Das Verhältnis von Deutschen und Franzosen ist, was Umwelt- und Klimaschutz angeht, nicht immer ganz einfach. Schon gar nicht, seitdem die EU-Kommission vorgeschlagen hat, sowohl Atom- als auch Gaskraftwerke als nachhaltig einzustufen, um es beiden Nationen recht zu machen. Doch solche Animositäten liegen Jean-Jacques Barbéris fern, auch wenn er eine dezidierte Meinung zum Thema hat. Stattdessen überwiegt die Freude daran, sich einmal wieder von Angesicht zu Angesicht auszutauschen - selbstverständlich geimpft und vor dem Interview getestet.

Euro am Sonntag: Laut einer Umfrage eines Ihrer Wettbewerber würde rund die Hälfte aller Anleger mehr auf nachhaltige Investments setzen, wenn es Belege dafür gäbe, dass diese höhere Renditen als konventionelle Investments erzielen. Haben Sie solche Daten?

Jean-Jacques Barbéris: Diese Umfrage zeigt erst einmal, wie schlecht wir als Branche darin sind, Ergebnisse zu kommunizieren. Ja, wir haben solche Daten bei Amundi. Rein quantitativ lässt sich zum Beispiel sagen, dass die Integration einiger grundlegender ESG-Faktoren die Performance eines aktiv gemanagten Fonds nicht verschlechtert. In den vergangenen fünf Jahren hat ESG-Integration das Abschneiden in Aktien- und Rentenmärkten sogar verbessert.

Wie haben Sie das festgestellt?

Wir messen das, indem wir ein Long-Short-Portfolio bauen, in dem wir auf steigende Kurse der Unternehmen mit den nach unserer Methodologie besten ESG-Ratings setzen und die mit den schlechtesten Ratings shorten. Dann schauen wir, ob dies zusätzliche Performance liefert - und das tut es. Da sind wir uns soweit sicher. Worüber wir uns ehrlich gesagt nicht so klar sind, ist warum.

Und was ist Ihre Einschätzung?

Es gibt zwei Interpretationen: Einmal, dass wir immer besser darin werden, mit ESG-Ratings die fundamentale Entwicklung eines Unternehmens in der Zukunft zu prognostizieren. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Aktien dieser Unternehmen steigen, weil immer mehr nachhaltig orientierte Anleger sie kaufen. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Es gibt in dem riesigen ESG-Universum aber auch Segmente, wo es nicht funktioniert, und da sollte man auch transparent mit umgehen.

Wo trifft das zu?

Wenn man zum Beispiel eine Strategie verfolgt, die komplett auf CO2-Neutralität ausgerichtet ist. Also wenn man ausschließlich in Unternehmen investiert, die einen klaren, von externen Gutachtern bestätigten Weg zur CO2-Neutralität beschreiten, dann wird dadurch der Kreis der Firmen, in die Sie investieren können, massiv beschnitten. Aktuell verfolgen nur 19 Prozent des MSCI World eine Net-Zero-Strategie, die auf eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius abzielt. Das wirkt sich aufgrund des sehr reduzierten Investmentuniversums auf die Performance aus. Wenn es also um ambitioniertere Strategien mit sehr klarem Fokus geht, speziell was Klimaziele angeht, dann kann dies mit Abstrichen bei der Performance verbunden sein.

Das könnte sich ja in Zukunft ändern, wenn mehr Unternehmen CO2-Neutralität anstreben.

Definitiv, wenn sich das investierbare Universum vergrößert. Der Anteil ist in den vergangenen zwei Jahren bereits von sieben auf 19 Prozent gestiegen, da gibt es also zweifellos eine große Dynamik. Und da auch immer mehr Investoren nach den Firmen mit dem größten CO2-Reduktionspotenzial suchen, wird sich das bei denen, die sich da auf einem glaubwürdigen Weg befinden, auch in der Bewertung niederschlagen.

Können Sie den von Ihnen festgestellten Performance-Unterschied quantifizieren?

Der Zeitpunkt, an dem die Entwicklung von nachhaltigen versus konventionellen Investments zu divergieren begann, ist ziemlich genau die Klimakonferenz von Paris. Es startete mit den Aktienmärkten in Europa, dann denen der USA und schließlich der Emerging Markets. Zunächst war "E", also Umweltfaktoren, der Treiber, seit 2018 mehr und mehr auch "S", die soziale Komponente. Von 2014 bis 2019 hätte in Europa der Kauf von Best-in-Class-Aktien und der Verkauf der Worst-in-Class-Aktien eine jährliche Überrendite von sechs Prozent erbracht. Dieser Trend hat sich seitdem fortgesetzt.

