Seit Jahresbeginn haben sie kaum verloren, auf längere Sicht haben die Mischfonds Value Intelligence und Value Intelligence ESG eine überzeugende Performance hingelegt. Stefan Rehder, der die Vermögensverwaltung Value Intelligence Advisors 2009 gegründet hat, managt die beiden Fonds. In der Fondsstatistik von BÖRSE ONLINE sind sie in ihrer Kategorie - Mischfonds, die überwiegend in Aktien investieren - weit vorn dabei. BÖRSE ONLINE hat nachgefragt, wie Rehder diese Performance hinbekommen hat. Ein Gespräch über Value-Investing, Risiko, Big Tech und japanische Unternehmen.

Börse Online: Ihre Fonds haben sich in diesen Krisenzeiten extrem gut geschlagen. Was war Ihre Strategie?

Stefan Rehder: Wir sehen in der Vermeidung von Verlusten die Grundlage für attraktive Renditen. Folglich setzen wir nie alles auf ein Szenario, sondern überlegen immer, was passiert, wenn sich die Märkte anders entwickeln, als wir denken. Und wir haben verstanden, dass Aktien zinssensitiv sind.

Verluste will jeder vermeiden. Und wie geht das ?

Im Gegensatz zu manch anderem Value-Investor berücksichtigen wir auch makroökonomische Trends. Dabei geht es weniger um kurzfristige Konjunkturprognosen. Aber bei Zinsen nahe der Nulllinie musste man sich schon Gedanken darüber machen, was gerade mit populären Qualitätsunternehmen passiert, wenn die Zinsen mal wieder steigen. Wir fokussieren uns schon seit einer Weile verstärkt auf Unternehmen, deren Wachstum und Preissetzungsmacht unterschätzt werden.

Dabei trennen wir strikt zwischen Wert und Preis und achten auf eine ausreichende Sicherheitsmarge. Weniger offensichtliches Wachstum und höhere Sicherheitsmargen haben dazu geführt, dass die Zinssensitivität unseres Portfolios gesunken ist. Zudem halten wir Gold. Das ist ebenfalls für multiple Szenarien geeignet. Unsere Cashquoten sind relativ hoch. Die Laufzeit der Anleihen halten wir sehr kurz, und wir parken unsere Liquidität gern in Währungen von Staaten, die es sich leisten können, die Zinsen zu erhöhen.

Welche sind das?

Wir halten norwegische Kronen, kanadische Dollar, Singapur- und US-Dollar. Der Euro-Anteil fällt dagegen gering aus. Europa kann sich aufgrund hoher Staatsschulden und zahlreicher Zombie-Unternehmen, die im Zuge der Niedrigzinspolitik entstanden, eigentlich nur minimale Zinserhöhungen leisten.

Haben Sie steigende Zinsen besser vorausgesehen als andere?

Viele Marktteilnehmer sind davon ausgegangen, dass die Zentralbanken die Zinsen nicht erhöhen, weil sich die Staaten dies aufgrund der hohen Verschuldung nicht leisten könnten. Dabei wurde das Szenario vernachlässigt, dass im Falle schmerzhaft hoher Inflation Zinserhöhungen auch zum kleineren Übel werden können.

Trotz relativ viel Gold und Liquidität sind Ihre Mischfonds aktienlastig.

Im Herzen sind wir Aktieninvestoren. Aber wenn wir keine unterbewerteten Unternehmen finden, halten wir lieber Cash als überbewertete Unternehmen. Die Aktienquote des Value Intelligence Fonds liegt derzeit bei rund 67 Prozent, die des Value Intelligence ESG bei knapp 60 Prozent.

Wie finden Sie Unternehmen, die Ihren Vorstellungen entsprechen?

Ein gutes von einem schlechten Unternehmen zu unterscheiden, ist nicht so schwer. Schwieriger ist es dagegen, zukünftige Zahlungsströme zu schätzen, insbesondere ihren Diskontierungszins unter durchschnittlichen zukünftigen Bedingungen. Und da ist die Gefahr steigender Zinsen und fallender Wertannahmen nach wie vor groß.

Wir fühlen uns aktuell mit niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) wohler. Ein KGV sagt zwar nichts darüber aus, ob eine Aktie über- oder unterbewertet ist. Aber in einem niedrigen KGV stecken niedrigere Wachstumserwartungen. Damit ist eine Aktie weniger anfällig für Zinsänderungen. Wir haben uns auch deshalb von den hochpreisigen Indexschwergewichten gelöst und setzen verstärkt auf unterbewertete, regionale Servicedienstleister, die auch in Bezug auf eine Deglobalisierung weniger anfällig sind.

Sie hatten dieses Jahr keine Alphabet, keine Microsoft, keine Amazon in den Portfolios?

Es war nicht leicht, die Aktien dieser drei Konzerne zu verkaufen, es war ein bisschen so, als würden wir Messi vom Platz nehmen. Aber es hat sich gezeigt, dass diese Unternehmen bei steigenden Zinsen unter Druck geraten. Wir hatten sie lange im Portfolio, haben sie aber bereits letztes Jahr verkauft, als die Zinswende greifbarer wurde. Jetzt sind diese Aktien wieder deutlich günstiger.

