Liebe Börsenfreunde,
blicken wir zunächst ein Jahr zurück. Im Dezember 2018 befand sich der deutsche Aktienindex (DAX) im freien Fall und schloss das Jahr bei 10.500 Punkten - mit einem satten Minus von 18,3 %. Der Brexit, die politische Situation in Italien, Handelskrieg und Wirtschaftsabschwächung verunsicherten die Anleger. Viele folgten dem Ratschlag ihrer Börsenberater und verkauften ihre Aktien. Grund genug für uns als überzeugte Antizykliker eine Gegenposition einzunehmen. In meiner letzten StarInvest als Vorstand von StarCapital ("Wo steht der DAX Ende 2019") vom Dezember traf ich einige bemerkenswerte Aussagen:

"Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% wird der DAX nicht unter 10.000 Punkte fallen"
"Das mittlere Kurspotential per Ende 2019 liegt bei 13.000 Punkten."


Tatsächlich trafen beide Einschätzungen voll ins Schwarze! War das Glück, Zufall oder gar Berechnung? Nun, wahrscheinlich von allem etwas. Lassen Sie mich das begründen. Im Rahmen unserer Kapitalmarktforschung haben wir intensiv sämtliche Einflussfaktoren auf das Börsengeschehen untersucht, sowohl Sentimentindikatoren, andere markttechnischen Kriterien wie Liquiditätsflüsse, realwirtschaftliche Frühindikatoren als auch monetäre Kennzahlen jeder Art. Das ernüchternde Resultat:

"Es gibt keine Indikatoren, mit denen man die kurz- bis mittelfristige Börsenentwicklung zutreffend prognostizieren kann."

Dies ist eigentlich auch logisch, denn sonst würden an der Börse ja nur Millionäre herumlaufen.

Es ist vielmehr so, dass alle öffentlich bekannten Informationen bereits in den aktuellen Börsenkursen enthalten sind. Noch schlimmer: auch die Erwartungen der Marktteilnehmer hinsichtlich der weiteren Aktienmarktentwicklung sind gesamthaft bereits eskomptiert. Die bittere Erkenntnis daraus lautet: Die Kursentwicklung in den nächsten ein bis drei Jahren wird von Faktoren bestimmt, die erst in der Zukunft auftreten und heute nicht absehbar sind. Denn keiner der Börsenprofis hat eine Glaskugel. Wer deshalb seine Anlageverhalten auf solchen Prognosen aufbaut, kann auf Dauer nicht erfolgreich investieren. Meist wird zum falschen Zeitpunkt ge- oder verkauft.

Grundlage für die Ermittlung unseres Kursziels für 2019 war die Tatsache, dass man nach unserer Erfahrung auf langfristige Sicht (12 bis 15 Jahre) durchaus relativ zuverlässig das Kurspotential einzelner Aktienmärkte berechnen kann. Und zwar sowohl anhand des Shiller-KGVs als ertragsbezogener Größe als auch des Kurs/Buchwert-Verhältnisses als substanzorientierter Kennzahl. Ich bin bereits mehrfach ausführlich auf die Gründe eingegangen. So gehen wir davon aus, dass der DAX im Jahr 2033 um 40.000 Punkte schwanken wird und im Jahr 2028 unser mehrfach adressiertes Kursziel von 27.000 Punkten anlaufen dürfte. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 90% wird das deutsche Kursbarometer bis dahin nicht mehr unter 11.000 Punkte fallen. Die Chancen am heimischen Aktienmarkt sind also ungleich größer als die Risiken.

Bei der Nennung des 13.000er Kursziels für 2019 habe ich etwas eigentlich Unzulässiges gemacht. Ich habe den mittleren Verlauf aus der Langfristprognose auf ein Jahr heruntergebrochen. Unzulässig ist dieses Verfahren, weil die Kurse in der Regel weit um diesen Mittelwert (rote Linie) schwanken. Bei der Punktlandung war also tatsächlich viel Glück und Zufall dabei. Trotzdem bietet diese Methode bessere Anhaltspunkte als alle unsinnigen Prognosen.

Wie wird 2020?


Ende 2020 liegt der Mittelwert aus der Langzeitprognose bei einem DAX-Stand von 14.500. Das ist zunächst einmal unspektakulär, weil es diesmal ungefähr der Konsensschätzung der aktuellen Börsenprognosen entspricht. So erwarten laut einer Umfrage von Euro am Sonntag vom 7. Dezember die führenden Banken einen DAX von 13.920 per Ende nächsten Jahres. Das entspricht einem Zuwachs von 5,9% zum Zeitpunkt der Erhebung. Dazu muss man wissen, dass die Konsensschätzung immer um einen Zuwachs von 7 Prozent schwankt. Sind die Analysten euphorisch, können es auch mal 9-10 Prozent sein. Bei starkem Pessimismus kommen um die fünf Prozent als Schätzung heraus. Diese Prognosen sind ein Kind des Nichtwissens, werden aber mit wissenschaftlich klingenden Argumenten verbrämt.