In Deutschland wurde in den letzten Monaten mehreren Fondsgesellschaften Greenwashing vorgeworfen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Für mich sind diese Ereignisse ein Zeichen dafür, dass nachhaltiges Investieren eine gewisse Reife erreicht hat. Das ganze Thema ist ja relativ spontan entstanden, aus der Industrie heraus. Jetzt gibt es einige Normen, man kann seine Fonds nach SFDR Artikel 6, 8 oder 9 einstufen. Die Regulierungsbehörden gehen nun sozusagen mit dem Staubsauger durchs Haus und sortieren, was wirklich ESG ist und was nicht. Und das brauchen wir auch, die Branche würde das niemals allein machen. Wir haben diese Schlagzeilen, weil wir uns in dem Übergang zu einem besseren, stringenteren Rahmen für das System befinden. Es wird mehr Regeln geben, und die Finanzbranche muss sich daran anpassen. Ich glaube ehrlich gesagt, dass das eine großartige Entwicklung ist. Es wird das Vertrauen in die Industrie erhöhen.

Ist es schwierig, als Unternehmen mit der Regulierung Schritt zu halten?

Herausfordernd, aber machbar. Wir beschweren uns nicht, wir unterstützen den Wunsch nach mehr Regulierung, weil es den Markt transparenter macht. Die ganze Branche wird sich anpassen.

Viele Privatanleger möchten gern in nachhaltige ETFs investieren, sind aber überfordert von den verschiedenen Indizes und was sie bedeuten. Ist da eine Standardisierung in Sicht?

Was auch immer sich die Vermögensverwaltungsindustrie da an Vereinheitlichung ausdenken würde, es gäbe immer Investoren, die dem nicht vertrauen würden, weil es eben aus der Branche kommt. Am Ende des Tages müsste es da auch eine Regulierung, etwa durch die EU, geben.

Sie scheinen ein großer Fan von Regulierung zu sein.

Kein Wunder, da komme ich ja auch her.

Aktuell sorgt der Vorschlag der EU-Kommission, sowohl die Energieerzeugung aus Kernkraft als auch aus Erdgas als nachhaltig einzustufen, für hohe Wellen. Frankreich und Deutschland haben sich jeweils aus Eigeninteresse für die eine oder andere Technologie eingesetzt. Wo stehen Sie in dieser Diskussion?

Meine Sicht: Das sind sehr ernste Themen, über die Politiker eigentlich nicht entscheiden sollten. Diese Entscheidung muss auf wissenschaftlicher Evidenz basieren. Die Internationale Energieagentur sagt, wir brauchen Atomkraft als Teil des Energiemixes bei CO2-Neutralität. Auf der anderen Seite gibt es viele Stimmen, die sagen, Atomkraft verstößt aufgrund des Atommüllproblems gegen das "Do not harm"-Prinzip. Beides sind legitime Argumente. Wir vertreten die Position, dass Atomkraft als nachhaltig eingestuft werden sollte. Nicht weil wir Franzosen sind, sondern weil wir denken, man sollte bei der Abwägung berücksichtigen, was bei der Lösung für das größte und drängendste Problem unserer Zeit helfen kann, und das ist die globale Erwärmung. Das heißt nicht, dass wir das Müllproblem nicht ernst nehmen - es gibt nur einen längeren Zeitraum, um es zu lösen als beim Klimawandel.

Was bedeutet die Einstufung für Assetmanager?

Die Einstufung von Atomkraft oder Erdgas ist nicht unser größtes Problem. Weit herausfordernder ist, dass der Anteil von Taxonomie-konformen Aktivitäten heute nur ungefähr vier Prozent des MSCI World ausmacht. Wenn unsere Kunden uns jetzt morgen bitten, bau uns ein Portfolio, das zu 50 Prozent Taxonomie-konform ist, dann wird das ein extrem konzentriertes und sektortechnisch sehr unausgewogenes Portfolio. Natürlich ist der Sinn der Taxonomie, Kapitalströme in eine bestimmte Richtung zu drängen, und das ist auch richtig so. Man muss sich jedoch der Fol- gen für Portfolios bewusst sein, und die müssen wir transparent kommunizieren.

Was ist, wenn niemand so ein einseitiges Portfolio haben will? Dann würde die Taxonomie keine Wirkung zeigen.

Exakt. Wir denken, man muss den Kunden schon eine Wahl lassen. Deshalb bauen wir eine Produktreihe auf, die auf CO2-Neutralität ausgerichtet ist. Wir müssen aber auch auf die Konsequenzen solcher Investments hinweisen.

