Wohnbaugenossenschaften können ein relativ erschwingliches Zuhause und oft eine attraktive Dividende bieten. BÖRSE ONLINE zeigt, was für und was gegen dieses Modell spricht. Von Ulrich Lohrer

Die Wohnungsnot in deutschen Großstädten ist nichts Neues. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verursachte die Landflucht prekäre Wohnverhältnisse in den Städten. Als Antwort darauf wurde 1849 in Berlin von Carl Wilhelm Hoffmann eine Selbsthilfeeinrichtung gegründet, die zehn Häuser mit 92 Wohnungen erbaute. Die "Gemeinnützige Baugesellschaft" gilt als Vorläufer der Wohnbaugenossenschaften. Deren Ziel: Gegen Zeichnung von Anteilen werden Mitglieder mit preisgünstigem Wohnraum versorgt.

Mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 wurde im Falle einer Pleite die Haftung der Genossen auf ihr Anteilsvermögen begrenzt. In der Folge stieg die Zahl der Wohnungsgenossenschaften rasant an. Heute gibt es in Deutschland nach Angaben des Wohnungsverbands GdW rund 2000 Wohnungsgenossenschaften mit 2,2 Millionen Wohnungen und mehr als drei Millionen Mitgliedern. Nach der Wiedervereinigung wurden in Ostdeutschland große staatliche Wohnungsbestände in Genossenschaften überführt. Mit der Wohnungsknappheit in Ballungsräumen und der Ausschüttung auf Anteile in Zeiten des Nullzinses sind die eine Zeit lang als altmodisch betrachteten Wohnungsgenossenschaften für viele Menschen wieder attraktiv.

Doch das Angebot entspricht selten der Nachfrage. Während viele Wohngenossenschaften in kleineren und mittelgroßen Städten Ostdeutschlands hohe Leerstände und wenig zahlungskräftige Mitglieder haben, herrscht in den Großstädten starke Nachfrage nach ebendiesen Wohnungen, verbunden mit langen Wartezeiten.

Die Genossenschaftsidee erlebt seit einigen Jahren eine Renaissance. Einige Großstädte wie München und Frankfurt begünstigen die Genossen bei der Vergabe von Baugrund. "Die Stadt München reserviert 30 Prozent ihrer Neubauflächen für Genossenschaften", erläutert Christian Stupka, Vorstand des Genossenschaftlichen Immobilienagentur München. Dank der Initiative engagierter Bürger kam es zu Neugründungen. "Seit 2014 wurden in München 15 neue Wohngenossenschaften gegründet, die oft projektbezogen neue Mitglieder werben. Mit den gezeichneten Genossenschaftsanteilen wird das notwendige Eigenkapital für den Bau neuer Wohnhäuser bereitgestellt", sagt Stupka.

In der Regel reichen, beispielsweise bei der Münchner Genossenschaft Kooperative Großstadt (nicht in der Tabelle enthalten), als Eigenkapital 25 Prozent der Bau- und Grundstückskosten aus. Der restliche Finanzierungsbedarf wird durch ein Förderdarlehen (15 Prozent) und ein Bankdarlehen (60 Prozent) abgedeckt.

Auch wer als Genosse bei der Vergabe neuer Wohnungen nicht zum Zuge kommt, erhält auf seine Mindestbeteiligung (Pflichtanteile) oft wenigstens eine Dividendenausschüttung, die in der Regel zwischen einem und vier Prozent liegt. Die Beteiligung kann aber insbesondere bei neuen Wohnbaugenossenschaften einen hohen Kapitaleinsatz erfordern. Denn Wohnungsnutzer müssen oft noch zusätzlich wohnungsbezogene Pflichtanteile zeichnen.

Deren Höhe hängt vom Einkommen und der Wohnfläche ab. Beispiel München: Ein Haushalt bekommt keine Förderung nach dem sogenannten München-Modell, wenn das Einkommen eines Ein-Personen-Haushalts über 38 700 Euro brutto im Jahr oder das eines Drei-Personen-Haushalts über 72 200 Euro pro Jahr liegt.

