Das Gericht erklärte nun eine weit verbreitete Klausel in dem Darlehen als intransparent und für unvereinbar mit dem europäischen Recht. Die Klausel verweist für den Beginn der Widerrufsfrist auf Paragraph 492 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Der wiederum verweist auf andere Paragraphen.

Kritiker sprechen von einem sogenannten Kaskadenverweis. Das Ganze ist eine mühselige Angelegenheit für die Verbraucher und widerspricht darum der europäischen Richtlinie für Verbraucherkreditverträge. Die verlangt nämlich, dass Verbraucher in klarer und prägnanter Form über Vertragsmodalitäten informiert werden - auch über den Beginn der Widerrufsfrist. Ist das nicht geschehen, hat die 14-tägige Widerrufsfrist gar nicht erst begonnen und Kunden können selbst nach Jahren den Darlehensabschluss noch widerrufen. Berichten zufolge könnte das aktuelle Urteil Millionen Darlehensverträge betreffen.

Die vom EuGH bewertete Klausel befindet sich nach Angaben von Anwälten vor allem in Immobiliendarlehen, die zwischen dem 10. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen wurden. Das bedeutet, wer im Jahr 2012 eine Baufinanzierung mit einem Zinssatz von mehr als drei Prozent unterschrieben hat, könnte die nun durch einen Widerruf auf das aktuelle Zinsniveau von unter einem Prozent umschulden. Der Kunde müsste keine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen und hätte vermutlich einige Tausend Euro Zinsersparnis.

Es gibt eine weitere Gruppe, für die das Urteil interessant ist: Das sind diejenigen, die seit Juni 2010 mit einem Kredit- oder Leasingvertrag ein Auto finanziert haben. "Bei Allgemein-Verbraucherdarlehen, wie etwa einem Autokredit, folgt aus dem Widerruf ebenfalls, dass der Kreditvertrag beendet ist, der Verbraucher seine bisherigen Zahlungen zurückerhält und die Bank keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen darf", erklärt die Rechtsanwaltsgesellschaft Tilp in einer Mitteilung. Außerdem sei das Auto an die Bank zu übergeben, heißt es. Von besonderer Tragweite sei das Urteil, weil die dem EuGH vorliegende Passage der Widerrufsbelehrung in amtlichen Mustertexten geschrieben stehe, die der deutsche Gesetzgeber selbst entworfen habe, schreiben die Anwälte.

Was bedeutet das nun für Betroffene? "Ohne eine Beratung vorab sollte kein Verbraucher einfach seine Darlehensverträge widerrufen", warnt Fachanwalt Achim Tiffe von der Kanzlei Juest + Oprecht. Vorher sollte man einige Fragen klären. Wer widerruft, muss ein Darlehen zeitnah zurückzahlen können. Es gibt vermutlich viele Verbraucher, die weder das Geld dafür haben noch umschulden können. "Banken und Sparkassen werden zudem nicht einfach nachgeben und den Widerruf akzeptieren", schätzt Rechtsanwalt Tiffe. Hinzu kommt, dass der Bundesgerichtshof die nun beanstandete Verweiskette 2016 für rechtens erklärt hat. "Es kann daher sein, dass sich Banken und Sparkassen weiterhin auf die Entscheidung der obersten Richter in Deutschland berufen", schreibt die Verbraucherzentrale Hamburg. Allerdings sei es aber auch möglich, dass die Kreditinstitute sich durch das EuGH-Urteil eher auf Verhandlungen einlassen und mit Kunden zumindest über die Ablösung oder Umschuldung eines Darlehens für die Zukunft verhandeln würden.

Mancher Verbraucher ist vielleicht verwirrt, weil der Widerrufsjoker offiziell beerdigt worden war. Der Bundestag hatte 2016 nämlich dessen Aus beschlossen. Allerdings betraf diese Regelung den Widerruf von Immobilienkrediten aus, die zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010 geschlossen wurden. Was jüngere Verträge angehe, habe man fleißig weiter gestritten, erzählt Anwalt Tiffe. Das wird wohl so bleiben.