Deutsche Anleger sind gar nicht so risikoscheu wie ihr Ruf. Das zeigen die Absatzstatistiken von Xtrackers, der ETF-Sparte der DWS. Wie Investoren sich aktuell positionieren, warum die Nachfrage nach ESG- Produkten steigen wird und welche neuen ETFs kommen, erklären Simon Klein, der bei der DWS für den globalen Vertrieb passiver Produkte zuständig ist, und sein Kollege Sidi Kleefeld im Interview.

€uro am Sonntag: Vergangenes Jahr haben sehr viele Deutsche damit angefangen, in ETFs zu investieren. Hält diese Begeisterung an?

Simon Klein: 2021 war das absolute Rekordjahr für Zuflüsse in ETFs, aber auch dieses Jahr läuft es gut in der Branche. Die Nachfrage ist grundsätzlich ungebrochen. Und wenn man die Situation in Deutschland mit der in den USA vergleicht, wo mehr als 50 Prozent des in Fonds verwalteten Vermögens in ETFs investiert sind, dann gibt es in Europa noch viel Aufholbedarf.

Schreckt die aktuelle Situation an dem Märkten Anleger nicht ab?

Sidi Kleefeld: Wenn man zurückblickt, dann war 2008 trotz der Finanzkrise mit Blick auf die ETF-Nachfrage eines der besten Jahre. Beim Corona-Crash 2020 wurde von der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gesprochen, Anleihe- und Aktienmärkte korrigierten heftig und nicht einmal Gold funktionierte als Risikopuffer - interessanterweise war aber genau das der Zeitpunkt, zu dem Privatanleger massiv investiert haben. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland, wo Anleger immer als sehr risikoavers angesehen wurden. Das hat sich komplett gedreht. Viele haben verstanden, dass man mit Aktien langfristig eine gute Rendite erzielen kann, und nutzen nun solche Situationen für Investitionen. Das hat sich wie ein roter Faden bis ins vergangene Jahr durchgezogen. Die aktuelle Situation sorgt natürlich schon für eine gewisse Unsicherheit.

Wie reagieren die Investoren darauf, nehmen sie Veränderungen an ihren Depots vor?

Kleefeld: Speziell in den USA, wo die Anleger häufig schneller reagieren als in anderen Märkten, sehen wir schon, dass Risiken im Portfolio reduziert werden und auch ein Rezessionsszenario als möglich angesehen wird. Im April ist netto Kapital aus dem Aktienmarkt abgezogen worden, was aber durch Zuflüsse auf der Anleiheseite mehr als kompensiert wurde.

Was für Vorlieben beobachten Sie bei Anlegern?

Klein: Bei den großen Indizes bevorzugen Anleger weiter ganz klar MSCI World und S & P 500. Wir rechnen aber damit, dass sich die Nachfrage nach ESG-ETFs massiv beschleunigen wird. Ab August müssen Finanzberater Nachhaltigkeitspräferenzen berücksichtigen, da erwarten wir einen Schub.

Viele Anleger interessieren sich für ESG-ETFs, sind dann aber von der Vielfalt der erhältlichen Produkte überfordert. Ist da eine Verbesserung in Sicht?

Klein: Die ganze Thematik ist noch relativ neu, es gab am Anfang wenig Regulierung. Deshalb haben auch verschiedene Anbieter verschiedene Ansätze entwickelt. Das hat sich jetzt mit den Definitionen in Artikel 8 und Artikel 9 der Offenlegungsverordnung geändert und wird somit die Auswahl letztlich erleichtern: Mit Artikel-8-Portfolios kann ein Anleger quasi ins Thema nachhaltige Geldanlage einsteigen. Der Active Share, also der Unterschied des ESG-Index zum ursprünglichen Index, liegt bei unseren ESG-Screened-Produkten beispielsweise bei etwa zehn Prozent. Wem das nicht genug ist, der kann sich bei uns für strengere Ausschlusskriterien plus einen CO2-Filter entscheiden. Da ist der Active Share höher, aber der Tracking-Error, also die Renditeabweichung zum Originalindex, noch überschaubar. Wer noch mehr will, greift zu Net-Zero- oder Impact-Fonds, zum Beispiel über grüne Anleihen.

Bei den Produkten mit strengeren Auswahlkriterien ist das Investment-Universum häufig ziemlich eingeschränkt. Wie finden sie da die richtige Mischung, damit die Rendite noch mit dem Ursprungsindex vergleichbar ist?

Kleefeld: Wir arbeiten da mit den Indexanbietern zusammen. Es werden Tests über lange Zeiträume durchgeführt und die Zusammensetzung angepasst, damit die Wertentwicklung möglichst nah an der Benchmark ist. Aber solche Portfolios unterscheiden sich eben von der Benchmark, das muss Anlegern auch bewusst sein. Klein: Man muss sich da vielleicht auch ein wenig von der bisherigen Vorgehensweise lösen. Die Zeiten ändern sich, die Regulierung wird strenger. Vielleicht sind diese ESG-Indizes die neuen Basis-Benchmarks, dann gibt es die Diskussion um Abweichungen durch ESG nicht mehr.

Plant Xtrackers einen Ausbau des Themen-ETF-Angebots?

Kleefeld: Wir haben eine gefüllte Pipeline. Gerade ist zum Beispiel ein MSCI China Tech ETF herausgekommen. Außerdem sehen wir Interesse an Produkten, die sich an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) orientieren.