Wer die förderfähigen Einkommensgrenzen überschreitet, für den kann die Genossenschaftswohnung teuer werden. Dann müssen beispielsweise bei der Kooperative Großstadt im frei finanzierten Bereich noch Anteile von 1050 Euro pro Quadratmeter gezeichnet und zudem eine Miete von 12,50 Euro pro Quadratmeter gezahlt werden. Die Marktmiete für vergleichbare Neubauwohnungen liegt in München bei etwa 20 Euro pro Quadratmeter. Für eine 60 Quadratmeter große Wohnung müssen dann also rund 60 000 Euro für die Pflichtanteile gezahlt werden. Eine Dividende von drei Prozent wird allerdings nur für über die Pflichtanteile hinaus gezeichnete freiwillige Anteile gezahlt.

Die Höhe der Mindestanteile und die Höhe der Ausschüttungen können je nach Wohnbaugenossenschaft sehr unterschiedlich ausfallen. Bei Neugründungen beispielsweise ist der Betrag für die wohnungsbezogenen Pflichtanteile oft deutlich höher als bei bereits lange bestehenden Genossenschaften, deren Gebäudebestand abgeschrieben ist.

Neben den Vorteilen, etwa einem lebenslangen Wohn- oder dem Mitspracherecht, bestehen bei den Modellen aber auch Risiken. Interessenten sollten daher die Satzung genau studieren, in der Haftung, Austritt, Mindestanlagezeit und Pflichten geregelt sind. Die Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Hessen warnen vor Genossenschaften, die verdächtig hohe Renditen versprechen, deren Anlagezweck unklar oder bei denen das Verhältnis von Mitgliederzahl und Anzahl der Wohnungen sehr ungünstig ist. Schwarze Schafe missbrauchen die prestigeträchtige Rechtsform der Genossenschaft für den Vertrieb von Graumarktanlagen wie Nachrangdarlehen, Diamanten oder Gewerbeobjekten. Es können aber auch seriöse Genossenschaften in finanzielle Schieflage geraten. Dann haften die Genossen mit ihrem eingesetzten Kapital.

Neben der Zeichnung ihres Eigen­kapitals (Genossenschaftsanteile) bieten jedoch auch seriöse Wohnungs­genossenschaften ihren Mitgliedern die Möglichkeit an, in Sparanlagen zur Finanzierung der Wohnimmobilien zu investieren. Dabei sollten Anleger immer darauf achten, ob die Spar­einlagen beispielsweise im Selbsthilfefonds des Verbands GdW mit dem Sicherungsfonds gegen Insolvenz abgesichert sind.

Finanzaufsicht muss zustimmen


Über eine sogenannte Spareinrichtung verfügen 46 Wohngenossenschaften. Dafür benötigen sie die Erlaubnis der Finanzaufsicht Bafin und unterliegen unter anderem den Vorschriften des Kreditwesen- und Geldwäschegesetzes. Unter diesen Voraussetzungen dürfen sie ihren Genossen eigene Sparkonten, Sparbriefe oder auch Bonussparverträge anbieten.

Nach Angaben des Portals Tagesgeldvergleich.net liegen die Zinsen dieser Spareinrichtungen bei den Sparbüchern zwischen 0,25 und 0,4 Prozent und beim Festzinssparen im Schnitt je nach Laufzeit zwischen 0,23 Prozent (ein Jahr) und 1,38 Prozent (zehn Jahre). Diese Genossenschaften nehmen allerdings nur Personen aus der Region als Mitglieder auf. Zinsjäger sind eher ungern gesehen. Nicht alle Wohnbaugenossenschaften sind für neue Mitglieder offen. In der Tabelle auf Seite 89 ist eine Auswahl von Institutionen in Großstädten aufgeführt, die noch Mitglieder aufnehmen. Das Verhältnis der Mitgliederzahl zu den Wohnungen zeigt grob die Chancen, tatsächlich eine Wohnung zu bekommen. Die zuletzt gezahlte Dividende gibt eine Orientierung zur Rendite der Anteile.

Auch verfügen viele der aufgeführten Genossenschaften über die angesprochene - von der Bafin zugelassene - Spareinrichtung. Weitere Informationen liefert zudem der jeweilige Internetauftritt.