Gehen wir daher einmal auf die Faktoren ein, die zu einer Abweichung von der roten Linie als Mittelwert führen könnten. Diese Abweichungen sind oft auf die Stimmung der Anleger zurückzuführen. Das Sentiment hat sich zwar in den letzten Wochen mit den steigenden Kursen deutlich verbessert. Und manch einer beginnt darüber nachzudenken, ob er hier nicht etwas verpasst. Aber auch nach einer mehr als zehnjährigen Aufwärtsbewegung geben immer noch Crash-Gurus den Ton an. Während von echten Börsenbullen weit und breit nichts zu sehen ist.



Von Euphorie also keine Spur. Im Gegenteil hat die Anlegerstimmung laut einer Erhebung des ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) noch Ende August den tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen Anfang 1992 erreicht. Diese Stimmungseinschätzung wird gestützt von den Money Flow Faktoren. So sind weltweit bis vor kurzem riesige Milliardenbeträge aus Aktien (Summe aus Aktienfonds und Aktien-ETFs global) abgeflossen und trotz rekordtiefer Zinsen in vermeintlich sichere festverzinsliche Papiere investiert worden.



Auch aus monetärer Sicht besteht für die Aktienmärkte auf mittlere Sicht eher weiteres Kurspotential. So geben die führenden Notenbanken wieder Gas und stimulieren die Märkte mit Zinssenkungen und Anleihekäufen, nachdem sie zwei Jahre lang mit ihren QE-Programmen pausiert haben. Für die Börsen sind solche monetären Faktoren viel ausschlaggebender als alle konjunkturellen Indikatoren zusammengenommen.



Werfen wir trotzdem noch einen Blick auf die konjunkturelle Entwicklung. Als einer der zuverlässigsten Frühindikatoren gelten die Indices der Einkaufsmanager (PMI). Der globale PMI für das verarbeitende Gewerbe hat sich in den letzten Monaten aus der Kontraktionsphase wieder über die 50%-Marke herausgearbeitet. Eine leichte Erholung der Industriekonjunktur in 2020 wäre für die Börsenentwicklung sehr positiv. Hier bin ich mir aber nicht so sicher. Der Handelskrieg zwischen der bisherigen Hegemonialmacht USA und dem chinesischen Herausforderer könnte uns trotz möglicher Teileinigungen noch mehrere Jahre begleiten. Sollte die Weltwirtschaft deswegen in eine Rezession abgleiten, könnte dies durchaus temporäre Schockwellen an den Märkten verursachen.



Nicht unwesentlich für den Börsenverlauf ist der Bewertungsaspekt. Hier wir oft die These vertreten, dass nach einer zehnjährigen Aufwärtsphase Aktien deutlich überbewertet sind. Dies mag in Teilbereichen gelten - insbesondere für "defensive Qualitätsaktien", die inzwischen in fast jedem Wertpapierdepot prominent vertreten sind. Doch insgesamt kann davon keine Rede sein. So befinden sich zum Beispiel europäische Aktien immer noch auf dem Kursniveau von Anfang 2000, obwohl die Unternehmensgewinne in den letzten zwanzig Jahren deutlich zulegen konnten. Es gibt also viele sehr preiswerte Aktien, vor allem im Value-Bereich. Und im Vergleich zu den Anlagealternativen kann angesichts der historisch tiefen Zinsen erst recht keine Rede von einer Überbewertung sein.



Fazit: Ich würde mich nicht wundern, wenn der DAX Ende 2020 eher im Bereich zwischen 15.000 und 16.000 Punkten zu finden sein wird als bei 14.500. Doch das ist keine Prognose, sondern meine persönliche Meinung und reine Spekulation. Investoren sollten sich daher eher an dem langfristigen Kurspotential ausrichten, das ebenfalls viel Spielraum bietet. Und temporäre Rücksetzer eher zum Zukauf preiswerter Dividendenpapiere nutzen.

Ich wünsche Ihnen ein frohes und friedvolles Weihnachtsfest und viel Börsenerfolg im neuen Jahr. Mit herzlichen Grüßen aus Oberursel
Peter E. Huber

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