"Die Risiken eines weltweiten rezessionären Dreiklangs steigen derzeit von Tag zu Tag", warnt Havard-Ökonom Kenneth Rogoff. Dabei sind die Gründe für den möglichen Absturz durchaus verschieden: In den Vereinigten Staaten könnte der Aufschwung von den Zinserhöhungen der mächtigen Notenbank Fed abgewürgt werden, in der Volksrepublik droht Ungemach durch die strikte Null-Covid-Politik Pekings, während Europa die ökonomischen Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine zu schaffen machen.

USA


Wie ernst es um die US-Konjunktur steht, zeigt ein Blick auf das Verbrauchervertrauen: Dieses Barometer ist im Mai auf den tiefsten Stand seit 2011 abgestürzt, weil die hohe Inflation von aktuell 8,3 Prozent an der Kaufkraft der Konsumenten nagt. Und wenn die anfangen zu knausern, gerät der Aufschwung in Gefahr: Schließlich machen die Konsumausgaben etwa 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der weltgrößten Volkswirtschaft aus. Die Notenbank Fed hat die Gefahr erkannt. Sie hat jüngst die größte Zinserhöhung seit 22 Jahren gewagt und will weitere folgen lassen, um die Inflation in Schach zu halten. Das allerdings hat einen unschönen Nebeneffekt. Da dadurch Zinsen für Kredite - etwa für Investitionen von Unternehmen oder auch für den Konsum - teurer werden, kann das den Aufschwung bremsen. Am Immobilienmarkt schlägt das schon durch. Die Zahl der neu begonnenen Projekte für den Wohnungsbau fiel im April, ebenso die der Baugenehmigungen. Mit einem Durchschnittszins von 5,30 Prozent bei Verträgen zur Baufinanzierung mit 30-jähriger Laufzeit wurde zuletzt der höchste Wert seit Juli 2009 erreicht. Die von der Nachrichtenagentur Reuters befragten mehr als 100 Ökonomen beziffern daher die Gefahr, dass die US-Wirtschaft in den nächsten 24 Monaten in eine Rezession abtaucht, auf 40 Prozent. "Da die Fed scheinbar das Bedürfnis verspürt, 'aufzuholen', um die Kontrolle über die Inflation und die Inflationserwartungen wiederzuerlangen, erhöht ein schnelles Tempo aggressiver Zinserhöhungen die Wahrscheinlichkeit eines geldpolitischen Fehltritts", warnt ING-Chefökonom James Knightley. "Der könnte ausreichen, um die Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen." Der Chefanlagestratege der Bank of America, Michael Hartnett, wird noch deutlicher: "'Inflationsschock' verschlimmert sich, 'Zinsschock' beginnt gerade, 'Rezessionsschock' kommt", schrieb er kurz und knapp an Kunden.

CHINA


China hat nicht mit Inflation und steigenden Zinsen zu kämpfen, sondern mit seiner Corona-Politik. Bestes Beispiel dafür ist die Finanzmetropole Shanghai: Die mehr als 25 Millionen Einwohner zählende Riesenstadt steckt seit Wochen in einem Lockdown fest, der die Wirtschaft lähmt. Dutzenden anderen Großstädten geht es ähnlich. Mindestens 373 Millionen Menschen in Städten, die 40 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmachen, sind einer Analyse der Ökonomen der japanischen Finanzgruppe Nomura davon betroffen. Die Folgen lassen sich an den Konjunkturdaten ablesen. Die Immobilienverkäufe brachen im April so stark ein wie seit 16 Jahren nicht mehr, während die Industrie ihre Produktion drosselte, der Einzelhandel weniger umsetzte und die Investitionen unerwartet schwach wuchsen. Zugleich schnellte die Arbeitslosenquote auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren. "Die Pandemie hat relativ große Auswirkungen auf den Wirtschaftsbetrieb", musste der Sprecher des Statistikamtes, Fu Linghui, in dieser Woche einräumen. "Womöglich steckt die chinesische Volkswirtschaft bereits in der Rezession", warnt Top-Ökonom Rogoff. Auf Hilfe von außen kann der Exportweltmeister kaum zählen. "Denn gleichzeitig lässt die hohe globale Nachfrage als wichtige Konjunkturstütze nach", sagt DZ-Bank-Ökonomin Monika Boven. Schließlich kühlt die Konjunktur auf den wichtigen Absatzmärkten USA und Europa gerade ab. Die staatlich unterstützte nationalistische Boulevardzeitung "Global Times" sah sich angesichts der geballten Risiken bereits zu einer Warnung gezwungen, die verdeutlich, wie nervös die Führung in Peking geworden ist: "Wer darauf setzt, dass China von einer selbstverschuldeten Rezession bedroht ist, wird die Folgen seiner Fehler tragen".

EURO-ZONE


Europa macht wie den USA die hohe Inflation zu schaffen, mehr noch aber der Krieg in der Ukraine. "Mit jeder Woche, die der Krieg andauert, wächst der wirtschaftliche Schaden für Europa", warnt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Besonders ein Lieferstopp oder ein Embargo von russischem Erdgas und -öl können die Konjunktur abstürzen lassen. "Solche Beschränkungen würden die europäische Wirtschaft in den kommenden beiden Jahren in eine Rezession treiben", betont Fratzscher. Ein abruptes Ausbleiben russischer Gaslieferungen dürfte die Produktion in Europas größer Volkswirtschaft Deutschland in den ersten zwölf Monaten um 114 bis 286 Milliarden Euro einbrechen lassen, wie aus einer Studie des Wissenschaftlers Tom Krebs von der Universität Mannheim hervorgeht. Das entspräche einem Verlust von rund drei bis acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zusätzlich könnten die Verbraucher wegen steigender Energiepreise weniger für andere Güter ausgeben und die Unsicherheit zunehmen, was die Wirtschaftsleistung um weitere zwei bis vier Prozent reduzieren würde. Damit wäre durch ein kurzfristiges Erdgas-Embargo ein wirtschaftlicher Einbruch auf das Niveau des Corona-Jahres 2020 oder der Finanzkrise im Jahr 2009 zu erwarten, schreibt der Professor für Volkswirtschaftslehre. Es "könnte jedoch auch zu einer Wirtschaftskrise führen, wie sie (West)Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat", warnt Krebs. Kommt es so, würden wohl die gesamte Euro-Zone und die EU schrumpfen.

rtr