Die wirtschaftliche Abwärtsspirale könnte sich beschleunigen, denn Erdoğan hat noch Öl ins Feuer gegossen. Nachdem er drei Zentralbanker gefeuert hatte, ließ die von ihm geforderte Zinssenkung nicht lange auf sich warten. Hatten die Marktbeobachter mit einer Senkung um 0,5 bis zu einem Prozentpunkt gerechnet, wurden die Zinsen um zwei Prozentpunkte zurückgenommen. "Das ist der falsche Schritt, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen", urteilt die VP Bank in Liechtenstein. Nun steht der Leitzins deutlich unter der Inflationsrate, die im September bei über 19 Prozent lag.

Die logische Folge: Die türkische Lira erreichte gegenüber dem Euro und dem US-Dollar historische Tiefstwerte. Das wird die Inflation weiterhin beschleunigen. Das Land importiert mehr, als es exportiert, und hat eine Auslandsverschuldung von 50 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die Fremdwährungsreserven der Nationalbank sind bedenklich gefallen. Die Bedienung dieser Schulden macht vor allem den Unternehmen das Leben schwer, der Einkauf im Ausland wird noch teurer. Damit legen die Preise noch stärker zu, die Abwertungsspirale beschleunigt sich.

"Das einzige Gleichgewicht wäre ein Lira-Kollaps", meinen die Währungsexperten der Commerzbank: "Oder ein Wechsel der unterliegenden Mechanik, also ein Sinneswandel in der Geldpolitik." Diese Gefahr sehen auch die Unternehmer. Omer Koç, Chef des gleichnamigen Industriekonzerns Koç Holding, beklagt die Inflationsgeißel und fordert eine grundlegende Reformagenda, der Wirtschaftsverband mahnt eine vorsichtige unabhängige Zentralbankpolitik an.

Ein Lira-Kollaps hätte auch Risiken für die Finanzmärkte. Zum einen könnten im Windschatten die Währungen von Staaten wie Brasilien und Südafrika verlieren. Zudem sind türkische Anleihen ein Schwergewicht in Indexfonds auf Schwellenländeranleihen, die zuletzt bei Anlegern beliebt waren.