Das Jahr 2022 könnten an den Börsen holprig starten. Das glaubt jedenfalls die auf Risikomanagement spezialisierte Vermögensverwaltung Quant.Capital, die vor allem große Investoren betreut und berät. Sorge machen den Risikoexperten vor allem die hohen Bewertungen von Aktien. Als klassischer Bewertungsmaßstab gilt das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV. Hier setzt man die erwarteten Gewinne eines Unternehmens ins Verhältnis zum Kurs der Aktie, um einschätzen zu können, wie teuer das Papier ist. Üblicherweise haben die im amerikanischen Aktienindex S&P 500 gelisteten Unternehmen im Schnitt ein KGV von 18. Legt man die Gewinnschätzung der US-Konzerne für das laufende Geschäftsjahr zu Grunde, liegt das KGV derzeit aber bei 23 und damit weit über den historischen Schnitt. Noch drastischer ist die Überbewertung, wenn man auf das sogenannte Shiller-KGV blickt, bei dem die durchschnittlichen Gewinne der vergangenen zehn Jahre ins Verhältnis zum Aktienkurs gesetzt werden. Tut man das, erhält man momentan ein Shiller-KGV von 38,6. "Höhere Werte wurden nur in der Spitze der Internetblase um das Jahr 1999 erreicht", sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer von Quant.Capital. Danach stürzten die Kurse dramatisch ab und erreichten erst sieben Jahre später wieder das alte Niveau.

Problematisch findet Mlinaric aber nicht nur die Höhe Bewertungen. Er geht auch davon aus, dass die Unternehmensgewinne für das laufende und das kommende Geschäftsjahr viel zu hoch angesetzt sind. Das würde bedeuten, dass die Unternehmensanteile in Wahrheit noch viel teurer sind, als es das KGV anzeigt. "Wir sehen in unseren Risikoanalysen, dass die Unternehmensgewinne in den vergangenen 20 Jahren häufig überschätzt wurden", sagt Mlinaric. "Und das umso stärker, je optimistischer die Börsenzeiten gerade waren." So erwarten Börsenexperten bei US-Aktien für das kommende Jahr einen weiteren Anstieg der Unternehmensgewinne um 8,5 Prozent. Den hält Quant.Capital jedoch für unrealistisch. "Unsere Berechnungen zeigen, dass die Analysten dazu tendieren, die Gewinne der US-Firmen ein Jahr im Voraus im Durschnitt um 6,5 Prozent zu überschätzen", so Mlinaric.

Zu befürchten ist zudem, ob neben den systematisch zu hoch angesetzten Bewertungen noch andere Faktoren auf die Stimmung der Anleger drücken könnten. Momentan ist schwer abzusehen, ob die neue Omikron-Variante des Covid-Virus wieder zu weltweiten Lockdowns und damit verbundenen Einschränkungen des Wirtschaftslebens führend wird. Außerdem hat die US-Notenbank Fed gerade angekündigt, den Börsen wegen der anhaltend hohen Inflation den Geldhahn schneller zuzudrehen als bisher gedacht. Die wichtigste Notenbank der Welt fährt ihre Wertpapierkäufe weiter zurück und will sie bis März ganz beenden. Die Währungshüter stellen für 2022 nun drei Zinserhöhungen in Aussicht. Das wäre eine viel stärkere Straffung der Geldpolitik als bis vor kurzem noch gedacht und dürfte die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte verschlechtern, was die Wirtschaft belasten und die Unsicherheit an den Börsen zusätzlich steigern könnte.