In welche Unternehmen haben Sie investiert?

Wir suchen gute Unternehmen, die gleichzeitig gute Investments sind. Wert versus Preis, die Suche nach Unterbewertungen, Value Investing im originären Sinne gewinnt wieder an Bedeutung. Dazu gehört es eben auch, eine abweichende Position einnehmen zu können und zu sagen: Dieses Unternehmen wird unterschätzt. Wir mögen zum Beispiel Nongshim, einen Nudelsuppenhersteller aus Korea. Er notiert unter Buchwert, hat in Korea mehr als 50 Prozent Marktanteil, wächst in den USA. Die Umsätze stiegen in der letzten Finanzkrise um 14 Prozent, weil viele Menschen in einem schwierigen Umfeld eher auf günstigere Lebensmittel zurückgreifen. Damit verfügt Nongshim gerade bei Stagflation über relativ hohe Preissetzungsmacht. Unternehmen mit dieser Eigenschaft mögen wir derzeit besonders.

Welche Firmen mögen Sie noch?

Amerco, ein Dienstleister, der Umzugswagen unter der Marke U-Haul vermietet. Die Firma hat in den USA einen Marktanteil von 60 Prozent, kann täglich die Preise anpassen und ist sehr erfolgreich ins Self-Storage-Geschäft eingestiegen. Potenzielle Kunden dafür kommen jeden Tag in die Vermietstationen, so sparen sie sich die Marketingkosten. Das Self-Storage-Geschäft wird aber nur halb so hoch bewertet wie die gelistete Konkurrenz im Self-Storage-Sektor. T Hasegawa hat in Japan eine starke Position auf dem Markt für Geschmacksstoffe, ist etwa der Hauptzulieferer der japanischen Brauindustrie. Die Aktie kostete nur ein Drittel vom deutschen Konkurrenten Symrise. Die führenden Geschmacksstoffhersteller sind Teddybäraktien, die jeder mag, die aber teuer sind. Zudem hat T Hasegawa Aktienrückkäufe gestartet.

Japan ist mit etwa 14 Prozent im Value Intelligence und etwa acht Prozent im ESG-Fonds recht hoch gewichtet.

Japanische und koreanische Firmen haben sehr viel Liquidität gehortet. Das Geld dürfte nun in Form von Dividenden und Aktienrückkäufen besser genutzt werden. In Japan haben sich die Aktienrückkäufe dieses Jahr bisher verdoppelt. Die Inflation ist ein Katalysator für ein Umdenken in der japanischen Unternehmerlandschaft.

Ihr ESG-Fonds verwaltet mehr Geld und läuft besser als der ältere Value Intelligence Fonds. Warum machen Sie nicht gleich nur den ESG-Fonds?

Der ältere Fonds ist bei seinen Prinzipien individueller und pragmatischer, der ESG-Fonds spiegelt eher einen strengeren Konsensus in unserer Gesellschaft wider. Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung. So passt ein Unternehmen wie HeidelbergCement nicht in unseren ESG-Fonds, da ein hoher CO2-Fußabdruck für viele Menschen nicht mit Nachhaltigkeit vereinbar ist. Aus pragmatischer Perspektive sind dagegen Zementfirmen akzeptabel, die sich bemühen, ihre Emissionen zu verringern. So hat HeidelbergCement trotz hohem CO2-Fußabdruck ein sehr gutes ESG-Rating. Für die bessere Performance des ESG-Fonds gibt es verschiedene Gründe. Hier haben unsere ESG-Kriterien verhindert, dass wir in China investieren. Beim pragmatischen Fonds fanden wir Investments in China aber akzeptabel. Im Nachhinein ein Fehler, der die Performance dieses Fonds zeitweise belastete. Aber der ESG Fonds dürfte gerade für Vermögensverwalter das leichter einsetzbare Produkt sein, da sie mit sehr heterogenen Anforderungen ihrer Kunden konfrontiert werden. Die fragen: Warum hast du Nestlé oder HeidelbergCement drin? Ein strengerer Filter gibt ihnen ein relativ konfliktfreies Portfolio.

Wie schätzen Sie geht es in Sachen Inflation, Zinsen und Wirtschaftswachstum weiter?

Wir versuchen grundsätzlich, auf multiple Szenarien vorbereitet zu sein. Aber unser Basisszenario für die kommenden Jahre ist Stagflation. Vieles spricht aus unserer Perspektive dafür, dass wir aus einer Phase mit niedriger Inflation und hohem Wirtschaftswachstum in eine Phase mit hoher Inflation und niedrigem Wirtschaftswachstum gehen. Deshalb setzen wir weiter auf Portfolios, die weniger zins- und konjunktursensitiv sind.

Stefan Rehder ist Geschäftsführer der Münchner Vermögensverwaltung Value Intelligence Advisors (VIA), die er 2009 gründete. Hier ist er unter anderem für die Entwicklung der Anlagestrategie und die Aktienauswahl der drei Fonds von VIA zuständig. Zuvor war er unter anderem bei der Privatbank Schröder, Münchmeyer Hengst & Co., M. M. Warburg, der Hypovereinsbank und der Bayern LB und hat mehr als 25 Jahre Kapitalmarkterfahrung