Bevor Mario Draghi alle Erwartungen der Finanzwelt übertraf, quälte er sie noch eine ganze Weile mit seiner Abwesenheit. Schon über eine Stunde vor der Pressekonferenz hatten sich Journalisten in einer langen Schlange vor der Europäischen Zentralbank (EZB) im Frankfurter Ostend gestaut. Und selbst wer es irgendwann durch die Sicherheitskontrolle ins Pressezentrum im fünften Stock geschafft hatte, musste tatenlos ausharren. Dutzende Kameras und die Augen von weit über hundert Reportern aus aller Welt richteten sich auf die Tür, aus der Mario Draghi heraus kommen sollte, um der Finanzwelt die lang erwarteten, historischen Anleihekäufe zu verkünden. Doch Draghi kam nicht. Noch nicht.

Und als es endlich so weit war, tat er das, was er im Laufe der Pressekonferenz weiter tun sollte - er ruhte in sich. Der Aufzug sei schuld an seiner Verspätung, sagte er. "Interpretieren Sie da nicht zu viel hinein!" Seelenruhig wünschte er der versammelten Presse ein frohes neues Jahr und begrüßte Litauen zum Jahresbeginn als neues Mitglied der Eurozone. So als schaute die Finanzwelt heute auf einen baltischen Zwergenstaat und nicht auf die Worte des Mannes, der seit Jahren das Schicksal der Eurozone entscheidet.

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Unbegrenzte Käufe falls nötig

Dann allerdings tat Draghi, womit kaum einer gerechnet hatte: Er kündigte monatliche Käufe von Staatsanleihen und Papieren von europäischen Institutionen im Wert von 60 Milliarden Euro an. Beginnend ab März bis September 2016 werden sie insgesamt 1,14 Billionen Euro umfassen - eine solche Summe hatte kaum jemand auf der Rechnung. Und noch mehr: Die Käufe sollen solange fortgeführt werden, bis die Inflation sich wieder der Marke von zwei Prozent nähert. Falls nötig, hält Draghi sich also eine Hintertür für noch mehr Käufe offen. Doch zunächst sollen die Käufe gemäß der Anteile der nationalen Notenbanken am Kapital der EZB erfolgen. Die Zentralbank wird also vor allem deutsche und französische Staatsanleihen erwerben. Insgesamt sollen 20 Prozent des Risikos vergemeinschaftet werden, 80 Prozent der Käufe liegen also bei den nationalen Notenbanken.

Der heutige Schritt sei nötig, da die Inflation in der Eurozone nachhaltig niedrig sei, so Draghi. Und versäumte es nicht, die Politik in die Pflicht zu nehmen: Die Umsetzung von Arbeitsmarktreformen müsste in einigen Ländern an Fahrt gewinnen, sagte er. "Es ist entscheidend, dass Strukturreformen schnell, glaubwürdig und wirksam umgesetzt werde, um nachhaltiges Wachstum in der Eurozone zu schaffen."

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Über alle Kritik erhaben

Ansonsten gab sich der Italiener auffallend entspannt. Der Beschluss für die Anleihekäufe sei mit großer Mehrheit im EZB-Rat geschlossen worden, betonte Draghi. "So groß, dass keine Abstimmung nötig war." Die Frage nach den Risiken der Käufe ließ er ebenso an sich abprallen ("fragen sie die, die diese Zweifel haben"), wie die Kritik, mit den Käufen habe die EZB doch nun ihr letztes Pulver verschossen. Auch seien die Anleihekäufe zugegeben schon teils in den Inflationserwartungen eingepreist. "Aber zwischen Erwartung und Ankündigung gibt es noch einen Unterschied", stellte er fest. Die Käufe würden die Teuerungsrate nach oben treiben. Reagierte er auf vorhergehenden Pressekonferenzen noch gereizt auf kritische Fragen von Reporten, wirkte der EZB-Chef heute, als könne ihm kein Vorwurf etwas haben. Ob der nächste Schritt nun eine straffere Geldpolitik sei?, fragte ein Journalist, schließlich sei die Entscheidung heute doch der letzte Pfeil im Köcher der EZB gewesen. "Um Ihre Frage zu beantworten, hätte ich jetzt einige Witze auf Lager", sagte Draghi, "aber die ernste Lage verbietet das". Und lächelte milde.