Viele in der Branche fokussieren sich in der ESG-Strategie auf Engagement, also den konstruktiven Dialog mit Unternehmensmanagern, und ein ESG-konformes Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen. Andere setzen auf Divestment, also den konsequenten Verkauf von Aktien von ESG-Sündern. Was macht Amundi?

Beides! Divestment ist für uns quasi der letzte Ausweg. Wir tun das, wo es eine klare wissenschaftliche Evidenz dafür gibt. Das ist der Fall bei Kohle, da setzen wir unseren Weg fort. Ab diesem Jahr auch bei Erzeugern von unkonventionellem Öl und Gas. Engagement ist dazu komplementär, ein potenziell sehr schlagkräftiges Werkzeug, dessen Nutzung wir auch in den nächsten Jahren ausbauen werden.

Sie haben angekündigt, Aktien von Unternehmen zu verkaufen, die mehr als 30 Prozent ihres Einkommens mit der Förderung von unkonventionellem Öl und Gas erzielen, also Fracking und Ölsand-Abbau. Warum setzen Sie diese Grenze so hoch an?

Die 30 Prozent sind erst mal nur eine Annäherung. Wenn wir divestieren, können wir vorher nicht ganz präzise ankündigen, wo das der Fall sein wird. Denn wenn diese Information an den Märkten bekannt ist, kämen uns vielleicht andere Investoren beim Abstoßen dieser Aktien zuvor. Dann würden unsere Kunden überdurchschnittlich mit Kursverlusten bestraft. Es wird zuerst Unternehmen betreffen, die einen großen Teil ihrer Einnahmen in diesem Geschäft erzielen, und dann verfeinern wir unsere Beurteilung weiter.

Amundi plant, einen eigenen Umwelt-Score einzuführen. Was wollen Sie damit erreichen?

Wenn ein aktiver Manager nach guten Investments für den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft sucht, gibt es ein großes Problem: Man stützt sich auf Daten, die fast alle die Vergangenheit beschreiben, wie zum Beispiel der CO2-Fußabdruck. Das führt zu Verzerrungen und verpassten Möglichkeiten. Die ganze Branche sucht nach Wegen, wie man die voraussichtliche zukünftige Entwicklung eines Unternehmens abbilden kann. Es ist furchtbar kompliziert. Unser Umwelt-Score soll den Portfoliomanagern dazu Informationen bereitstellen. Es ist ein dynamisches Tool, das wir ständig weiterentwickeln, und das durch Engagement ergänzt wird.

Warum ist es wichtig, dass Assetmanager sich auch selbst Klima- und ESG-Ziele setzen?

Wir verlangen ja in dieser Hinsicht sehr viel von den Unternehmen, in die wir investieren. Da ist es nur legitim, wenn wir diese Maßstäbe auch bei uns selbst ansetzen.

Aber das ist doch ein Spiel mit ungleichen Voraussetzungen - eine Vermögensverwaltung wird niemals auch nur annähernd solche Emissionen erzeugen wie ein produzierendes Unternehmen.

Es stimmt, unsere Emissionen etwa durch Reisen oder den Strom, den wir verbrauchen, also Scope 1 und 2, sind lächerlich klein. Wir sollten aber trotzdem anstreben, unseren CO2- Fußabdruck genauso zu reduzieren, wie es von anderen verlangt wird. Auch unsere Mitarbeiter und unsere Aktionäre erwarten das von uns. Und ich bin überzeugt, dass auch die Kunden in Zukunft mehr Fragen in diese Richtung stellen werden.
 


Vita:

Franzose mit Faible für Klimaschutz

Jean-Jacques Barbéris kam 2016 zu Amundi, er leitet dort das Geschäft für Institutionelle und Geschäftskunden sowie die ESG-Abteilung und ist Aufsichtsratschef von Amundi Deutschland. Zuvor hat der 41-Jährige für den früheren französischen Finanzminister Pierre Moscovici gearbeitet und Ex-Präsident François Hollande beraten. Der passionierte Radfahrer ist Absolvent der Elite-Hochschulen École Normale Supérieure des Lettres et Sciences Humaines und École nationale d’administration.
 


Amundi:

Global Player aus Frankreich

Amundi ist die größte Vermögensverwaltungs- gesellschaft Europas. Sie entstand vor zwölf Jahren durch die Zusammenlegung der Asset-Management-Sparten von Société Générale und Crédit Agricole. 2017 übernahm Amundi Pioneer Investments, 2021 kündigte der Konzern den Kauf des ETF-Anbieters Lyxor an. Amundi verwaltet aktuell 1,8 Billionen Euro.