Im Juni will die EU bewerten, ob das Königreich seine Zusage einhält, im Gegenzug zu der erneuten Verlängerung an den Europawahlen teilzunehmen. Daraus ergeben sich folgende Szenarien, wie es in der Brexit-Debatte weiter gehen könnte.

GEREGELTER AUSTRITT VOR DEM 22. MAI


Die britische Premierministerin Theresa May hat in Brüssel betont, dass sie ungeachtet der Verlängerung weiter ein Ausscheiden ihre Landes aus der EU vor dem 22. Mai anstrebt. An diesem Datum beginnen in der EU die Europawahlen, auf die sich auch Großbritannien vorbereiten muss. Der Hintergedanke: Die tatsächliche Teilnahme der Briten an der Europawahl ist so unattraktiv und die zu erwartenden Verluste für die Tories, möglicherweise aber auch die oppositionelle Labour-Partei, so groß, dass man nun doch energisch eine Lösung vor dem 22. Mai suchen wird.
Gelingt dies, dann könnte Großbritannien mit dem bereits ausgehandelten EU-Austrittsvertrag und einer möglicherweise nochmals modifizierten Zusatzerklärung über das künftige Verhältnis mit der EU austreten. Danach würde eine Übergangsphase bis Ende 2020 in Kraft treten, in der dann die künftigen Rechtsbeziehungen zur EU ausgehandelt werden.

UNGEREGELTER AUSTRITT AM 1. JUNI


Sollte sich die britische Regierung bis zum 22. Mai nicht einigen und nicht an die Verabredung halten, an der Europawahl teilzunehmen, "so erfolgt der Austritt am 1. Juni 2019", heißt es in der Gipfelerklärung. Diese harte Formulierung soll aus Sicht der EU-27 sicherstellen, dass London wirklich zu seinem Wort steht. Denn die Stimmung auf dem Kontinent gegenüber Großbritannien trübt sich weiter ein. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte, dass die EU nach jahrelangen Verhandlungen mit dem scheidenden, aber entscheidungsunfähigen Großbritannien auf ihre eigenen Interessen achten müsse.
Der Hintergrund dieser Warnung mit dem No-Deal-Szenario am 1. Juni sind die drohenden rechtliche Unsicherheiten für die übrigen 27 EU-Staaten: Das Königreich könnte zum Zeitpunkt der Wahl noch EU-Mitglied sein ohne zu wählen - dies würde auch EU-Bürger im Königreich und Briten in der restlichen EU betreffen.

VERLÄNGERUNG BIS 31. Oktober


Sollte Großbritannien an der Europawahl teilnehmen und bis zum 31. Oktober Mitglied der EU bleiben, dann wird es auch Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden. In der Gipfelerklärung wird ausdrücklich betont, dass es im Verlängerungszeitraum "Mitgliedstaat mit allen rechten und Pflichten bleibt". Dahinter steckt die Sorge, dass die britische Regierung den Drohungen der harten Brexit-Befürworter folgen und eine Blockade-Politik in der EU betreiben könnte. May hat ihren EU-Partnern in Brüssel versichert, dass dies nicht der Fall sein werde.
Im Prinzip würde die Debatte zwischen der EU und Großbritannien in dieser Zeit normal weitergehen. Änderungen am ausgehandelten Austrittsvertrag wird es laut Gipfel-Entscheidung nicht geben. Informell heißt es, es gebe die Erwartung, dass die Briten sich aus der Wahl der neuen Kommission heraushalten sollten.

NO DEAL AN HALLOWEEN


Britische Medien scherzen bereits, dass Großbritannien nun an Halloween, also am 1. November, aus der EU ausscheiden werde. Denkbar ist, dass sich die festgefahrenen Fronten bei den britischen Konservativen aber auch mit der oppositionelle Labour-Partei auch bis zum 31. Oktober nicht auflösen lassen. Dann droht, dass es am 1. November zu einem ungeregelter Brexit mit unabschätzbaren Folgen etwa für die Wirtschaft wegen der dann entstehenden Rechtsunsicherheit kommt.

DRITTE VERLÄNGERUNG


EU-Kommissar Günther Oettinger hat für diesen Fall schon die Möglichkeit einer dritten Verschiebung des Brexit-Datums ins Gespräch gebracht.

ABKEHR VOM BREXIT


In die Gipfelerklärung ist ein kleiner Satz geschlüpft, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Großbritannien bis zum 31. Oktober auch den Artikel 50 - also den Antrag auf Austritt - zurückziehen könne. Dies wäre vor allem denkbar, wenn die nun beschlossene erneute Verschiebung des Brexit-Datums entweder zu Neuwahlen oder einem zweiten Referendum führen würde. In beiden Fällen könnte das Ergebnis sein, dass sich eine Mehrheit gegen den EU-Austritt ausspricht. Dann würden die Verhandlungen mit der EU beendet, indem das Königreich den Artikel 50 zurückzieht. Sowohl Neuwahlen als auch ein zweites Referendum könnten allerdings auch dazu führen, dass die Mehrheit der Briten sich erneut für einen Brexit ausspricht.

rtr