BÖRSE ONLINE: Herr Kaldemorgen, der DAX schloss das Jahr 2018 mit einem tiefen Minus. Ist das ein weiterer Rückschlag für die Aktienkultur in Deutschland?

Klaus Kaldemorgen: Offensichtlich. Der DAX hat schließlich deutlich mehr verloren als andere Leitindizes. Technisch gesehen befindet er sich in einer Baisse. Unter der Oberfläche sieht es sogar noch schlechter aus. Rund ein Drittel der DAX-Kurse haben mehr als 30 Prozent abgegeben. Allerdings muss man darüber hinaus berücksichtigen, dass insbesondere die deutlichen Verluste von Bayer den DAX dieses Jahr mehrere Hundert Punkte gekostet haben. Das kann man als ein außergewöhnliches Ereignis sehen. Trotzdem: 2018 war kein schönes Börsenjahr und sicherlich auch keine Werbung für deutsche Aktien.

Abgesehen von Bayer: Warum hat der DAX so schlecht abgeschnitten?

Nicht wenige Unternehmen haben Managementfehler gemacht, die in der Form bislang nicht vorgekommen sind. Beispielsweise wurden vermehrt Kostenziele überschritten, die durch höhere Umsätze nicht kompensiert werden konnten. Auch dass ein großes deutsches Unternehmen vom Klimawandel und dem damit zusammenhängenden Niedrigwasser im Rhein überrascht wird, ist nur schwer nachzuvollziehen.

Hat auch die deutsche Automobilindustrie Fehler gemacht?

Ich will auf keinen Fall den Abgasskandal entschuldigen. Man darf aber die Fehler den Unternehmen nicht allein anlasten. Auch die Politik hat keine gute Figur gemacht. Man darf eine für Deutschland so wesentliche Industrie nicht in zusätzliche Schwierigkeiten bringen.

Deutschlands Autobauer sind durch die zunehmenden technischen Regularien der Politik verunsichert?

Ja. Sie müssen zudem viele Probleme in relativ kurzer Zeit angehen. Insbesondere das Thema E-Mobilität erweist sich komplexer, als man anfänglich vermutet hat.

Ziehen die Kurse deutscher Aktien in diesem Jahr wieder an?

Es gibt Unwägbarkeiten beziehungsweise enorme Herausforderungen, die eine Prognose erschweren. Ich fasse diese unter der Buchstabenkombination BRIFT zusammen - also Brexit, eine mögliche Rezession in Europa, Italien, Frankreich und Trumps aggressive Handelspolitik. Werden wir von diesen fünf Plagen gleichzeitig heimgesucht, dann setzt sich die Talfahrt des DAX fort. Ich bin aber nicht so pessimistisch. Es muss nicht alles schiefgehen. Dennoch wird 2019 sehr anstrengend werden.

Sie erwarten hohe Schwankungen?

Ja. Ich fürchte außerdem, dass die europäischen Aktienmärkte wie in diesem Jahr zu den schwächeren Märkten gehören werden. Man gewinnt den Eindruck, dass Europa zwischen den Polen USA und China eingeklemmt ist und von den beiden Ländern nicht mehr richtig profitieren kann. Ausländische Investoren meiden daher die Anlageregionen Deutschland und Europa.

Sind die Börsen politischer geworden?

Die Wechselwirkungen zwischen Politik und Börse haben im Vergleich zu früheren Jahren jedenfalls zugenommen. Diese Wechselwirkungen bleiben aber auch nicht immer gleich, sondern verändern sich. Nehmen wir nur Trump. Der US-Präsident wurde ja lange Zeit von den Investoren als positiv für die wirtschaftliche Entwicklung und die Märkte eingestuft. Das hat sich mittlerweile gedreht.

Ist der Defizitstreit zwischen Italien und EU nicht weitgehend gelöst?

Der Streit ja, aber die Probleme, insbesondere die hohe Verschuldung und das schwache Wachstum, bleiben. Ein Wiederaufflammen der Eurokrise wegen Italien - insbesondere wenn wir eine globale Abschwächung bekommen ist nicht ausgeschlossen. Ärgerlich auch, dass der französische Staatspräsident seine Reformpläne nicht so umsetzen kann, wie er ursprünglich wollte. Seine Wahl im vergangenen Jahr hat den Euro und die Märkte zunächst positiv beeinflusst. Die Wirkung wird jetzt sukzessive ausgepreist.

Wird die EZB angesichts der Risiken in diesem Jahr die Zinswende einleiten?

Es wäre schon schön, wenn die EZB wenigstens die negativen Zinsen zurückführen würde. Doch so wie ich EZB-Chef Mario Draghi im Augenblick verstehe, ist das höchst unwahrscheinlich. Auch das Engagement am Bondmarkt bleibt. Die EZB wird im kommenden Jahr auslaufende Anleihen in Höhe von 230 Milliarden Euro ersetzen.

Sind Sie mit dem Abschneiden des DWS Concept Kaldemorgen zufrieden?

Der Fonds hat sich 2018 im Vergleich zur Konkurrenz mit einem Minus von einem halben Prozent im Vergleich zur Konkurrenz relativ gut geschlagen. Wir haben also Geld verdient. Auch im Aktienbereich lief es einigermaßen gut. Ein Fehler war es jedoch, zu sehr auf Europa zu setzen und die USA unterzugewichten. Ich werde das Aktienportfolio künftig wieder etwas ausgewogener ausrichten. Insbesondere der Rentenbereich entwickelte sich gut, auch weil ich Titel gekauft habe, die keiner haben wollte, wie etwa eine auf Euro lautende Türkei-Anleihe.

Sollen Investoren dennoch weiterhin ihren Schwerpunkt auf Aktien legen?

Auf jeden Fall. 2019 werden sich bei hoher Volatilität immer wieder gute Kaufgelegenheiten ergeben. Für den deutschen Anleger, dessen Aktienquote bei unter zehn Prozent liegt, ist jetzt ein guter Zeitpunkt aufzustocken.

Klaus Kaldemorgen zählt zu den bekanntesten Vermögensverwaltern Deutschlands. Seit 1982 arbeitet er für die DWS und managt den Mischfonds DWS Concept Kaldemorgen. Kaldemorgen studierte Volkswirtschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.