Die wachsende Einflussnahme von Erdogan auf die Zentralbank beunruhigt internationale Investoren schon seit Monaten. Hinzu kommt der Streit zwischen Washington und Ankara über den in der Türkei festgehaltenen US-Pastor Andrew Brunson. Auch Sorgen zur Stabilität der Banken am Bosporus spielen eine Rolle. Ein Überblick:

WIE IST DIE WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG IN DER TÜRKEI?

Die reinen Wachstumsraten sind weiter gut. Im vergangenen Jahr vergrößerte sich das Bruttoinlandsprodukt um rund sieben Prozent. Im ersten Quartal 2018 wurde ein Plus von 7,4 Prozent eingefahren. Für das Gesamtjahr dürften es mindestens viereinhalb Prozent werden, schätzt der Internationale Währungsfonds. Allerdings importiert das Land seit längerer Zeit erheblich mehr als es exportiert. Im Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalaustausch mit dem Ausland, gemessen in der sogenannten Leistungsbilanz, verzeichnete die Türkei daher zuletzt ein Minus von knapp 50 Milliarden Dollar. Das Defizit erreicht einen Anteil im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung von rund fünf Prozent.

WAS EMPFEHLEN EXPERTEN DER REGIERUNG?

Die meisten Experten fordern von der türkischen Regierung eine Korrektur ihrer Wirtschaftspolitik. Andernfalls sieht die deutsche Wirtschafts-Förderagentur GTAI die Gefahr einer "harten Landung" und sogar einer Rezession. "Die türkische Wirtschaft ist in einer labilen Verfassung." Die großzügige Ausgabenpolitik zeige gefährliche Nebenwirkungen. Hierzu zählten wachsende Defizite im Handel, ein beschleunigter Verfall der Lira, eine Inflation von über zwölf Prozent sowie Auslandsschulden von 450 Milliarden Dollar - und das in Zeiten steigender Zinsen.

WIE WICHTIG IST DEUTSCHLAND ALS WIRTSCHAFTSPARTNER?

Das wichtigste Zielland für türkische Exporte war im Juni nach Angaben der Regierung mit großem Abstand Deutschland - gefolgt von Großbritannien und Italien. Die meisten Importe kamen aus China - hier lag Deutschland auf Rang drei.

Der türkisch-deutsche Außenhandel belief sich 2017 auf knapp 38 Milliarden Euro - knapp 22 Milliarden Euro deutsche Exporte gingen dabei in die Türkei, Güter im Wert von gut 16 Milliarden Euro wurden von dort importiert. Die wichtigsten Exportgüter Deutschlands waren Autos und Kfz-Teile sowie Maschinen, gefolgt von elektrotechnischen Gütern. Für Deutschland liegen die Türken sowohl als Import- wie als Exportpartner derzeit auf Rang 16.

WIE SIEHT ES MIT DEM TOURISMUS AUS?

Vom Lira-Verfall profitieren Urlauber, die zuletzt wieder vermehrt in die Türkei reisten. Der dortige Tourismus - eine wichtige Devisen-Quelle für das Land - erholt sich seit längerem deutlich. Von Januar bis Juni 2018 konnte das Land in jedem Monat Steigerungsraten bei den ausländischen Besuchern zwischen 27 bis 38 Prozent erzielen. Waren 2016 - dem Jahr des Putschversuchs - nur noch 25 Millionen ausländische Urlauber gekommen, so waren es 2017 schon wieder 32,4 Millionen und in diesem Jahr dürften es noch einige Millionen mehr werden. Knapp zehn Prozent der Gäste kommen momentan aus Deutschland, 16 Prozent aus Russland.

WAS KÖNNTE GEGEN DEN LIRA-VERFALL GETAN WERDEN?

Um die Panikverkäufe an den Devisenmärkten zu stoppen, wird die türkische Zentralbank womöglich nicht bis zu ihrer nächsten regulären Zinssitzung am 13. September warten können. Mit öffentlichen Äußerungen allein wird Notenbank-Chef Murat Cetinkaya Experten zufolge die Finanzmärkte kaum beruhigen können. Die Zentralbank könnte zunächst die Mindestreserve-Anforderungen für Geldhäuser weiter lockern und auf diesem Weg den Instituten mehr Liquiditätsspielraum verschaffen. Bislang hat dies aber den Lira-Absturz nicht aufhalten können.

WERDEN ZINSERHÖHUNGEN FÄLLIG?

Der wirksamste geldpolitische Schritt wäre nach Expertenmeinung aber eine deutliche Zinsanhebung gepaart mit der Botschaft, dass die Zentralbank unabhängig agiere und ihre Leitzinsen noch lange auf einem hohen Niveau halten werde. Doch das dürfte der Regierung nicht gefallen. Auch Dollar-Verkäufe am Devisenmarkt wären möglich. Die türkische Zentralbank hat rund 21 Milliarden Dollar zur Verfügung, die sie zum Kauf der Landeswährung einsetzen könnte. Inklusive aller Reserveanforderungen und Regierungskonten wären es etwa 100 Milliarden Dollar.

rtr