines Tages fiel der Aktienkurs um bis zu 21 Prozent, bis heute notiert das Papier weit unter dem Niveau, das herrschte, bevor der Skandal publik wurde. Dem Konzern wird vorgeworfen, zu spät darüber informiert und Ad-hoc-Mitteilungen unterlassen zu haben. Was müssen geschädigte Aktionäre jetzt beachten? Der Berliner Rechtsanwalt Dietmar Kälberer nimmt zu vier Leserfragen Stellung.

Ich habe gehört, dass der sogenannte Kursdifferenzschaden 61,80 Euro pro VW-Aktie betragen soll. Ist das zutreffend - und was kann ich derzeit als geschädigter Aktionär rechtlich tun?


Dietmar Kälberer :

Die Zahl von 61,80 Euro ist nur eine Schätzung, der Kursdifferenzschaden wird verbindlich erst in einem Kapitalanlegermusterprozess geklärt werden. Voraussetzung dafür sind mindestens zehn gleichgerichtete Klagen von VW-Aktionären. Der einfachste und günstigste Weg ist, sich am Kapitalanlegermusterverfahren gegen VW in Deutschland zu beteiligen. Dabei wird ein Musterkläger für ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig bestimmt. Die nötige Anmeldung muss ein Anwalt durchführen, da hier Anwaltszwang besteht. Geschädigte Aktionäre sollten sich an einen Fachanwalt für Kapitalmarktrecht wenden.

Wie können sich betroffene VW-Aktionäre an einem Kapitalanlegermusterverfahren beteiligen?


Eine Anmeldung zu dem Verfahren ist für sie wahrscheinlich frühestens in etwa drei Monaten zu erwarten. Bis dahin brennt zwar nichts wirklich an, soweit die Aktien noch im Bestand sein sollten, wäre aber gleichwohl dringend eine anwaltliche Beratung sinnvoll. Unter Umständen kann das weitere Halten der Aktien in einem späteren Verfahren schädlich sein. Zudem riskiert der Anleger weitere Verluste. Es kann gut sein, dass VW dann argumentiert, daran sei der Anleger selbst schuld, während Gewinne zugunsten von VW die Schadensumme verringern sollen. Auch ansonsten ist einiges zu beachten - etwa die rechtliche Option eines sogenannten Verzugsetzens wegen späterer Verzugszinsen oder Folgeschäden.

Ist eine Sammelklage in Deutschland möglich, eventuell auch vom europäischen Ausland - zum Beispiel aus den Niederlanden?


In Deutschland ist nur das Kapitalanlegermusterverfahren möglich. Dass deutsche Anleger an einer Sammelklage in den USA, einer sogenannten "class action", teilnehmen, ist eher unwahrscheinlich. Ob eine Teilnahme an einem Musterverfahren in den Niederlanden für deutsche Anleger möglich ist, kann nicht nach deutschem Recht beurteilt werden. Dies erscheint eher kritisch und höchstens dann nachvollziehbar, wenn die Aktien über eine holländische Börse gekauft wurden oder der Anleger seinen Wohnsitz in den Niederlanden hatte. Normalerweise muss ein gewisser Bezug zu dem jeweiligen Land bestehen. Letztlich kann das wohl nur ein holländischer Anwalt abschließend beurteilen. Im Zweifel besser keine Experimente mit fremden Rechtsordnungen.

Wann drohen die Schadenersatzansprüche der betroffenen VW-Aktionäre zu verjähren?


Im Wertpapierhandelsgesetz war bis zum 10. Juli 2015 eine kurze Verjährung von einem Jahr ab Kenntnis einer Insiderinformation, spätestens drei Jahre ab Unterlassung einer Veröffentlichung dieser Information geregelt. Durch die Novelle des Kleinanlegerschutzgesetzes wurde diese Verjährung zwar ab dem 10. Juli 2015 aufgehoben, aber leider keine klare Übergangsvorschrift geregelt. Die Gesetzesbegründung hilft auch nicht viel weiter, da auch diese zweideutig ist. Deshalb kann man sich prächtig darüber streiten, wann VW-Aktienkäufe vor dem 10. Juli 2015 verjähren. Sicherheitshalber sollten Aktionäre als Verjährungsfrist ein Jahr nach Veröffentlichung durch Volkswagen, die am 20. September 2015 per Ad-hoc-Mitteilung erfolgte, annehmen. Dann sind betroffene Anleger auf der sicheren Seite.